„Ja, kämpfen wir!" erhitzten sich die beiden Heißsporne weiter und schüttelten ihre geballten Fäuste gegen Konrad. „Kämpfen wir! Besser tot, als hörig!" Und zu den Seltschanen gewendet, fuhren die beiden Hitzköpfe fort: „Freunde! Seltschanen! Was zögern wir! Habt ihr nicht vernommen, was uns zugemutet werden soll? Haben die Seltschanen keine Ehre im Leib, dass sie sich so etwas bieten lassen? Wir wollen diesem dahergelaufenen Fremdling zeigen, mit wem er es zu tun hat!"
„Einen Augenblick fühlte sich Konrad versucht, einen groben Keil auf diese groben Klötze zu setzen, das Schwert herauszureißen, die Herausforderung anzunehmen und gleich vor Ort zu regeln. Doch er besann sich, bewahrte kaltes Blut und wandte sich den anderen, bislang schweigenden Seltschanen zu.
„Ist das die Meinung auch der anderen Anwesenden", fragte er gelassen, ohne die beiden Rebellen weiter zu beachten. „Sprechen die beiden für alle oder nur für sich? Wollen die Seltschanen den Kampf wirklich fortsetzen?"
Die Antwort auf dieses Fragen kam von einem greisen Seltschanen, der, mit zahnlosem Mund, aber geradem Rücken und fester Haltung und mit bedächtiger Rede erwiderte.
„Entschuldigt diese unbedachten Worte, Herr", begann er mit der Würde eines Mannes, der sich auch im Unglück seines Wertes bewusst ist. „Miko und Otlo reden unvernünftig wie Kinder, und sie sprechen keineswegs für das seltschanische Volk. Ihr dürft nicht auf sie hören, Herr."
Der Alte wendete sich nach dieser Entschuldigung seinen Gefährten zu. Er hob, jetzt im Zorn, die Hände und herrschte die beiden Hitzköpfe an. „Wie könnt ihr es wagen, Miko und Otlo, in dieser schweren Stunde unseres Volkes so unverantwortlich zu denken und zu reden! Habt ihr keine Augen im Kopf? Könnt ihr nicht über die Spitze eueres Schwertes hinaussehen? Blickt euch um! Da! Seht ihr nicht die schwarzen Überreste von Lechos Saal? Seht ihr nicht die Farbe des eingetrockneten Bluts auf dem Boden hier? Wie könnt ihr an Kampf denken, wo Lecho, wo Witizla und die Besten unseres Volkes tot sind? Genügt euch das Ausmaß des bisherigen Unglücks nicht? Wollt ihr es vermehren? Wollt ihr so lange weiterkämpfen, bis der letzte Seltschane gefallen ist? Sollen in unsren Dörfern die Bären und Wölfe Einzug halten? Wo ist euer Verstand hingeraten, Miko und Otlo, dass ihr euch so ereifern und so unbedachte Worte reden könnt! Ich bin der Älteste hier. Ich habe viel erlebt und gesehen, mehr als jeder von euch. Hört auf mich! Lecho hat Unrecht getan und den Frieden gebrochen. Wer wüsste das nicht. Ich hatte ihn gewarnt und ihm abgeraten. Lecho wollte nicht auf mich hören. Nun ist das Unheil, das von ihmausging, auf ihn und unser Volk zurückgefallen. Wir wollen es nicht unnötig vergrößern, sondern vermeiden, was zu vermeiden geht, verringern, was zu verringern geht; wir wollen tragen, was uns aufgebürdet wird.Die Last ist nicht zu schwer, meine Freunde. wir können damit leben. Ich habe Schlimmeres erwartet und bin erleichtert, dass wir glimpflich davonkommen. Jawohl! Das muss gesagt sein. So ist es. Wir,die wir hier versammelt sind, werden tun, was uns befohlen. Wir werden morgen zusammentreten und aus unserer Mitte einen neuen Herrn wählen. Wir werden gemeinsam den Frieden beschwören, und jede Hand soll verdorren, die das verweigert. Auch ihr Miklo und Otlo, werdet schwören, oder ihr seid in Zukunft keine Seltschanen mehr. Unser Volk soll leben, nicht sterben!"
Der Alte beendete seine leidenschaftliche Rede. Er blickte auf seine umstehenden Begleiter. Diese schlossen sich ohne Zögern seinen Ausführungen an.
„So soll es sein. Genau wie du es sagst, Drago. Wir werden morgen schwören. Des Elends muß ein Ende sein. Wer sich nicht fügen will, für den gibt es keinen Platz unter uns".
Auch das war deutlich genug. Drago wusste die Mehrheit seiner Begleiter hinter sich. Er wandte sich Konrad wieder zu.
„Ihr habt vernommen, Herr, wie wir wirklich denken. Hört nicht auf die unklugen Worte der wenigen, nehmt die Meinung der Mehrzahl. Wir wollen Frieden machen und ihn halten. Dazu sind wir nicht nur deshalb bereit, weil Ihr der Stärkere seid, sondern auch, weil Ihr uns den Frieden nicht zu schwer gemacht habt. Wir danken Euch für Eueren Großmut. Morgen werden wir den Eid schwören."
„Ich bin, Drago, über deine Worte sehr erfreut", erwiderte Konrad dem Alten. „Es soll Frieden sein".
