Als sich die beiden wieder in der Nähe des Feuers befanden, nahm ich mich der Wunde des Dschelabi sorgfältiger an, als es vorhin geschehen war. Günstigen Falles blieb er für das ganze Leben lahm; da aber in jenen Gegenden die geringste Verletzung leicht einen gefährlichen Charakter annehmen kann, so war eine schlimmere Wendung gar nicht ausgeschlossen.
Nun war ich neugierig, wie der Fakir el Fukara sich verhalten werde. Teilte er mir den Plan des Alten mit, so war es gut; im andern Falle aber mußte ich ihn hindern, den ihm gewordenen Auftrag auszuführen. Er hatte sich wieder abseits von den übrigen gesetzt und gab mir, als die an der Wache nicht beteiligten Asaker sich zu schlafen niederlegten, einen Wink, zu ihm zu kommen. Als ich dieser Aufforderung gefolgt war, sagte er.
»Setze dich für einige Augenblicke zu mir, Effendi! Ich möchte über eine Angelegenheit, welche mir sehr wichtig ist, mit dir sprechen.«
Ich nahm in der Erwartung neben ihm Platz, daß er mir sein Gespräch mit dem Alten mitteilen werde, aber schon der Anfang zeigte, daß ich mich geirrt hatte, denn er begann:
»Du bist ein Christ. Kennst du euer Kitab el mukaddas genau?«
»Ja. Ich habe es mit besonderem Fleiße studiert.«
»Und kennst du auch die Erklärungen, welche eure Schriftgelehrten dazu gegeben haben?«
»Ja.«
»So sage mir, ob ihr Muhammed für einen Propheten haltet!«
»Nach unserer Überzeugung ist er kein Prophet, sondern nur ein gewöhnlicher Mensch.«
»So giebt es bei euch wohl gar keine Propheten?«
»O doch! Wir verstehen unter den Propheten diejenigen vom heiligen Geiste erleuchteten Männer, welche Gott zu seinem Volke sandte, um dasselbe über die ewigen Wahrheiten zu belehren und es auf den Weg des Heils zu leiten.«
»Das hat Muhammed doch auch gethan!«
»Nein. Der Weg, auf welchen er seine Anhänger wies, ist ein Irrweg.«
»So haltet ihr seine Lehre für durchaus falsch?«
»Ich möchte diese Frage freilich nicht mit einem kurzen ja beantworten. Er hat Richtiges und Falsches zusammengeworfen. Da, wo er lebte, gab es Juden und Christen. Von diesen lernte er den Inhalt unserer Bibel kennen und konstruierte sich aus derselben und aus allerlei heidnischen Anschauungen, welche er vorfand, die Lehre, welche ihr Islam nennt. Was davon aus unserer heiligen Schrift stammt, ist richtig, das übrige aber falsch. Da nun selbst die reinste Wahrheit, wenn sie mit der Lüge verquickt wird, nicht mehr Wahrheit ist, so muß der Kuran trotz vieler Stellen, mit denen wir einverstanden sind, verworfen werden.«
»Effendi, ihr begeht den großen Fehler, den Kuran zu verurteilen, ohne ihn zu kennen.«
»Das ist nicht wahr. Ich kann diese deine Behauptung mit vollem Rechte umdrehen. Giebt es eine einzige muhammedanische Medresse, an welcher die Schüler unsere Bibel kennen lernen?«
»Nein, denn es ist Lehrern und Schülern verboten, sich mit den Lehren Andersgläubiger zu beschäftigen. Sie würden eine große Sünde begehen, wenn sie dies thäten.«
»An unsern Medressen aber giebt es sehr gelehrte und sehr berühmte Männer, welche mit ihren Schülern den Kuran studieren und denselben wenigstens, ich sage wenigstens, ebenso genau kennen wie eure Professoren. Ihr könnt die Bibel gar nicht kennen und nennt uns dennoch Giaurs; wir aber kennen den Kuran und sind also sehr wohl im stande, über den Islam ein Urteil zu fällen.«
»Bist du auch der Schüler eines solchen Lehrers gewesen?«
»Ja, und zwar des berühmtesten. Er hat Abu 'l feda, Beidhawi, Alis hundert Sprüche, Samachschari und andere eurer Gelehrten übersetzt. ich lernte bei ihm eure Sprache, den Kuran, die Sunna und die von euren Religionslehrern dazu gegebenen Erläuterungen kennen und bin bereit, dir über den Islam jede gewünschte Aufklärung zu geben.«
»Wunder über Wunder! Ein Christ will mir, dem gelehrten Fakir el Fukara, Erklärung des Kuran, der Sunna und aller heiligen Schriften geben! Sollte man so etwas für möglich halten! Du bist nicht nur in Thaten, sondern auch in Worten verwegen, Effendi!«
