Wie ein Blitz schoss ihm ein Gedanke durch den Kopf: Sie füllte die Rolle raus, die sonst immer seine gewesen war. Das war ein völlig neues Gefühl für ihn, ungewohnt und schmerzhaft.
Und dann war da das Kind, dem er ein guter Vater sein wollte.
Ich muss mich ja nicht gleich heute entscheiden, dachte er unwillig. Er musste nachdenken, wenigstens ein paar Tage. Am Wochenende war er allein und hatte nichts vor. Bis zum Drehbeginn am Montag konnte er in aller Ruhe über sich und Linda Cooper nachdenken.
Und über Jasmin. Er sah sie vor sich, ihren wunderschönen nackten Körper, ihr Gesicht, das gleichzeitig Freude, Verwunderung und Reue ausdrückte.
Nachdem sie miteinander geschlafen und sich wieder angezogen hatten, hatte sie gesagt: „Das darf nie wieder passieren, Steve. Und ich möchte nicht, dass Ben jemals davon erfährt.“
Er erinnerte sich, bei diesen Worten nicht nur Bedauern, sondern auch tiefe Traurigkeit verspürt zu haben.
„Keine Angst“, hatte er dennoch gesagt, „von mir erfährt niemand etwas. Versprochen.“
Sie war auf ihn zugekommen, hatte ihn noch ein letztes Mal zärtlich geküsst, dann war sie gegangen. Bereits in dem Moment hatte er sich einsam gefühlt.
Und schon morgen Mittag fährt sie nach New York zu ihrem Ben.
Bei dem Gedanken an diesen unbekannten Mann erfüllte ihn ein Gefühl, dass er seit Ryan Johnson nicht mehr gehabt hatte: rasende Eifersucht.
Die Vorstellung, dass dieser Mann sie küssen, berühren und womöglich mit ihr schlafen würde, sorgte dafür, dass sich sein Magen schmerzhaft zusammenzog.
Als Jasmin wieder in ihrem Hotelzimmer war nahm sie als erstes eine Dusche. Sie hatte ein furchtbar schlechtes Gewissen, und dennoch konnte sie nicht aufhören zu lächeln. Noch immer spürte sie Steves Körper, seine Hände, seine Zunge, und ein wohliges Schaudern durchlief sie, während das heiße Wasser über ihren Körper rann.
Mit ihm zu schlafen war natürlich ein großer, ja ein riesiger Fehler gewesen. Aber ein wunderschöner Fehler. Er hatte sie in eine Ekstase versetzt, die sie lange nicht gespürt hatte. Natürlich lag das nur daran, dass es aufregend neu mit ihm gewesen war.
Oder vielleicht doch nicht? Lag es vielmehr daran, dass nach drei Jahren Beziehung bei ihr und Ben eine gewisse Routine eingekehrt war?
Oder daran, dass es falsch gewesen war, verboten, tabu?
Sie wusste es nicht, sie wusste nur, dass es herrlich gewesen war; zärtlich und doch leidenschaftlich, unbekannt und doch merkwürdig vertraut. Es hatte keine Fremdheit zwischen ihnen gegeben, alles schien so selbstverständlich, als müsse es so sein. So und nicht anders.
Als sie schließlich im Bademantel ihre Tasche für das Wochenende packte wurde ihr klar, dass sie Ben anrufen musste. Sie hatte ihm noch nicht mitgeteilt, wann sie ankam und sicher wartete er bereits darauf, von ihr zu hören.
Sie sah auf die Uhr. Es war halb acht, bei ihm also halb elf. Sie hatte eine ganz neue Scheu davor, seine Stimme zu hören und war sicher, dass er merken würde, dass etwas nicht stimmte.
Mit leicht zitternder Hand griff sie zum Hörer und wählte. Nach dem fünften Klingeln sprang der Anrufbeantworter an. Erleichtert schloss sie für einen Moment die Augen. Richtig, heute Abend hatte er eine Vorstellung!
Froh, nicht mit ihm sprechen zu müssen, gab sie mit möglichst normaler Stimme ihre Ankunftszeit an, sagte, dass sie sich auf ihn freue, legte den Hörer auf und fühlte sich scheußlich.
Schließlich zog sie sich an, legte ein leichtes Make-up auf und föhnte sich das Haar. Sie hatte beschlossen, noch auf einen Drink in die Hotelbar zu gehen. Zum Schlafen war sie viel zu durcheinander, außerdem war es noch früh. Den Text für den nächsten Tag hatte sie bereits gelernt, deshalb sprach nichts gegen einen Tapetenwechsel. Mit dem Gedanken an Steve und einem verträumten Lächeln im Gesicht verließ sie ihr Zimmer.
