Dann kam der Notarzt. Nach kurzer erneuter Befragung und Untersuchung wurde ich auf eine Trage gehoben und im Rettungswagen in das nahe Evangelische Waldkrankenhaus in Bad Godesberg gebracht.
An der Aufnahme wurde mir noch ein persönliches Telefonat mit meiner Frau ermöglicht. Sie hatte inzwischen mit Graf v. S. gesprochen und war in ziemlicher Sorge um mich. Ich versuchte sie zu beruhigen, was aber nicht so richtig gelang. Dieses Telefonat fand am 11. Februar 1998 gegen 13.15 Uhr statt. Danach fehlt mir über eine lange Zeit jedes bewusste Wahrnehmen.
Erste Untersuchungen von mir ergaben vielfältige Blessuren. Nachdem die Schwere meiner Verletzungen festgestellt worden war, verlegte man mich auf die Intensivstation. Dort wurde in die Luftröhre ein Tubus zur künstlichen Beatmung eingeführt. Zugänge für Infusionen und Medikamente kamen in meine Hände und Arme. Ich wurde an lebenserhaltende Maschinen angeschlossen.
Trotz der getroffenen Maßnahmen verschlechterte sich mein Zustand beständig, sodass ich gegen 23.40 Uhr in den Operationssaal gerollt wurde, wo mich der leitende Chefarzt, den man in der Zwischenzeit über meine immer kritischer werdende Lage informiert und von zu Hause in die Klinik gerufen hatte, mit seinem Team von Ärzten und Krankenschwestern bereits erwartete.
Aus dem ärztlichen Bericht:
Am 12.2.98 erfolgte wegen Kreislauflabilität durch Entwicklung eines ausgedehnten retroperitonealen Hämatoms im Gefolge der Beckenverletzung eine Laparoskopie mit Blutstillung im kleinen Becken.
Für den medizinischen Laien besser verständlich: Wegen starker, anhaltender Blutungen im kleinen Becken versagte mein Kreislauf und brach zusammen. Dabei wurde ich immer instabiler. Weswegen laparaskopisch, also mit kleinen Instrumenten und möglichst kleinen Eingriffen versucht wurde, die Blutungen zu stoppen.
Der Versuch dauerte die ganze Nacht. Über sechs Stunden waren erforderlich, um im vollgesogenen Gewebe des mit Blut gefüllten Bauchraumes die verletzten Gefäße aufzuspüren und zu schließen. Sechzehn Blutkonserven flossen in mich, der ich früher selber Blutspender gewesen war, hinein und wieder heraus. Mehrmals wurde mein Blut komplett erneuert, bevor ich wieder auf die Intensivstation zurückgebracht wurde.
Für weitere Operationen war weder die Zeit, noch bestand die Möglichkeit. Dafür musste ich erst wieder stabiler werden.
In den mich betreffenden Krankenunterlagen waren zunächst unter anderem diese Untersuchungsbefunde aufgeführt:
Als Fußgänger von Personenkraftwagen erfasst und zu Boden geschleudert. Polytrauma mit Trümmerfraktur des vorderen und hinteren Acetabulumpfeilers rechts, Fraktur Os ileum rechts, Symphysensprengung, ausgedehntes retroperitonales Hämatom, stumpfes Bauchtrauma, Tibiakopfimpressionsfraktur rechts mit Fibulaköpfchenfraktur, Fraktur des Schienbeins rechts, Fraktur des Wadenbeins rechts und offener Weichteilverletzung am rechten Kniegelenk, Kopfplatzwunde.
Aufgrund meines Schockzustandes nach dem Unfall hatte ich von all dem kaum etwas gemerkt. Mit tat nichts weh. Es erging mir über einen kurzen Zeitraum wohl ähnlich wie einem Huhn, das noch im Kreis herumlaufen oder sogar noch einige Meter fliegen kann, nachdem ihm der Kopf abgeschlagen wurde. Wie anders wäre es zu erklären, dass ich mit den vielen Verletzungen, zerschmettertem Becken und mehrfach gebrochenem Bein überhaupt wieder hochkam und mich kurz auf den Beinen hielt?
Schwerstverletzte werden von behandelnden Ärzten oft in ein künstliches Koma versetzt. Dies geschieht durch das Verabreichen von Narkosemitteln mittels Infusionen, die manchmal Opiate oder Morphium beinhalten. Damit soll erreicht werden, dass Behandelte absolut keine Schmerzen mehr verspüren und ruhig liegen bleiben, wenn ihre völlige Bewegungslosigkeit für den Heilungsprozess unbedingt erforderlich scheint. Auch bei mir bot sich keine andere Möglichkeit.
