Schortie hatte sie sich angesehen. Seltsam diese Hunde dachte er, ein leichtes Unbehagen befiel ihn. Was war nur so seltsam an denen? Der Gedanke entglitt ihm wieder. Nun fanden die Raubzüge also hier statt. Nicht dass es hier etwas zu holen gab, aber alles war wertvoll, verklumpte alte Federbetten wärmten im Winter, ein alter Stuhl spendete für einen Moment Wärme, niemand war mehr sicher. Schortie überlegte, wie er das Fahrrad und seine Ersparnisse aus dem Ghetto herausschmuggeln könnte. Schortie hatte 10000 Euro gespart und bisher nie angerührt. Geld war nur noch in der Innenstadt im Umlauf. Hier im Ghetto wurde man mit allem „Lebensnotwendigen“ versorgt, da brauchte man kein Geld. Eigentlich war das Geld nur noch zum Heizen gut. Er trug sich seit einiger Zeit mit dem Gedanken aufs Land zu ziehen. Er wusste nur nicht, ob auf dem Land noch Menschen lebten. Aber ich könnte irgendwo eine Hütte bauen und mein eigenes Essen anbauen dachte Schortie und betrachtete seinen Karton mit Sämereien. Alles ist besser als hier zu bleiben. Es wird sicherlich etwas einsam werden, aber ich habe in den letzten drei Jahren sowieso mit keinem Menschen geredet. Noch vor einigen Jahren war das anders, die Leute kannten sich alle untereinander und halfen sich gegenseitig. Warum redet jetzt keiner mehr miteinander. Die Menschen benehmen sich wie Zombies. Kein Leben in den Augen. Ja, es wird einsam werden. Die Geräusche werden mir fehlen. Man hört keine Nachbarn und kommt sich dadurch erst so richtig einsam vor. Ohne das Fahrrad komme ich nicht weit dachte er. Ich muss mir etwas einfallen lassen. Es könnte ein langer Weg werden. Schortie dachte nach, wieder dieses unbehagliche Gefühl, irgendwas stimmt hier nicht, aber was? Der Gedanke entglitt ihm erneut, er kam einfach nicht drauf. Schortie geriet ins träumen.
Kapitel 2
Ein Sommertag vor 15 Jahren. Endlich Wochenende dachte Schortie. Er hatte die ganze Woche täglich 12 Stunden gearbeitet. Seit dem es immer wieder zu Rohstoffengpässen kam, mussten sie die Tabletten mit einer Handpresse in Form bringen. Diese Woche war es Aspirin. Die Überstunden wurden nicht bezahlt, er konnte froh sein, dass er überhaupt noch Arbeit hatte. Die Märkische Pharmazeutika war die einzige Firma, die noch nicht dicht gemacht hatte.
Er wollte zu seinem Kleingarten fahren. Seitdem er von den genetisch veränderten Lebensmitteln gelesen hatte, sammelte er sorgfältig alle Samen seiner Pflanzen ein und von den Obstbäumen trocknete er sorgfältig die Kerne. Er hatte säckeweise Blumenerde gekauft und im Schuppen gelagert. Für den Winter trocknete er regelmäßig Apfel- und Birnenringe, Beeren und Kräuter. Er lagerte Zwiebeln, Knoblauch und Kartoffeln ein, weckte ein, soviel er konnte und er hielt sich Hühner. Was gäbe ich für ein leckeres Schweineschnitzel mit Spiegelei, aber man weiß ja heutzutage nicht, was man da isst. Jeder flecken in seinem Garten war mit irgend etwas bepflanzt. Der blau gestrichene Holzschuppen diente als Hühnerstall. Wegen der Hühner hatte er nicht allzu viele Freunde, eigentlich nicht wegen der Hühner, sondern wegen des Hahnes, der den Vereinsmitgliedern etwas zu früh krähte. Aber laut Satzung sollte Kleintierhaltung ausdrücklich gefördert werden und man musste die Hühner dulden. In dieser Anlage musste alles seine Ordnung haben. Ein Drittel der Gartenfläche musste wenigstens mit Obst und Gemüse bepflanzt werden. Für die meisten hier ein vorsintflutliches Gesetz, an das sich sowieso niemand hielt, außer Schortie. Aber Schortie ernährte sich auch ausschließlich von seinen eigenen Produkten. Jemand räusperte sich hinterm Gartenzaun. Schortie sah auf. Hallo Bertie, hallo Dottie. Bertie, alias Bernard Schmidt, verzog das Gesicht. Bertie war der Vorsitzende dieses Kleingartenvereins und ein richtiger Beamtentyp. Deshalb war er auch hervorragend für diesen ehrenamtlichen Job geeignet. Bertie mochte keine Spitznahmen. Er achtete immer darauf alle mit ihrem korrekten Vornamen anzusprechen. So auch Schortie, alias Georg