Der Raum war spärlich eingerichtet: Ein Schreibtisch mit Computer, zwei Stühle, und auf der anderen Seite die Couch, ein Sessel und ein kleiner Tisch. Außerdem gab es eine Kommode, auf der ein paar Gläser und Flaschen standen. Keine Pflanzen, keine Bilder.
Jasmin setzte sich auf die Couch und wartete. Bei passender Gelegenheit würde sie Steve ein paar Vorschläge machen, wie man dieses Zimmer anheimelnder gestalten konnte. In einem so tristen Büro konnte man doch nicht kreativ arbeiten!
Sie sah zur Tür als diese sich schwungvoll öffnete. Steve kam auf sie zu und ließ sich neben sie auf die Couch fallen. Er streckte die langen Beine aus und fuhr sich mit den Händen durchs Haar.
„Also“, wollte er wissen, „was gibt es denn?“
Sie drehte sich zu ihm und kam gleich zur Sache. „Was war heute mit dir los?“
„Was soll denn los gewesen sein?“ Er verschränkte die Arme hinter dem Kopf und warf ihr einen abwehrenden Blick zu. „Mir geht’s gut.“
Sie sah ihn schweigend an.
Er seufzte und ließ die Arme sinken. „Ja, okay, es geht mir nicht gut.“
„Ist etwas mit Alex?“ erkundigte Jasmin sich besorgt.
„Nein, nein. Mit ihm ist soweit alles in Ordnung.“
Steve machte eine kurze Pause, schien zu überlegen. Mit gerunzelter Stirn sah er sie an. Dann seufzte er. „Na schön, ich sag es dir. Aber bitte erzähle es nicht herum.“
Sie versprach es.
Er stand auf, ging hinüber zu seiner provisorischen Bar und schenkte sich einen Whisky mit Eis ein.
„Möchtest du auch einen Drink?“
„Werde ich einen brauchen?“
Er lächelte gequält. „Einen Sherry?“
Sie nickte und kurz darauf kam er mit zwei gefüllten Gläsern zurück und reichte ihr den Sherry. Dann setzte er sich wieder und nahm einen großen Schluck.
Fasziniert beobachtete sie seine schmal gewordenen Augen und seine mahlenden Kiefer, mit denen er einen Eiswürfel zerbiss, als hätte der ihm etwas getan.
Als er die Eisstückchen hinuntergeschluckt hatte holte er tief Luft. Dann platzte es aus ihm heraus. „Linda Cooper rief mich gestern Abend an. Sie erwartet ein Baby. Und sie sagt, es ist von mir.“
Jasmin hatte gerade einen Schluck getrunken und prustete nun erschrocken den Sherry mitten auf sein Hemd. Eilig stellte sie ihr Glas ab und zog ein Taschentuch aus ihrer Handtasche.
„Oh Gott, Steve, das tut mir leid!“ sagte sie und wischte unbeholfen mit dem Tuch an seinem Hemd herum. „Hoffentlich geht das wieder raus.“
„Lass doch bitte das Hemd, Jasmin. Ich habe jetzt ganz andere Sorgen. Linda ist schwanger!“
Sie ließ von ihm ab. „Ja, natürlich. Entschuldige.“
Ungeduldig stand er auf. „Und sonst sagst du nichts dazu?“
Überrascht sah sie zu ihm hoch. „Was soll ich dazu sagen? Ihr seid zwei erwachsene Menschen, hattet Sex und habt nicht ausreichend verhütet. So etwas kommt jeden Tag vor.“
Dass die Nachricht ihr einen schmerzhaften Stich versetzt hatte, sagte sie nicht und sie hoffte, dass Steve es ihr nicht ansah. Doch er war viel zu durcheinander, um aufmerksam sein zu können.
„Sie hatte mir gesagt, dass sie die Pille nimmt. Aber gestern hat sie mir gestanden, dass sie sie ab und zu wohl vergessen hat. Ich hätte mich nicht nur auf sie verlassen dürfen, ich Riesenkamel!“
Aufgebracht ging er im Zimmer hin und her.
„Was soll ich denn jetzt tun?“ fragte er mit einem verzweifelten Gesichtsausdruck.
Seine Hilflosigkeit rührte sie auf der einen Seite, andererseits hatte er sich das Ganze selbst eingebrockt.
Typisch Mann! dachte sie. Sie machen sich erst dann Gedanken, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist. Die Doppeldeutigkeit des Sprichworts in dieser Situation ließ sie beinahe schmunzeln, doch dann riss sie sich lieber zusammen.