Besiegelt wurde der Friede am nächsten Morgen auf dem Feld vor der Burg. Als Konrad dort, hoch zu Roß, mit seiner Begleitung erschien, erwarteten ihn die Seltschanen in ihren Waffen. Zwar waren viele Gesichter verdüstert und, wenn Blicke hätten töten können, wäre Konrad vielfach durchbohrt vom Pferd gesunken, doch blieben Unmutsäußerungen aus. Der Rat der Alten begrüßte den Ankömmling, Drago übernahm das Wort. Er stellte Konrad seinen Sohn Thiddag vor, der nach dem Willen der Alten und durch die Wahl der seltschanischen Krieger der neue Anführer und Herzog der Seltschanen sein sollte. Thiddag war nicht mehr der Jüngste, ein Mann von mittlerer Größe, in dessen braunes Haar sich die ersten grauen Fäden wie Spinnweben zogen. Er machte einen besonnenen Eindruck und wusste seine Worte ruhig zu setzen. Konrad bestätigte seine Wahl zum Führer der Seltschanen und zum Burgherrn auf Wesamin. Er nahm ihm, während die Seltschanen einen großen Ring um Konrad, Thiddag und den Rat der Alten schlossen, den Friedenseid ab. Thiddag beugte vor Konrad das Knie, Konrad umfasste mit seinen Händen die des knienden Thiddag und ließ ihn den Eid schwören. Die Krieger klopften mit ihren Schwertern auf ihre Schilde, bestätigten dadurch den Vorgang. Thiddag war angenommen. Der Gewählte hielt eine kurze Rede an die Versammelten, in welcher er von dem großen Unglück sprach, das über die Seltschanen hereingebrochen sei, das nunmehr aber sein Ende gefunden habe. Thiddag forderte seine Landsleute auf, alle düsteren Gedanken zu begraben und keine Unbesonnenheit zu begehen. Er bedankte sich noch einmal bei Konrad für dessen Großmut und versicherte ihn des Willens zum Frieden. Nachdem Thiddag gesprochen hatte, ging man auseinander. Die Seltschanen zerstreuten sich; Konrad trat mit seinen Männern den Heimweg an.
Der Kampf mit Lecho und den Seltschanen blieb nicht, wie man annehmen sollte, ein einzelnes Ereignis, von einem machthungrigen und anmaßenden Fürsten begonnen und von Konrad nach harter Bedrängung siegreich beendet, sondern bildete geradezu den Auftakt zu einer Sinfonie blutiger Auseinandersetzungen. Gleich einem Stein, der, in einen Teich geschleudert, Wellen aufwirft, die sich Ring um Ring ausweiten und von innen nach außen, vom kleinen zum großen Kreis den ganzen Wasserspiegel aufwellen und überziehen, so zog der Kampf um Wesamin immer weiter ausgreifende Konflikte nach sich.
Der Frühling hatte noch nicht richtig die blitzenden Raubtierzähne des Winters von den Dachtraufen der Hütten und Häuser entfernt, er hatte kaum das einfarbige Leinen, das die Landschaft zudeckte, mit dem vorsichtigen Grün der Schneeglöckchen und den ersten Farbtupfern wilder Krokusse durchlöchert, als das Getrappel von Pferdehufen in den aufgehenden Wäldern er scholl, das metallene Geklirr von Waffen durch das Tal von Konradsgrün schepperte und rauhe Männerstimmen die frohe Botschaft von der Rückkehr der milden Jahreszeit nicht gerade mit Schalmeien begleiteten. Ein langer Schlangenleib Reiter, mit Rüstungen und Panzern wie mit Echsenschuppen bedeckt, flankiert und gefolgt von Reisigen und Tross, trabte, den Windungen des Baches durch die Tannen und Fichten folgend, in das Waldland hinein.
Wenna, die Gemahlin Lechos, war nach dem Untergang ihrer Familie und nach der Niederlage der Seltschanen auf Wesamin aus der verkohlten, gespensterhaft dunklen Burg geflohen und hatte sich, schwer von Trauer und erfüllt von düsteren Visionen der Rache, mit ihrem engeren Gefolge nach Klutschov begeben, zu Radbod, ihrem Bruder, und Herrn über das nachbarliche Brudervolk der Lemusi. Wenna lag ihrem Bruder mit Bitten, Forderungen und Ermahnungen in den Ohren, unterstützt von den beiden seltschanischen Führern Miko und Otlo, die voll Grimm über die angeblich weibische, auf jeden Fall aber schimpfliche Unterwerfung des Drago, seines Anhangs und des seltschanischen Volkes und trotz des Eides, der Konrad geschworen worden war, ebenfalls lieber das Exil gesucht hatten und das Risiko des Elends in der Fremde eingegangen waren. Es war indes weniger die verwandtschaftliche Verpflichtung, das Leid der Schwester, den Tod des Schwagers und des Neffen zu rächen, die Radbod zum Handeln bewog, auch nicht die Verlockung eines kriegerischen Abenteuers und die damit verbundene Gelegenheit, Beute zu machen, als vielmehr die Aussicht, wie er glaubte, sich selbst auf den verwaisten Thron der Seltschanen schwingen, die Völker der Lemusi und Seltschanen vereinen und seinen Herrschaftsbereich ordentlich erweitern zu können. Also rüstete man in der Heimlichkeit des Winters, berief einen großen Teil der waffenfähigen Männer ein, begründete den Heerzug mit der Notwendigkeit der Rache für ein zugefügte Unrecht und zugleich der Abwehr eines gefährlichen Angreifers und brach auf, sowie sich der Winter aus den Ebenen über die Schwelle des Gebirges nach Norden zurückzog.
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