Es fängt an zu dämmern und ich mache mich auf den Heimweg. Am Ufer zwischen Passathafen und Fähranleger stehen sich die Angler die Beine in den Bauch. Alle Eimer sind noch leer. Die Dorsche und Heringe scheinen heute einen anderen Weg zu nehmen.
Mantel, Mütze, Stiefel und Pullover tausche ich gegen dünne schwarze Ballerinas, eine bunte Seidenbluse über einer schwarzer Hose und eine leichte rote, etwas längere Strickjacke, zum kaschieren meines Hüftgoldes, das sich aber bei Kleidergröße zweiundvierzig noch in Grenzen hält.
„Kommen Sie aus der Sauna“, fragt mich Professor Maus, als ich eintrete, „Sie haben ja ganz rote Wangen.“
„Ach so“, antwortete ich und tätschele mit den Fingern mein Gesicht. „Ich komme gerade von einem langen Spaziergang.“
„Ich habe uns wieder einen Blümchenkaffee - wie Sie ihn genannt haben - gekocht. Ich denke das ist in Ordnung. Oder?“
Er macht mit den beiden gekrümmten Zeigefingern bei Blümchenkaffee zwei Gänsefüßchen in die Luft. Weihnachtsgebäck, wie Spekulatius und Vanillekipferl liegen auf einem Teller, der in der Mitte des Tisches steht. In seiner Glasvitrine steht neben seinem Hochzeitsfoto noch ein Bilderrahmen mit einem etwas neueren Foto in Farbe. Eine Segelyacht, Hallberg-Rassy 44 ist am Heck zu lesen, eine hübsche junge Frau mit Sonnenbrille, die am Ruder steht und ein kleiner Hund, mit einer Schwimmweste um seinen Körper.
„Das ist ja niedlich, sind das Ihre Frau und Ihr Hund?“
„Nein, meine Frau und ihr Hund. Ich war für den Hund nur gleichberechtigter Geselle, oder die zweite Geige, der Rudelführer war sie.“
Er unterbricht mein Lachen und sagt: „Zu meinen Bildern kommen wir später. Sie möchten mir eine Geschichte erzählen, ich bin schon ganz gespannt.“
„Das ist aber nicht mal eben in einer Stunde erzählt. Um das alles zu verstehen muss ich etwas weiter in die Vergangenheit zurückgehen.“
„Nur zu, wir haben alle Zeit der Welt.“
„Zeit? - haben wir nicht mehr im Überfluss.“
Wir schreiben das Jahr 1993 und ich befinde mich an einem schönen sonnigen Tag im August mit meinem Wagen auf dem Weg in die Schweiz…
„Nein, nein, nein, das glaube ich jetzt nicht. Mit der Schweiz verbindet mich fast mein halbes Leben. Diese Zufälle sind ja schon beinahe gespenstig. Aber bitte, fahren Sie gerne fort, ich möchte Sie jetzt nicht mehr unterbrechen“, sagt Professor Maus.
… Ich fuhr ohne Eile und normalerweise brachte mich beim Autofahren so schnell nichts aus der Ruhe, weil ich gerne Auto fuhr. Alle Personen die bisher mit mir gefahren waren, bestätigten mir, dass ich eine gute und sichere Autofahrerin sei. Sogar mein Mann, der sich permanent über „Frau am Steuer“ aufregte.
Der gelbe Porsche der schon seit einigen Minuten an meiner Stoßstange klebte, machte mich jedoch nervös.
B - KA 964, ein Kennzeichen, das sich für immer und ewig in meinem Kopf festgesetzt hatte. Dann fahr schon vorbei du Schwachkopf, pöbelte ich lautstark in meinem Wagen. Ich hatte auf dem Weg in die Schweiz in einem kleinen Golfhotel am Bodensee übernachtet und mich am Morgen in aller Herrgottsfrüh auf den Weg gemacht um die Landschaft noch ein wenig genießen zu können. Die Wolken hingen tief in den Gipfeln des San Bernardino, aber die Sonne drückte bereits mit all ihrer Kraft, an diesem warmen Augustmorgen. Die meisten Reisenden nahmen den schnelleren Weg durch den gut sechs Kilometer langen Autotunnel, aber ich verließ kurz vorher die Schnellstraße und fuhr über den Pass. Ich liebte die Serpentinen mit ihren schlangenförmigen Windungen über dieses gewaltige Alpenmassiv, mit seinen vom Gletschereis rund geschliffenen Felsen und den kleinen Bergseen. Diese beeindruckende Schönheit der Natur faszinierte mich immer wieder, seit mein Mann und ich einige Jahre zuvor das erste Mal – mehr oder weniger zufällig – über den Pass gefahren waren, weil der Tunnel kurzfristig gesperrt war. Trotz dieser imposanten und bewundernswerten Landschaft wäre ich niemals auf die Idee gekommen, meinen Urlaub im Gebirge zu verbringen. Für mich fing der Urlaub an, wenn ich den Kanton URI verlassen und das Tessin, den südlichsten Kanton der Schweiz erreicht hatte. Mein Reiseziel war das malerische und mondäne Städtchen Ascona am Lago Maggiore…
„Kennen Sie Ascona?“, frage ich zwischendurch.
