„Hätten Sie nicht lieber doch Lehrer werden sollen? Also ganz ehrlich, Mister Clark, glauben Sie wirklich, dass ich bisher nichts davon wusste? Halten Sie mich wirklich für so dumm, dass Sie glauben, mir ein Privatissimum in Politik und Wirtschaft halten zu müssen?“
„Ihr Akademiker habt ja keine Ahnung von Macht.“ Clarks Stimme klang angewidert. „Aber lassen wir das. Machen wir es kurz. Sie haben es ja richtig erkannt: Sie haben keine andere Wahl.“
Clark machte eine Pause und nahm einen kräftigen Schluck. „Albert, wir kennen uns schon eine ganze Weile, und ich weiß wirklich, dass Sie ein sehr anständiger Mensch sind. Aber glauben Sie mir, dass auch ich keine andere Wahl habe! Wenn wir uns hier und heute nicht einigen, wird diese ganze Angelegenheit ein Nachfolger übernehmen. Mein Nachfolger, verstehen Sie? Und egal, wer es sein wird, er wird Sie nicht so höflich einladen, wie ich es gestern getan habe, sondern Sie einfach rufen, um Ihnen Befehle zu erteilen! Er wird Sie auch nicht belehren , er wird Sie kränken! Und ihm wird es absolut egal sein, ob Sie es verstehen oder nicht. Sie werden sein Untertan sein!“
„Halten Sie mich etwa für einen Exnazi, den man bis ans Ende seines Lebens erpressen kann?“ Von Riddagshausen biss sich kräftig auf die Unterlippe. Aber er empfand keinen Schmerz. „Ich bin nie ein Nazi gewesen, Mister Clark! Niemals!“
„Das weiß ich auch, Albert. Es ist aber auch ziemlich egal, ob Sie einer waren oder nicht. Eins jedenfalls ist absolut sicher: Jeder, der einen Hund unbedingt …“
„… prügeln will, findet auch einen Stock. Ich weiß, Mister Clark.“
„Sehen Sie? Es ist überhaupt keine große Kunst, aus einem Deutschen, der während des Krieges halbwegs erwachsen war, einen bösen Nazi zu machen. Es ist einfach zur Zeit allein euer Problem. Ob Sie es wollen oder nicht.“
Clark ging zum Fenster und sagte: „Es regnet nicht mehr.“
„Gut, reden Sie weiter.“ Albert von Riddagshausen schüttelte den Kopf.
„Sie sind also einverstanden?“
„Wenn ich Sie richtig verstanden habe, lässt sich ihr Angebot ohnehin nicht ablehnen.“
„Gott sei Dank sind Sie vernünftig geworden, Albert. Danke! Sie können sich nicht vorstellen, wie dankbar ich Ihnen bin!“
Clark drehte sich um und blieb mit dem Rücken zum Fenster stehen. Er schaute von Riddagshausen nachdenklich an.
„Ich habe Sie doch wirklich gern, Albert, und ich bin auch mit Sicherheit der letzte, der Ihnen etwas antun möchte. Diesmal hatte ich aber tatsächlich keine andere Möglichkeit. Eine Gelegenheit, wie sie uns Fastman mit seinem Besuch verschafft, nicht auszunutzen, würde für meine Arbeitgeber, die Regierung Ihrer Majestät, fast wie Verrat aussehen. Ganz abgesehen davon, dass es auch das absolute Ende meiner Karriere wäre. Einer Karriere, für die ich mein ganzes Leben hart gearbeitet habe! Ausgerechnet zu dem Zeitpunkt, an dem ich mir sicher bin, die größte Chance meines Lebens auf dem Tablett serviert bekommen zu haben.“
Clark griff in seine Jackentasche, als suche er nach einer Bescheinigung, die ihm seine Einschätzung offiziell bestätigte. Aber er schien nicht fündig geworden zu sein, denn er zog seine Hand leer wieder heraus.
