Wo drin lag der Sinn, die wenige Freizeit, die ihm sein Job ließ, mit Kräften zehrenden Tätigkeiten zu verbringen. Man könnte doch einfach eine Wildwiese einsäen und zwei Schafe darauf weiden lassen. Und wenn man die Schafe immer rechtzeitig auswechseln würde, könnten sie auch den Speisezettel sinnvoll ergänzen. ‚Nicht schlecht, “ feixte es aus dem Gebüsch, ‚du scheinst zu begreifen.’ „Wer soll denn die armen Tiere schlachten?“ ’Findest schon jemand!’ „Kurt“, fragte ihn seine Frau, als er gerade dabei war, einen im Erdreich vergessenen Betonklotz zum Abfallhaufen hin zu bewegen, „soll ich das Abendbrot fertig machen? Nicole und Susanne sind auch gerade gekommen. Wir könnten dann alle zusammen essen.“ „Ja sicher“, sagte Kurt, „ich beseitige eben noch diesen Betonklotz und dann komm ich.“ „Ist der Klotz nicht zu schwer für dich?“ Er spürte bei dieser Frage Inges langen, prüfenden Blick, während sie geschickt diesen versteckten Appell an seine Manneskraft einflocht, um gewiss zu sein, dass der Klotz nicht doch von ihm da liegen gelassen würde, wo er jetzt lag. Im Bewusstsein seiner körperlichen Stärke bewegte Kurt, äußerlich lässig lächelnd und innerlich auf dem Zahnfleisch kriechend, den Klotz die letzten zwei Meter zum Abfallhaufen. Geschafft. Jetzt nur locker sein. Jetzt ja nicht zeigen, dass ihm sein Rücken andeutete, dass der Klotz doch zu schwer war für ihn. „Naaa?“ Diese gedehnte Frage war zwar von Inge berechtigt, doch bewirkte sie bei Kurt eine aufkeimende Verärgerung. Deshalb war seine Reaktion auf die eingangs gestellte Frage bewusst ein wenig schroff:„ Gibt es etwas Besonderes zum Abendbrot?“ „Nein, aber vielleicht möchtest eine Flasche Bier trinken. Allerdings müsstest du dann zum Getränkemarkt fahren und einen Kasten Bier holen.“ Kurt trank an diesem Abend kein Bier sondern Milch. Missmutig aß er sein Brot, schaute kurz beim Fernsehen zu und verabschiedete sich unter einem fadenscheinigen Vorwand zur Nachtruhe. Doch so schnell wollte sich die Nachtruhe bei ihm nicht einstellen. Seine Gedanken drehten sich um das Gestern, um das Heute und um das Morgen. Sie hatten drei wunderbare Kinder, Kurt hatte während seiner Fahrlehrertätigkeit nebenbei Werbegrafik studiert, ein kreatives Metier, das ihn zielstrebig zu seinem Idealberuf geführt hatte. Er hatte sich als Werbeberater selbständig gemacht, sie hatten einen großen Hund, sie hatten zwei Autos, sie hatten einen tollen Bungalow gemietet, sie hatten einen Kamin im großzügigen Wohnraum, sie hatten in nächster Nähe Wälder, Wiesen und Natur pur, warum sollte er unbedingt die nicht urbaren Teile des Grundstückes urbar machen? Doch, verdammt, es machte Kurt auch Spaß, sich körperlich ausarbeiten zu können. Vielleicht hätte er doch einen anderen Beruf wählen sollen. Einen, in dem ihm jemand ständig sagen würde, was er zu tun hätte. In dem schwere Teile von einer Stelle zur anderen bewegt werden müssten. Grundkenntnisse im bedingungslosen Gehorsam waren und wurden ihm immer wieder beigebracht. Oder keimten gar in ihm erste Gedanken an einen Aufstand, eine Arbeitsverweigerung ‚ich habe es heute im Rücken’? Wie würde Inge reagieren, wenn er einen Versuch starten würde? Als Kurt morgens erwachte, schossen ihm die Gedanken, die ihm lange am Einschlafen gehindert hatten, nochmals durch Kopf. Er begann gerade, erste konkrete Arbeitsverweigerungsideen zu entwickeln, als Inge mit ihrer linken Hand zärtlich seinen Arm streichelte und ihn mit sanfter Stimme fragte: „Hast du gut geschlafen, Schatz? Du warst aber auch ganz schön kaputt gestern. Du solltest dir auch nicht zu viel zumuten.