„Was hat sie denn gesagt?“ fragte sie und fuhr ihn an: „Setz dich bitte wieder hin, dein Gerenne macht mich ganz nervös.“
Er hörte nicht auf sie, lief weiter ziellos hin und her und berichtete: „Sie hat gesagt, dass die Schwangerschaft auch für sie überraschend kommt, und dass sie mich nicht unter Druck setzen will. Wenn ich möchte, kann ich mich völlig heraus halten, zu zahlen brauche ich auch nicht, Geld hat sie ja genug.“
Bei den letzten Sätzen war er lauter geworden, jetzt jedoch senkte er die Stimme. „Als sie dann aber erwähnte, dass es für ein Kind eigentlich wichtig ist, Mutter und Vater zu haben, hat sie mich kalt erwischt.“ Er blieb stehen und raufte sich die Haare. „Sie appelliert an mein Ehrgefühl. Und das macht sie sehr geschickt. Ich fühle mich überrumpelt und manipuliert.“
Er hielt kurz inne und sah sie an. „Weißt du, am liebsten würde ich diesen Anruf vergessen und mich ganz still verhalten, aber verdammt, Jasmin, sie bekommt mein Kind. Ich bin ohne Vater aufgewachsen und weiß, wie das ist. Kein gutes Gefühl.“
Er ließ sich neben sie fallen und stützte sein Gesicht in die Hände. Sie hatte das Gefühl, dass er den Tränen nahe war. In diesem Moment wirkte er auf Jasmin wie der kleine Junge, der darunter litt, keinen Vater zu haben, der mit ihm angeln ging und Basketball spielte. Gleichzeitig war er der erwachsene Mann, dem seiner Ansicht nach Unrecht geschehen war und der nicht verstand, wie ihm so etwas hatte passieren können. Trotzdem fühlte sie sich in diesem Moment mehr als sonst zu ihm hingezogen. Er strahlte eine unwahrscheinliche Verletzbarkeit aus, ließ sie, obwohl sie erst seit wenigen Tagen befreundet waren, an seinem Schmerz, den er als Kind erfahren hatte, und seiner Ratlosigkeit teilhaben. Sie betrachtete dieses Verhalten als Geschenk und legte ihren Arm um seine breiten Schultern. Dann lehnte sie sich zurück und zog ihn tröstend zu sich heran.
Er ließ es willig geschehen, drehte sich ein wenig zu ihr und spürte die zarte Haut ihres Halses an seinen Lippen. Sie roch nach Parfum, anregend und sinnlich. Ihr Haar kitzelte seine Nase, als er ihren Duft einatmete.
Jasmin spürte seine Lippen an ihrem Hals, ganz sacht, fast glaubte sie, es sich einzubilden. Sein Arm legte sich um ihren Leib. Sie fand es nicht merkwürdig oder unangenehm, eher so, als wäre das der Ort, wo er hingehört, so normal, so selbstverständlich fühlte es sich an. Sie schloss die Augen und genoss die Berührungen seiner Hand und seiner Lippen. Alles Denken war mit einemmal wie ausgeschaltet. Es fühlte sich einfach zu schön an. Sanft wie Schmetterlingsflügel und doch fähig, in ihr ein Erdbeben auszulösen.
Sie wollte etwas sagen, wusste jedoch nicht was, und auch nicht, ob ihre Stimme ihr gehorchen würde, daher schwieg sie. Ihre linke Hand fuhr zärtlich durch sein dichtes Haar, ihre Rechte streichelte sanft den Arm, den er um sie geschlungen hatte. Ein mit Muskeln durchzogener, braungebrannter Arm mit dunklen Haaren. Ein männlicher, aufregender Arm…
Ihr Herz schlug fast schmerzhaft gegen ihren Brustkorb. Die Situation drohte ihr zu entgleiten und sie wusste nicht, was sie dagegen tun konnte. Oder vielmehr, ob sie etwas dagegen tun wollte .
Langsam hob Steve den Kopf und sah sie an. In ihren Augen las er Furcht, Neugier und noch etwas, dass er nicht näher bestimmen konnte. Eine gewisse Unruhe vielleicht. Oder Nervosität.
Um sie herum herrschte völlige Stille. Vermutlich war niemand mehr da, sie waren allein. Allein mit der Gewissheit, dass ihre Freundschaft nicht mehr lange das sein würde, was sie bisher war. Zumindest dann, wenn er jetzt das tat, wonach er sich sehnte, seit er ihr bei George White begegnet war.
Behutsam näherte er sich ihrem Gesicht und berührte sacht ihre bebenden Lippen. Sie wehrte sich nicht, kam ihm aber auch nicht entgegen. Sie hielt ganz still.
Vorsichtig wagte sich seine Zunge vor und erleichtert merkte er, dass sie seinen Kuss zögernd, beinahe ängstlich erwiderte. Ein Glücksgefühl breitete sich in ihm aus, wie er es lange nicht mehr gespürt hatte. Jetzt gab es kein Zurück mehr.
Читать дальше