„Es ist unsere Chance, Albert, die Welt endlich von der Arroganz der Amerikaner zu befreien. Selbst ein politisch blinder Mensch wird nicht leugnen können, dass wir alle eine schlimme Quittung präsentiert bekommen werden, wenn wir die Amerikaner auf ihrem Weg zur Weltherrschaft nicht stoppen. Gelingt uns dies nicht, wird die Welt an den Rand einer gewaltigen Katastrophe geraten.“
„Wie meinen Sie das?“
„Die Armen setzen uns, die westliche Welt, mit der Welt der Amerikaner gleich. Sie begreifen nicht, dass wir auch nichts anderes als Vasallen der Amerikaner sind. Und bleiben wir doch auf dem Boden, Albert. Es stimmt ja auch! Wir sind es! Uns geht es nur viel besser. Ich meine materiell. Nur materiell …“
„Mister Clark, trotz aller Differenzen zwischen uns während dieser langen Zeit habe ich nie behauptet, dass ich Ihnen in intellektueller Hinsicht überlegen bin. Sie hingegen tun so, als müssten Sie mir eine Lektion erteilen. Sie können davon ausgehen, dass ich mir der Rolle Amerikas in der Welt durchaus bewusst bin. Ob ich nun Ihre individuelle Meinung teile, sei erst mal dahingestellt. Trotzdem möchte ich Sie jetzt dringend bitten, zu dem Auftrag zu kommen.“
Clark verzog leicht sein Gesicht. „Nein, so stimmt das nicht. Ihnen eine Lektion zu erteilen liegt ganz bestimmt nicht in meiner Absicht. Ich bin ja die ganze Zeit dabei, Ihnen den Auftrag zu erklären. Da Ihre Verantwortung bei dieser Angelegenheit sehr groß ist, muss ich mir sicher sein können, dass wir uns tatsächlich auf der gleichen Wellenlänge befinden.“
Er senkte den Kopf und holte tief Luft.
„Also, Albert, Sie müssen unbedingt Fastmans Vertrauen gewinnen. Das geht am besten, indem Sie sich als einen Menschen darstellen, für den es nichts Wichtigeres geben kann als die Lehre der reinen Wissenschaft und der mit der verlogenen Politik nichts zu tun haben möchte.“
„Das dürfte nicht allzu schwer sein“, sagte von Riddagshausen.
„Um so besser: Dann brauchen Sie nicht schauspielern.“ Clark lachte entspannt. Er schien zufrieden zu sein. Er sah auf die Uhr.
„Ich glaube, das reicht erst mal für heute.“
„Wenn wir sowieso schon alles besprochen haben, dann kann ich ja zurück nach Frankfurt fahren, oder? Über die Konzertkarten wird sich bestimmt jemand anderer freuen.“
Clark sah ihn ernst an. „Nein, Professor. Wir müssen noch etwas besprechen. Wir sehen uns also später. Wenn Sie nichts dagegen haben, schlage ich vor, dass wir uns noch mal unten an der Bar oder im Hotelrestaurant treffen, gegen siebzehn Uhr. Dann haben wir etwas mehr als zweieinhalb Stunden Zeit, um uns vor dem Konzert zu unterhalten. Es ist jetzt zwanzig nach elf. Ihr Gast ist sicher gerade mit Ihrer Tochter zu einem Stadtbummel in Frankfurt unterwegs.“
Clark zog seinen Mantel an und holte seinen Regenschirm aus dem Ständer.
„Übrigens, wie geht es Sara eigentlich? Was hat sie denn jetzt nach ihrem Studium vor?“
„Bis später, Clark“, sagte von Riddagshausen, ohne auf die Frage einzugehen.
Nachdem Clark das Zimmer verlassen hatte, ließ von Riddagshausen in seinem Sessel das Gespräch nachklingen. Er sah zum Fenster. Zwischen den trüben Wolken, aus denen es kurz vorher noch so stark geregnet hatte, schien jetzt die Sonne hervor.
Es war ein absolut klares Spiel. Clark musste unbedingt beweisen, dass er die Fäden zog.
Von Riddagshausen wartete fünf Minuten ab, öffnete die Tür und sah sich um. Der Korridor war völlig menschenleer. Er schloss die Tür ab und ging ein Stockwerk höher zum Zimmer 603, dem so genannten Turmzimmer. Das war eine gute Idee, lobte er sich. Er brauchte ein zweites, ganz abgelegenes Zimmer.
Das Turmzimmer schien ein Relikt aus dem 19. Jahrhundert zu sein. Es war klein und schmal wie ein Waggon, aber sehr gemütlich. Der Professor öffnete die Tür und schlüpfte schnell hinein. Es war genau halb zwölf. Er nahm den Hörer ab und wählte die Nummer von Monikas Büro in Frankfurt.
„Guten Tag, Frau Tegler, von Riddagshausen hier,“ sagte er, „ich hätte gerne mit meiner Frau gesprochen.“
„Ihre Frau hat jetzt eine Besprechung, Herr Professor. Wenn es aber dringend ist, werde ich Sie selbstverständlich verbinden.“
„Nein, nein, nicht nötig! Sagen Sie bitte meiner Frau, dass ich später, gegen dreiundzwanzig Uhr, zu Hause anrufen werde. Ich muss leider noch bis heute Abend in Hannover bleiben und werde gleich morgen früh zurückfahren. Heute wird es wahrscheinlich schon zu spät sein.“
„Das mache ich gern, Herr Professor.“
„Danke, Frau Tegler. Auf Wiederhören .“
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