“ Ob sie Gedanken lesen konnte, besonders seine? Am Wochenende, hatte Inge gesagt, wollte sie mit dem Pflanzen beginnen. Erst einmal mit der Ecke, die Kurt bereits urbar gemacht hatte. Dann wollte sie Stück für Stück fertig stellen. Es musste auch partiell geschehen, denn durch einen langfristig angelegten Auftrag eines Unternehmens war Kurt in seine Geld bringende Arbeit so eingebunden, dass er alle weiteren Säuberungsaktionen aus dem ehemaligen Lagerplatz vorerst einstellen musste. Deshalb versuchte Kurt auch, Inges Vorhaben um zwei Wochen zu verschieben. „Aber Schatz, die Pflanzenangebote sind gerade so günstig, dass man sie unbedingt nutzen muss“, erwiderte sie mit fester Stimme auf seinen Einwand. Was blieb dem Schatz anderes übrig, als dieser Titulierung auch gerecht zu werden, mit ihr zum Pflanzengroßeinkauf zu fahren und die für diesen Samstag eingeplante Agenturarbeit auf den morgigen Sonntag zu verlegen. Der Verkauf der preisgünstigen Pflanzen fand nicht in einem Gartencenter mit Erlebnisgewächshaus statt, wie sie heute an allen Orten, wo Gärten die Landschaft komplettieren, zu finden sind. Es war mehr eine Gärtnerei im Sinne einer Gärtnerei des neunzehnten Jahrhunderts. Mit extra abgerichtetem Verkaufspersonal. Sie lag am anderen Ende der Stadt und Inge und Kurt fuhren mit Inges Wagen, einem Kombi mit Platz für viele Sonderangebote, dorthin. Mit dem Vorsatz ‚wenn wir schon einmal hier sind, werden wir hier auch kaufen’ begaben sie sich in die Gärtnerei. Sie hatten beide vereinbart, dass jeder von ihnen an der Auswahl der Pflanzen zu gleichen Teilen stimmberechtigt sein sollte. Und aufgrund der zögernden Entschlussbereitschaft seiner Frau ging Kurt davon aus, dass ihm die Auswahl vorwiegend zufallen würde. Schließlich hatte er ja auch den Boden zur Pflanzung vorbereitet. Sein Selbstwertgefühl begann, im Bewusstsein, dass er doch wohl unersetzbar sei, zu steigen. In der Gärtnerei, die noch so geführt wurde, wie Ausgang des neunzehnten Jahrhunderts üblich, nahm man sich nicht einfach einen Einkaufswagen und marschierte los. Man musste auf einen Verkäufer warten. War gerade niemand verfügbar, hatte man die einmalige Chance, sich mit einem kurzen Nicken schnell wieder entfernen zu können. Aber im Allgemeinen stellte man sich stumm und ergeben seitlich hin und wartete, bis jemand kam. Inge und Kurt taten letzteres. Einer der Mitarbeiter der Gärtnerei löste sich nach kurzer Rücksprache mit einem Kollegen aus einem Diskussionspulk und kam freundlich lächelnd auf die beiden zu. Es war ein wind- und wettergeprüfter Endfünfziger, mit tellergroßen Händen und leicht ausgearbeitetem Haar. Sein Körperwuchs war im Mittelmaß stecken geblieben, wobei sich sein Bauch nicht ganz an das Idealverhältnis Höhe zu Tiefe gehalten hatte. Er trug eine salatgrüne Latzhose und darüber eine Leinenjacke im gleichen Grün, das aber stellenweise schon zu welken schien. Ein Knopf vorn, in der Mitte der Leinenjacke am langen Faden angebracht, focht einen erbitterten Kampf gegen das Gezerre, dass der kugelförmig vorgestülpte Bauch an der Jacke bewirkte, und das sich, je nach Bewegung des Eigners dieses Bauches, verstärkte oder leicht nachließ. Der so belastete und gekleidete Mitarbeiter musterte die beiden kurz, um mit seiner ganzen Verkaufserfahrung die zu erwartende Umsatzhöhe einzuschätzen. Diesem Wert passte er dann seine Begrüßung an. Kurt empfand sie etwas zu überschwänglich. Vielleicht war es der Anblick von Inge, der den Verkäufer zu diesem Überschwang trieb. Doch er wurde sofort sachlich und begann als erfahrener Verkaufsberater, heimlich die Schwachpunkte der beiden herauszufiltern, um dann schnell erkennen zu können, wer von den beiden sein Verhandlungspartner werden sollte. Er ließ Inge und Kurt durch die Reihen mit unterschiedlichen Blumen, Bäumchen und Sträuchern wandern, belauschte un-auffällig ihre Gespräche, erforschte ihre unterschiedlichen Verhaltensstrukturen und erstellte auf Grund dieser Daten ihr persönliches Kundenprofil. „Welche Pflanzen würdest du nehmen“, fragte Inge ihren Mann. Kurt hatte selbstverständlich diese Frage erwartet. War er doch der Mann im Haus. Und er ging davon aus, dass sie wirklich seinen Rat hören wollte und teilte seine Auswahl, halb zum Verkäufer gewandt, mit.
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