Hannes Büchner. Seine Frau Dottie, alias Dorothea Schmidt war da sehr angepasst, aber wenn sie ihn traf, nannte sie ihn Schortie, wie alle hier. Auch sonst war Bertie das personifizierte Gesetz. Er achtete strikt darauf, dass sich alle an die Regeln hielten. Dieses Wochenende war es wieder einmal Zeit für eine dieser langweiligen Versammlungen. Bertie überraschte Schortie, in dem er sagte, wir geben heute eine Grillparty, ich habe unglaublich günstiges Fleisch bekommen und die Salatzutaten waren fast geschenkt. Es ist dieses Jahr immerhin das 50jährige Bestehen unseres Vereins. Schortie dachte nur, es geht los und betrachtete Dottie das Muttertier. Er stellte sich vor, wie modifizierte Aminosäuren aus der Nahrung in jede Zelle eindrangen und diese, zu was auch immer, veränderten, ja sogar bis ins Gehirn gelangten und natürlich das Baby ernährten. Eine neue Spezies wird geboren dachte er. Dottie war endlich wieder schwanger. Ihr erster Sohn war schon 8 Jahre und sie wollte schon immer noch ein zweites Kind haben, aber bis jetzt hatte es einfach nicht geklappt. Nun war sie im 6. Monat schwanger. Schortie mochte keine Kinder. Er schien für viele Frauen attraktiv zu sein, er war sehnig, fast mager, 1,70 Meter groß mit blauen Augen und dunkelblonden Haaren. Er hatte eigentlich auch nichts gegen eine Beziehung, er wollte nur keine Kinder. Erst schienen das die Frauen auch so zu sehen, aber nach einiger Zeit wollten sie ihn regelmäßig festnageln und redeten nur noch vom Familie gründen und vom Kinder kriegen. Er verstand einfach nicht, wieso alle so versessen auf Fortpflanzung waren, wo doch die Welt gerade unter ging. Schortie hatte vorgesorgt. Er hatte sich letztes Jahr sterilisieren lassen. Seit dem hielten seine Beziehungen nur noch einige Wochen, was ihn aber nicht unbedingt störte. Irgendwann merkten seine Lebensabschnittsgefährtinnen dann meistens, dass sie einfach nicht schwanger wurden. Er hatte jetzt sowieso andere Sorgen, der Kleingarten warf nur genug Nahrung für ihn selbst ab. Er wollte mit niemandem zusammen sein, der genverseuchte Nahrung aß. Wer weiß, zu was für Monstern die sich entwickeln.
Schortie überlegte, was er tun sollte. Er war fest davon überzeugt, dass es sich bei Berties Fleisch um genveränderte Ware handelte, es war einfach zu billig. An den Versammlungen musste man teilnehmen, sich wie im Kindergarten in eine Anwesenheitsliste eintragen. Ich muss hingehen, aber wie kriege ich es hin, nichts zu essen oder zu trinken fragte er sich? Wann soll es denn losgehen fragte er Bertie. Wir treffen uns um 18.00 Uhr am Vereinshaus. Ok, dann bis nachher sagte Schortie und wandte sich wieder seiner Arbeit zu.
Es wurde eine grandiose Party. Die Hälfte der Vereinsmitglieder war so besoffen, dass sie nicht mehr stehen konnten und die andere Hälfte war kurz davor. Es war eigentlich ganz leicht, nichts zu essen oder zu trinken. Man lief einfach mit einem ständig vollen Glas durch die Menge und erzählte entweder, dass man schon gegessen habe und total satt war, oder, dass man noch etwas warten würde, weil man keinen Hunger habe. Irgendwann fragte sowieso niemand mehr danach. Es war eigentlich das letzte Mal, dass alle miteinander geredet und zusammen gelacht hatten. Danach ging eh alles nur noch den Bach runter.
Zwei Wochen später machte Schorties Firma dicht. Er war, wie so viele andere, arbeitslos. Zwei Jahre zahlte die Stadt noch seine Wohnung. Ein Jahr später wurde dem Kleingartenverein gekündigt. Man begann die Zäune zu bauen, der Kleingartenverein trennte den guten Bezirk vom Armenviertel. Schortie musste seine Hühner schlachten. Es war das letzte Mal, dass er Fleisch zu essen hatte. Jede freie Ecke seiner Wohnung war mit Blumenkübeln zugestellt, aber er musste sich trotzdem sehr einschränken, da die Obstbäume wegfielen. Er begann Eicheln und andere essbare Pflanzen zu sammeln. Irgendwann hatte er mal ein Buch über das Essen im Mittelalter gelesen, das kam ihm jetzt zugute.
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