Gegen Konrad gewendet, fuhr der erfahrene Kämpfer fort: „Auf Leute! Es gilt! Mir nach! Wir müssen ihn haben, tot oder lebendig!"
Als erster rannte er gegen Konrad an, als erster taumelte er, von dessen Waffe getroffen, rückwärts die Treppenstufen hinab. Während links und rechts gleich einer Meereswoge die Schildermauer der Seltschanen gegen die Saalpforte anbrandete, wildes Kampfgeschrei aus den Männerkehlen aufstieg und die Waffen klirrten, betteten die Begleiter Witizlas ihren Hauptmann auf seinen Schild und trugen ihn aus dem Getümmel.
„Legt Feuer an das Haus" riet der Alte mit dem letzten Hauch seines verfliegenden Lebens. „Feuer! Er wird euch alle töten."
Die schlechte Vorahnung des Alten sollte sich bewahrheiten. Trotz der großen Überzahl der Angreifer lag schon nach kurzer Zeit des Waffenganges eine ganze Reihe Männer erschlagen vor der Treppe oder krümmten sich mit Verwundungen weg. Schon wichen die Seltschanen zurück. Unsicherheit begann sich breit zu machen und den ersten Mut zu lähmen. Doch noch einmal rollte die Front ihres Angriffs gegen Konrad an, als Lechos Sohn unvermittelt auf den Kampfplatz zurückkehrte und mit lauten Worten die Gefolgsleute aufforderte, den Tod seines Vaters und der anderen Gefallenen zu rächen. In wildem Eifer gegen Konrad anstürmend, riss der Junge die anderen Krieger mit sich.
„Kehre um", versuchte Konrad den jungen Mann davon abzuhalten, in sein Verderben zu stürzen. „Warum willst du sterben? Dein Vater hat Unrecht an meinem Volk und mir getan, ich habe ihn bestraft. Du hast mit der Sache nichts zu schaffen. Warum willst du für die Taten deines Vaters mit dem Leben bezahlen?"
Die Worte Konrads verhallten wirkungslos. Zwar konnte Konrad den jungen Mann zunächst schonen und ihn, als er gegen die Treppe anrannte, mit dem Schild wieder hinabwerfen, so dass er stolperte und hinfiel, doch im Getümmel des anschließenden Gefechts, das in unerbittlicher Härte und Schärfe entbrannte, als Konrad mit seiner Waffe überall zugleich sein musste, um die vielen feindlichen Schwerter und Lanzen abzuwehren, konnte er auf die Jugend des Fürstensohnes keine Rücksicht mehr nehmen. Der Sohn folgte dem Vater nach.
Der Fall des jungen Lecho brachte den Angriff der Seltschanen zum Stillstand. Stumm stand man sich gegenüber: hier Konrad auf der Treppe, mit rottriefendem Schwert und über und über mit Blut bespritzt, gewärtig, das Werk des Tötens beim geringsten Anzeichen von Feindseligkeit fortzusetzen, dort die dumpfe Schar der Angreifer, deren Rachedurst und Siegesgewissheit einer ungläubigen Fassungslosigkeit über die schlimme Wendung der Dinge gewichen war. Zwischen ihnen, über- und nebeneinander, in hellem oder schon dunkel geronnenem Blut erstarrt, mit Wundschmerz und Tod ringend, die zahlreichen Niedergeworfenen und Gefallenen. Konrad brauchte nur noch die Treppe hinabzuschreiten und auf die versammelten Seltschanen zuzustoßen, und sie stoben davon wie eine Schar Hühner, in die der Fuchs geraten ist.
Konrad verfolgte die Fliehenden nicht. Er kehrte, als der Letzte der Seltschanen aus dem Burghof verschwunden war, in den Herrensaal zurück, um dort nach Bodo zu sehen. Er richtete den Schmied auf, berichtete ihm vom erfolgreichen Ausgang des Kampfes und begann anschließend ein gemeinsames Essen von den im Saal reichlich vorhandenen Resten des Mittagsmahls Lechos zu bereiten. Traurig über den Tod Sclagamers, erleichtert jedoch über den erfolgreichen Ausgang des schweren Kampfes, machten sich die beiden nun vereinsamten Männer an das Abendbrot. Sie wurden darin von einer Gruppe alter, unbewaffneter Seltschanen gestört, die sich mit vorsichtigen Rufen anmeldeten und baten, die Gefallenen und Verwundeten aus dem Saal und aus dem Burghof holen zu dürfen. Konrad willigte ein und ließ die Weißhaarigen gewähren.
In der Nacht blieb es ruhig. Konrad, der Wache bezog, konnte das helle Auge des Mondes für sich spähen lassen; nichts, was sich verdächtig bewegte. Vom Himmel stachen die Sterne in eisiger Schärfe hernieder. Nachdem Konrad nach Stunden des Ausharrens und der Ruhe zu der Überzeugung gelangt war, die Nacht sei auch für die Seltschanen zu kalt und es werde sich nichts Ungewöhnliches ereignen, zog er sich von der ungemütlichen Wacht ins Innere zurück, wo er in den Pelzen der getöteten Seltschanen und vor dem glimmenden Kamin einen wärmeren Platz zum Übernachten fand. Bodo, der Schmied, phantasierte im Fieber seiner Wunde.