Die Hotelbar war nicht besonders gut besucht, nur drei Tische waren besetzt und an der Bar langweilte sich eine blond gelockte junge Frau, die mit einem Strohhalm in ihrem Cocktail rührte. Jasmin ging zur Theke und setzte sich auf den Hocker neben ihr.
„Hallo.“
Der Lockenkopf drehte sich zu ihr um. „Hi. Auch allein unterwegs?“
„Sieht so aus.“ Jasmin wandte sich an den Barkeeper. „Ein Ginger Ale bitte. Mit viel Eis.“ Dann reichte sie der Frau ihre Hand. „Jasmin Tyler“.
Ihre Sitznachbarin ließ den Strohhalm los und ergriff ihre Hand.
„Angelina de Marco, Gina für meine Freunde.“ Sie zuckte mit den Achseln und ein kleines Lächeln erschien auf ihrem Gesicht. „Und für alle anderen auch. Ist mir ein Vergnügen.“
Jasmin musterte sie. Ginas blonde Locken waren schulterlang, sie hatte ein schmales, ganz hübsches Gesicht mit einer ebensolchen Nase, auf der ein paar vorwitzige Sommersprossen saßen. Sie war relativ klein, höchstens einen Meter fünfundsechzig, und zierlich.
„Sie sind Italienerin?“
„Si, l’altra metá. Zur Hälfte. Mein Vater stammt aus Italien, aber er kam schon als Kind hierher.“
„Haben Italiener nicht meist dunkles Haar?“ frage Jasmin neugierig, während sie ihr Getränk entgegennahm. Dann grinste sie. „Ich habe auch noch keinen Italiener mit Sommersprossen gesehen.“
„Meine Mutter ist Amerikanerin mit schwedischen Wurzeln“, erklärte Gina. „Ich komme sehr nach ihr, wissen Sie.“
„Dann sind Sie ja ein regelrechter Nationencocktail, was?“ amüsierte sich Jasmin. „Meine Familie ist amerikanisch durch und durch. Aber mein Vater hat viele Jahre in England gearbeitet.“ Sie zuckte bedauernd die Schultern. „Mehr europäische Kultur habe ich leider nicht zu bieten.“
Gina grinste und bot großzügig an: „Wir können uns trotzdem unterhalten.“
Und das taten sie. Gina war neunzehn und im Chateau Marmont als Sängerin angestellt. Sie verdiente nicht viel, durfte aber für die Dauer ihres Engagements im Hotel wohnen und brauchte weder an der Bar noch im Restaurant zu bezahlen.
„Ich hoffe immer darauf, dass ich bei einem meiner Auftritte entdeckt werde und groß herauskomme“, teilte sie Jasmin mit. „Bis jetzt hat das leider noch nicht geklappt. Aber man kann ja nie wissen.“
Nach einigen Drinks - Jasmin war von Ginger Ale auf Weißwein umgestiegen - unterhielten sie sich bereits so gut, als würden sie sich seit Jahren kennen. Sie freundeten sich mit dem Barkeeper Leo an, machten sich leise kichernd über die anderen Gäste in der Bar lustig und warfen sich Filmzitate und Werbesprüche um die Ohren, bis sie vor Lachen kaum noch Luft bekamen.
Gegen Mitternacht allerdings wurde Jasmin klar, dass sie langsam ins Bett musste. Schließlich war morgen noch ein Arbeitstag, den sie anständig hinter sich bringen musste.
„Ich muss morgen drehen“, sagte sie langsam zu Gina, der Wein machte ihre Zunge schwer. Dann fing sie wieder an zu kichern. „Aber es dreht sich ja jetzt schon alles!“
Umständlich kletterte sie vom Barhocker und ergriff ihre Handtasche. „Ich muss jetzt ins Bett. Gute Nacht, Gina. Vielleicht sehen wir uns am Montag, okay?“
Als Gina vom Hocker steigen wollte, fiel dieser fast um. „Ich gehe auch lieber schlafen“, beschloss sie mit schwerer Zunge. „Mann, diese Cocktails haben es in sich. Gute Nacht, Süße!“ Sie küsste Jasmin auf die Wange, dass es knallte. „Du bist echt prima.“ Leicht wankend verließ sie die Bar.
Am nächsten Morgen kam Jasmin kaum aus dem Bett. Hinter ihrer Stirn hatte sich offenbar ein Schmied eingenistet, der lautstark mit einem großen Hammer ein hartes Metall bearbeitete.
Erst in der Maske setzte sie ihre Sonnenbrille ab, und gleich darauf beschlich sie das ungute Gefühl, dass die anderen sich wissende Blicke zuwarfen.
Das bilde ich mir nur ein, sagte sie sich. Ich hätte beim Ginger Ale bleiben sollen.
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