Am Nachmittag des Unfalltages gegen 16.00 Uhr erhielt meine Frau einen Anruf vom Krankenhaus, in dem ihr mitgeteilt wurde, dass ich gleich in die Universitätsklinik nach Bonn verlegt werden würde. Man empfahl ihr umgehend dorthin zu kommen, da mein Zustand doch etwas ernster sei. Diese Nachricht kam völlig unerwartet. Sie überstieg alle schlimmen Ahnungen und Vorstellungen. Hatten doch zuvor Graf v. S. und ich gemeldet, dass nichts wirklich Schlimmes geschehen sei. Nun kam alles anders.
Die schlechten Nachrichten verlangten schnelles Handeln. Dabei mussten dringende Maßnahmen ergriffen und Reisevorbereitungen für die Fahrt mit der Bahn getroffen werden, weil ja mein Auto bereits in Bad Godesberg abgestellt worden war. Notwendige Papiere und Versicherungsunterlagen waren bereitzulegen, Koffer zu packen und nicht zuletzt musste auch unsere Tochter, die beruflich unterwegs war, vom Vorgefallenen unterrichtet werden. Meine Frau war völlig außer sich. Sie kämpfte um ihre Beherrschung und rief in ihrer Verzweiflung bei einem mit unserer Familie befreundeten Arzt an und bat ihn, Näheres über mich aus der Uniklinik in Erfahrung zu bringen. Unser Freund versprach Hilfe. Er wollte zurückrufen, sobald er Bescheid bekommen hätte.
Bis dahin schien die Zeit stillzustehen. Endlich kam der erwartete Anruf. Es hatte längere Zeit gedauert, bis man mich gefunden hatte, denn anders als angekündigt, war ich nicht in Bonn sondern immer noch in Bad Godesberg. Mein Zustand hatte sich derart verschlechtert, dass ein Transport und damit meine Verlegung unmöglich geworden waren. Unser Freund bot meiner Frau nun weitere Unterstützung an, sprach ihr Mut zu und forderte sie auf wann immer es nötig war, sich an ihn zu wenden. Er riet ihr, so bald als möglich zu mir zu reisen und ihm dann anschließend weiter über mich Bericht zu erstatten.
Es wurde immer schlimmer. Wie in Trance, dabei ihre langsam aufsteigende Panik niederkämpfend, verrichtete meine Frau das Notwendige. Sie telefonierte noch mit ihren Eltern, verbrachte eine kurze, sehr unruhige Nacht und fuhr am nächsten frühen Morgen nach Bad Godesberg, in banger Erwartung, aber dann dennoch wieder hoffend, dass vielleicht doch nicht alles so schlimm und dieser Albtraum bald zu Ende sein würde.
Die Bahnfahrt war unter diesen besonderen Umständen für meine Frau anstrengend. Selbst das monotone Rattern der rollenden Räder auf den Gleisen verfehlte seine sonst so ermüdende Wirkung. Die Gedanken kamen einfach nicht zur Ruhe! Sie kreisten im Kopf herum und fanden kein Ende.
Am Bahnhof in Bad Godesberg wurde meine Frau bereits von einer Bekannten des Grafen v. S. erwartet, die sie in seine Wohnung nahe dem Unfallort brachte. Nach kurzem Kennenlernen wurde über die Sache diskutiert. Dabei kam auch zur Sprache, dass niemand etwas gesehen hatte, man aber der Annahme sei, dass ich den Zusammenstoß selbst verschuldet haben müsse, weil ich beim Überqueren der Straße wahrscheinlich in das Auto, welches mich umgefahren hat, reingelaufen wäre. Diese Annahme habe man auch dem ärztlichen Ersthelfer vor Ort so übermittelt.
Die Vermutung fand dann genau so, als völlig unbegründete Behauptung, ihren Eingang in die Aufnahmenotizen des Krankenhauses und wurde dort meiner Frau später auch zunächst ebenso wiedergegeben.
Sobald die Situation es zuließ, begab sich meine Frau auf Quartiersuche, wobei ihr die Bekannte des Grafen behilflich war. Eine nahe dem Krankenhaus gelegene Pension mit netten Vermietern war bald gefunden und nach erfolgter Zimmerbelegung drängte es meine Frau in die Klinik.
Dort angekommen, wurde sie sofort an den Chefarzt verwiesen, der ihr nach kurzer Wartezeit in seinem Vorzimmer zur Verfügung stand. Von ihm erfuhr sie die näheren Einzelheiten, dass ich auf der Intensivstation unter ständiger Beobachtung lag, und hörte hier aus erster Hand, wie es im Augenblick tatsächlich um mich stand.
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