Wie überrascht war Konrad, als er am Morgen des nächsten Tages den Burghof mit hölzernen Palisaden abgeriegelt fand, hinter denen Reisigbündel und Holz hochgeschichtet waren und die gegen die Pforte des Herrensaales vorgeschoben wurden. Die Seltschanen waren doch nicht, obwohl von ihren Misserfolgen verschreckt und eingeschüchtert, untätig geblieben; sie hatten die Erschöpfung ihres Gegners ausgenützt und ihn mit einem hölzernen Wall eingekerkert. Durch die Palisaden geschützt, waren sie Konrads direktem Angriff entzogen und konnten ungehindert an der Verwirklichung eines Planes arbeiten, dessen Absicht Konrad nur zu schnell klar wurde. Die innere Burg sollte niedergebrannt werden, um damit auch deren Insassen zu vernichten.
Es drohte ernste Gefahr. Konrad, der dem Verschieben der Palisaden tatenlos zusehen musste, konnte kein Schlupfloch entdecken, durch welches er und Bodo, der Schmied, hätten entweichen können. Es blieb ihm und seinem Gefolgsmann nichts Anderes übrig, als auszuharren und abzuwarten. Schon kräuselten graue und schwarze Rauchfäden in die winterliche Luft des Burghofes empor und verkündeten den Beginn der heißesten Phase des Kampfers.
Das Feuer, das an der Pforte und den Wänden des Herrensaales mit roten und gelben Zungen hochleckte, griff mit seiner Glut bald nach den beiden an der gegenseitigen Wand Ausharrenden und nahm ihnen mit Rauch und Hitze den Atem. Schon loderte die Innenseite des Gebäudes, schon ließen die Flammen das stroh- und schilfgedeckte Dach in einem knisternden Funkenregen hochgehen. In das niederprasselnde Bauwerk, geworfen von eifrigen Seltschanenfäusten, flogen, feurigen Vögeln gleich, von draußen brennende Reigisbündel und Strohpuppen herein, das Werk des Rauches zu beschleunigen und zu vollenden. Sie engten den feuerfreien Kreis des Herrensaales weiter ein.
Es war abzusehen, dass sich Konrad und sein durch das Feuer verstärkt leidender Kampfgefährte nicht mehr lange im Herrenhaus halten konnten. Die Hitze begann sie an den Augenbrauen zu zupfen und ihnen die Haut aufzureiben. Ein Ausweg musste gefunden werden; sie mussten, koste es, was es wolle, aus der glühenden Falle heraus. Konrad bereitete eben den Durchbruch nach draußen vor, eine Verzweiflungstat, als eine jähe und überraschende Wende der Dinge eintrat. Unter der dicken Holzschwarte eines Tisches, geschützt gegen niederbrechendes Gebälk und den Flammen- und Funkenregen, wollte Konrad mit seinem verwundeten Begleiter einen Ausbruch nach draußen wagen, schon hatten die beiden eine schwere Platte auf ihre gekrümmten Rücken gehievt und wollten eben mit dem Anlauf gegen die Feuerwand beginnen, als prasselnd die Vorderseite des Herrenhauses zusammenbrach, als sei sie von einem gewaltigen Fuß eingetreten worden. Das lodernde Dachgebälk flog weg, als sei es mit grobem Griff weggerissen worden. Rauch und Hitze waren plötzlich wie weggeblasen und die Glut wurde unerwartet erstickt. Was war geschehen?
Die Seltschanen glaubten angesichts der lodernden Burg schon, über ihren so unbesieglich scheinenden Gegner triumphieren zu können, als sich plötzlich düstere, schwere Nebelschwaden aus der Flußaue auftürmten und wie eine unheimliche Riesenschlange auf Wesamin zukrochen. Die Sonne wurde verschluckt, den Dingen wurde Glanz und Farbe und jeder scharfe Umriss genommen. Und in den Nebeln war es, als zöge eine Schar Riesen einher, die die Flammen der Burggebäude mit ungeheueren Tritten auseinander schleuderten und die mit feuchten Griffen die Flammen, die glut und die Hitze fassten und zischend erstickten. Wilde Ungeheuer krochen aus den hin- und herdrängenden Nebeln hervor. Ein turmhoher Bär tappte über die vor Entsetzen und Schrecken gelähmten Seltschanen herein, ein Riese mit schlangenartigem Haupt folgte ihm. Furchtbare graue Wölfe, auf Läufen, so hoch wie die höchsten Tannen im Wald, hechelten geifernd herzu und bleckten die tödlichen Zähne, Drachen und Riesengewürm wälzte sich massig über aue und Hang. Eine wüste Schar überschwemmte Wesamin, und erbarmungslos wurde niedergetreten, zusammengestampft und in Stücke gerissen, wer diesen Ungeheuern in den verderblichen Weg geriet. Die Schreie der Entsetzten und Fassungslosen mischten sich mit denen der Getroffenen und Erfassten. Das alles währte nur Augenblicke. Schon hoben sich die Nebel wieder, die Sonne drang wie ein Auge, dessen Lid sich nach schrecklichem Traum hebt, wieder durch und beleuchtete einen Ort schrecklicher Verwüstung und eine Spur grauenvoller Zerstörung.
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