Die vorgebliche Touristin filzte Emiliana routiniert und entnahm aus ihrer Handtasche Schlüssel, Geldbörse, Handy und eine Zugangsmagnetkarte mit Emilianas Foto drauf, die ausschließlich für diesen Tag ihre Funktion haben sollte. Sie packte sie in ihre eigene – Emilianas Handtasche zum Verwechseln ähnliche – um. Die Unbekannte sah jetzt wie Emiliana aus, blickte noch zu der Betäubten, hob deren Unterleib an und steckte der ein ansehnliches Bündel aus Hundert-Euroscheinen in die Gesäßtasche ihrer Jeans.
»Damit sich‘s auch für dich gelohnt hat, Mädchen… und du später nicht sagst, ich hätte dich beklaut«, flüsterte die falsche Emiliana und öffnete eine Hecktür des Kastenwagens. Sie stieg aus und versperrte den Wagen.
‚Emiliana‘ ging auf den Hintereingang des Hotel Columbus zu, um ihre Schicht als Kellnerin des hoteleigenen Toprestaurants ‚La Veranda‘ anzutreten. Das Restaurant war bis zum Abend Sperrzone für normale Gäste. Die Formulierung ‚Heute geschlossene Gesellschaft‘ prangte dann auch am Haupteingang des ‚La Veranda‘.
Die falsche Kellnerin blieb stehen, als einer der beiden Bodyguards seine Hand der zierlichen jungen Frau entgegenstreckte. Es wäre ein Leichtes für sie gewesen, ihm seine Hand auszurenken, nahezu gleichzeitig dem anderen mit einem Sprungkick das Genick zu brechen und noch mit den Beinen in der Luft dem vor Schmerz schreienden Ersten dasselbe mit ihrem anderen Bein zukommen zu lassen. Die ganze Aktion würde irgendwas zwischen ein und zwei Sekunden dauern.
»Ciao, ragazzi!«, sagte sie keck.
»Ciao, Emiliana. Du solltest heute früher kommen.« Die menschliche Schrankwand in Anzug und Krawatte blickte auf die anderthalb Kopf kleinere ‚Emiliana‘ hinunter.
»Ich weiß, Tonitoni… ich hatte das auch vor.« Sie senkte reumütig den Blick, sprach perfektes Italienisch mit römischem Dialekt und benannte den Bewacher wie stets – wenn mal wieder ‚die Wichtigen von drüben‘ das Restaurant aufsuchten – statt ‚Antonio‘ als doppelten Toni. Das war eine nicht mehr revidierbare Benamung, weil Emiliana ihn vor Jahren aufgrund seiner stattlichen Statur gefoppt hatte, dass er kein Antonio sei, sondern man aus ihm ‚zwei Tonis machen könne‘. Demnach Tonitoni.
Tonitoni nahm ‚Emilianas‘ Zugangskarte und scannte sie mit einem Handscanner, den er anschließend wieder in ein Halfter steckte, dann nickte er sie an. ‚Emiliana‘ legte ihre Handtasche ab, hob ihre Arme, er tastete sie ab. Währenddessen beobachtete sie grinsend beide Bodyguards und wackelte mit dem Po. Sie tippte, welche Waffen die beiden unter ihren Jacketts anhand der Ausbeulung haben konnten. Beim einen tippte sie auf eine Glock, beim anderen auf eine Beretta. Nein, doch nicht. Beide eine Glock. Sicher!
Ö sterreichische Glocks … Topwaffen, aber ausr ü stungstechnisch seid ihr keine Patrioten!
»Und? Was ist passiert, ragazza?«, brummte der schwarzhaarige Tonitoni. Sein glatzköpfiger Kollege hielt sich mit Worten zurück und versuchte unauffällig zu erhaschen, dass sie auch diesmal keinen BH trug. Es war nicht wirklich unauffällig für eine aufmerksame ‚Emiliana‘. Ihre vollen Brüste spannten das T-Shirt. Bingo! Wieder kein BH! Nunmehr konnte sich der Glatzköpfige ganz ihrer Handtasche widmen, wühlte darin, holte Schlüsselbund, Geldbörse und Handy heraus, ließ sich von ‚Emiliana‘ ihre Armbanduhr aushändigen, gab ihr die Handtasche zurück und nickte in Richtung Metalldetektor.
»Na, was wohl?«, spitzte sie beim Passieren des Metalldetektors. Alles sauber. Sie nahm Uhr, Handy, Geldbörse und Schlüsselbund wieder in Empfang. Routine.
»Aha. Wieder dasselbe, du kleines Luder?«
»Claro. Ich hatte noch netten Besuch, den ich erstmal leermachen musste. … Er kam spät«, setzte sie zweideutig nach und leckte obszön über ihre Lippen.
»Ach deswegen klingt deine Stimme heute so belegt«, scherzte Tonitoni.