»Von einer Verwegenheit kann da gar keine Rede sein. Was ich sage, hat alles Grund und vollständige Berechtigung. Versuche es!«
»Nein. Ich werde mich hüten, mit einem Christen über den Islam zu disputieren. Du lässest dich doch nicht bekehren. Es waren nur einige wenige Fragen, welche du mir beantworten solltest. Selbst dem weisesten der Weisen ist es unmöglich, ein endgültiges Urteil über unsern Glauben zu fällen, denn Muhammed hat das Werk nur begonnen. Zu Ende führen wird es ein anderer.«
»Wer?«
»Das fragst du? Und doch behauptest du, den Kuran und alle seine Erläuterungen zu kennen! Durch diese Frage hast du bewiesen, daß du sie noch nicht kennst.«
»Du irrst dich abermals. Ich weiß, daß du den Paraklet, den Ma'dijj meinst, den viele von euch erwarten.«
Dieses Wort darf nicht Mahdi, sondern es muß Ma'diji geschrieben werden; es kommt von dem arabischen Verbum hahdaja her, welches »führen« heißt, und bedeutet: der auf den rechten Weg Geführte, der Helfer, der Vermittler. Doch werde ich dem einmal gewohnten Gebrauche folgen und Mahdi schreiben.
»Du, weißt das also doch?« fragte er. »Hast du gehört, daß ein Mahdi kommen wird?«
»Gehört und auch gelesen. Der Kuran erwähnt nichts von ihm, und auch den Kommentaren ist die Sendung eines Mahdi unbekannt; er lebt nur in der mündlichen Überlieferung, auf die ich nichts gebe.«
»Ich desto mehr. Allah wird einen Propheten senden, welcher das von Muhammed begonnene Werk zu vollenden hat. Dieser Prophet wird die Ungläubigen entweder bekehren oder, wenn sie sich nicht bekehren lassen, sie vernichten und dann die Güter dieser Erde so verteilen, daß ein jeder nach seiner Frömmigkeit erhält, was ihm gebührt.«
»Das sind mehr weltliche als religiöse Hoffnungen und Wünsche. Wäre ich Moslem, ich würde mich nur an den Kuran halten, nach dessen Lehren ein solcher Mahdi nicht erwartet werden kann.«
»Wieso? Wenn der Kuran nicht von einem Mahdi redet, so ist das doch kein triftiger Grund, anzunehmen, daß es keinen solchen geben kann und geben wird.«
»O doch, denn die Prophetologie des Kuran ist vollständig abgeschlossen. Nach Muhammeds eigenen Worten ist er der letzte Prophet, den Allah gesandt hat und senden wird; seine Lehre, der Islam, ist in sich vollendet und kann nicht durch Zusätze ergänzt oder gar verbessert werden, und nach ihm wird, wie er sagt, nur einer kommen, nämlich Isa Ben Marryam, und zwar am jüngsten Tage, an welchem er sich auf die Moschee der Ommijaden in Damaskus niederlassen wird, um zu richten die Lebendigen und die Toten. Ganz abgesehen davon, daß Muhammed da den Heiland der Christen als Weltenrichter hoch über sich selbst stellt, macht er damit eure Mahdi-Hoffnung ganz und vollständig zu schanden.«
»Das sprichst du als Ungläubigen«
»Nein, sondern als Kenner des Islam, als welcher ich mich in die Anschauung eines Moslem gedacht habe. Wenn jetzt ein Mahdi erstände, welcher beabsichtigte, die sogenannten Ungläubigen, falls sie sich nicht von ihm bekehren ließen, zu vernichten, so wäre das einfach lächerlich. Es giebt weit über tausend Millionen Menschen, welche nicht Muhammedaner sind; ich will aber nur von uns Christen sprechen. Wie wollte euer Mahdi es anfangen, uns zu vernichten?«
»Mit Feuer und Schwert!«
»Er mag kommen! Und das ist es ja eben, daß er gar nicht kommen kann, nämlich nicht zu uns. Kann eine Quelle der Wüste sich herausnehmen, zum Nile zu kommen, um ihn zu verschlingen? Kann sie die Wüste überwinden und dann die Felsenberge, durch welche sie vom Nile getrennt wird? Sie muß, sobald sie sich aus der Oase hervorwagt, schamrot im Sande verlaufen.«
»Allah wird ihre Wellen mehren und ihre Kräfte stärken, daß sie tausendmal breiter wird als der Nil!«
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