„Nur flüchtig, wir waren mehr am Genfer See beheimatet, dem französischen Teil der Schweiz.“
„Ja natürlich, Ihre Frau war ja Französin. In welcher Sprache haben sie sich unterhalten?“
„In beiden. Wenn sie etwas auf Französisch gefragt hat, habe ich in Deutsch geantwortet und umgekehrt.“
… Nun ja. Ascona, einst ein kleines Fischerdorf, heute eine Perle am Lago Maggiore, seit Jahrzehnten legendärer Treffpunkt von Künstlern und der Schickeria. Obwohl ich selbst leidenschaftliche Hobbymalerin war, zählte ich mich nicht unbedingt zu den Künstlern und schon gar nicht zur Schickeria, wobei man letzteres leicht mutmaßen konnte, wenn ich mit dem Mercedes meines Mannes in den Golfclub fuhr…
„Spielen Sie immer noch Golf?“, unterbricht mich Professor Maus.
„Ja, in den Sommermonaten gerne noch ein- bis zweimal in der Woche. Aber keine Turniere mehr. Ich warte schon sehnsüchtig auf den nächsten Frühling.“
… Selbstverständlich hatte ich auch dieses Mal neben diversen Haushaltsartikeln und einigen Dekorationsstoffen, mein Golfgepäck, einen kleinen Koffer mit Ölfarben und Pinseln und ein paar Leinwände im Kofferraum. Für die nächsten drei Wochen hatte ich mir vorgenommen, das Haus noch ein wenig zu gestalten und so richtig zu relaxen. Entspannen und abschalten konnte ich am besten beim Golfspielen und Malen. Zwei Jahre zuvor hatten wir uns in Ronco, einem beschaulichen und ruhigen Dorf oberhalb des Sees und unweit von Ascona entfernt dieses kleine Ferienhaus gekauft. Eines dieser typischen halbrunden Tessiner Häuser mit ihren roten Ziegeldächern. Am Ende der Dorfstraße am Hang gelegen und nur durch eine steile und unebene Steintreppe zu erreichen, was in dieser Gegend nichts Ungewöhnliches war. Ursprünglich hatten wir die Absicht, uns in einem der Appartementhäuser in Ascona eine Wohnung zu kaufen und uns nur so zum Spaß etwas außerhalb dieses Haus angesehen. Es musste von innen von Grund auf renoviert werden, aber ich hatte mich sofort darin verliebt. Dieser traumhafte Blick von der Terrasse hinunter auf den Lago und die Bucht von Ascona. Das gesamte Grundstück war eingesäumt von üppiger, teilweise exotisch wirkender Vegetation. Zwischen Buchen, Birken, Palmen und Kastanienbäumen bildeten Adlerfarn und gewaltige bis zu vier Meter hohe Bambuspflanzen ein eindrucksvolles Unterholz. Eine bezaubernde und einzigartige Blütenpracht hing in dieser Frühlingswoche (es war Anfang April als wir das Haus besichtigt hatten) über der grauen Mauer und dem schmiedeeisernen Tor des Gartens, der im Ganzen ziemlich verwildert war. Das Haus an sich sah sehr verwahrlost aus. Nein, es sah nicht nur so aus, es war tatsächlich heruntergekommen. Casa Emilia stand mit verblasster Farbe auf der verwitterten grauen Hauswand neben dem Eingang. Es war so üblich im Tessin, den Häusern Namen zu geben. Casa, Villa, oder Residenza soundso“.
„Signora Tobler ist im letzten Herbst verstorben. Die alte Dame hat hier alleine gewohnt, mit ihrem Hund. Das Haus hat den ganzen Winter über leer gestanden. Der Sohn, ein Geschäftsmann aus Zürich, hat sich jetzt dazu entschlossen es zu verkaufen“ erzählte uns der Makler, während wir uns die Räume ansahen.
„Tobler? Doch nicht etwa aus der Schokoladendynastie?“ fragte ich.
„Nein, nein“ lachte er, „Tobler ist in der Schweiz ein geläufiger Name, wie bei Ihnen vielleicht Müller, oder so. Wenn Sie ernsthaftes Interesse haben, werde ich gleich morgen Kontakt zu Signor Tobler aufnehmen, da hätten wir nämlich noch ein kleines Problem.“
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