Hm … hab ich meine Stimme doch ein bisschen zu tief verstellt.
Passt schon … hab ja jetzt einen Grund daf ü r.
Die beiden Bodyguards lachten sich an. Jetzt traute sich auch der andere etwas zu sagen.
»Dann hast du heute schon was zu dir genommen und brauchst später kein Personalessen mehr«, feixte der.
»Doch. Ich bin immer hungrig.«
»Aber auf uns nicht, Zuckerpüppchen«, bemerkte Tonitoni mit nicht nur gespieltem Bedauern. »Kannst uns sogar beide auf einmal haben.« Die Männer lachten und nickten sich an. »Zwei richtige Kerle auf einmal als immer nur die halben Würstchen, die du sonst in dein Bett lässt.«
»Tss, ragazzi! Sexuelle Intimität würde unsere wundervolle Freundschaft killen«, kokettierte sie und rieb kurz über Tonitonis Kinn.
Ups! Ich sollte vielleicht nicht ‚ killen ‘ sagen. Apropos killen:
Ich k ö nnte dich jetzt t ö ten!
Nur schnell den Finger zwischen Unterkiefer und Adamsapfel …
Tut auch gar nicht weh! … Naja, nicht lange …
»Seh ich anders. Es würd sie vertiefen, würd ich mal sagen. Hahahaha.« Beide Bodyguards lachten dröhnend.
»Aber ich seh‘s nicht anders. Und das zählt«, schnappte die junge Dame.
»Los, rein mit dir!«, brummte ein enttäuschter Bodyguard, der sich die x‘te Abfuhr bei ihr abholte, es aber beim nächsten Mal wieder versuchen würde. Diese scharfe kleine Maus war zweifelsohne ein Miststück, und irgendwann würde auch er mal zum Zug kommen. Hartn ä ckigkeit zahlt sich aus bei Frauen!
Vom hinteren Gang aus konnte man einen Teil des Gastbereichs sehen. Der hohe Besuch war noch nicht da.
‚Emiliana‘ ging in den Personalraum, schloss ihren Spind auf, sah sich um, ob sie unbeobachtet war und zog dann ihr ziviles Gewand aus. Unter ihrem T-Shirt trug sie doch noch etwas, einen hautengen schwarzen Einteiler, der – kürzer als eine Radlerhose – auf ihren Oberschenkeln abschloss. Eine Kampfmontur, die volle Bewegungsfreiheit ließ. Die immersteifen Silikonnippel hinterließen bei den Bodyguards am Eingang den Eindruck, als ob sie unter dem T-Shirt – wie üblich von Frühjahr bis Herbst – nur nackte Haut trug. Sie hätte am liebsten wieder einen ihrer langen Bodysuits angezogen, um ihre in zahlreichen Einsätzen lädierte, zarte Haut an den Beinen zu schützen. Das wäre an diesem heißen Frühsommertag, an dem nur der obligatorische halbkurze Kellnerinnenrock ihre Oberschenkel bedeckte, allerdings aufgefallen. Was garantiert nicht auffiel, war ihr Schuhwerk. Es sah Emilianas normalen Dienstschuhen frappierend ähnlich, war aber rutschfest, kletter- und kampfgeeignet. Sie trug die Schuhe bereits bei ihrem Erscheinen anstelle der normalen Straßenschuhe, die die echte Emiliana immer erst beim Umziehen gegen die Dienstschuhe tauschte. M ä nner achten nicht auf Schuhe – solche Neandertaler wie die beiden schon mal gar nicht.
Zu guter Letzt entnahm sie die Zacken der Keramik-Wurfsterne aus einer Innenwand ihrer Handtasche und setzte sie zu ganzen, funktionstüchtigen Wurfsternen zusammen. Immer, wenn die ‚Wichtigen von drüben‘ – hohe Würdenträger oder Funktionäre aus der in Fußweite liegenden Vatikanstadt – im Restaurant speisten, gab es Personenkontrolle und Metalldetektoren wie am Flughafen. Sie schob die Stern-Teile sorgfältig mittels der eingefrästen Schienen zusammen, kniff ein Auge zu, besah sie sich aus mehreren Blickwinkeln. Jede Schlampigkeit beim Zusammenfügen würde die Flugeigenschaften und damit Treffsicherheit beeinträchtigen. Aus der steifen Seitenkante der Handtasche zog sie ein paar kleine, ebenfalls keramische Wurfpfeile. Sie knöpfte ihre weiße Bluse zu, platzierte Wurfsterne und -pfeile in einem hauchdünnen Spezialgurt, band diesen um, als Letztes die Kellnerinnenschürze drüber und trat in den Restaurantbereich. Der Chef des Restaurants kam hektisch auf ‚Emiliana‘ zu. Sie lächelte entschuldigend.
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