»Von der Flußmündung kam er, wo er die Herden anführte. Vom Westen her. Glaubt der Sahib jetzt, oder soll ich auch noch die Herde herantreiben, auf daß sie gezählt wird? Der Sahib ist doch der Wächter des Rukhs.«
Mogli hatte sich auf der Veranda niedergelassen, ein wenig kürzer atmend als sonst. Gisborne blickte ihn mit offenem Munde an. »Wie ist das möglich gewesen?« fragte er.
»Der Sahib sah. Getrieben wurde der Bulle – getrieben wie ein zahmer Büffel. Ho, ho! eine schöne Geschichte wird er zu erzählen haben, wenn er zu seiner Herde zurückkommt.«
»Dieser Trick ist mir neu. Kannst du denn ebenso schnell laufen wie ein Nilghai?«
»Der Sahib hat gesehen. Wenn der Sahib genaue Nachricht braucht vom Wechsel des Wildes zu irgendeiner Zeit, so bin ich, Mogli, zur Stelle. Ein gutes Rukh ist das, ich werde hierbleiben.«
»Bleibe denn. Wenn du essen willst, so ist eine Mahlzeit für dich immer bereit.«
»Ja, wahrlich, gekochte Nahrung liebe ich sehr«, antwortete Mogli rasch. »Keiner darf sagen, daß ich nicht Gekochtes und Gebratenes ebenso gern esse wie jeder andere Mensch. Für die Mahlzeit komme ich her. Dafür verspreche ich, daß der Sahib ruhig in seinem Hause schlafen kann bei Nacht, und kein Dieb soll einbrechen, um ihm die reichen Schätze wegzutragen.«
Mit Moglis plötzlichem Verschwinden nahm die Unterhaltung ein Ende. Gisborne saß noch lange rauchend auf der Veranda, und das Ergebnis seines Nachdenkens war, daß er in Mogli endlich den idealen Forstwart und Waldhüter gefunden hatte, nach dem er und die Verwaltung schon lange suchten.
Ich muß ihn in den Dienst der Regierung nehmen. Ein Mann, der Nilghaiherden zu treiben versteht, weiß mehr vom Walde als zwei Dutzend gute Forstbeamte. Ein wahres Wunder ist er – ein Jusus naturae –, aber Wildhüter muß er werden; wenn man ihn nur dazu bringen kann, sich an einem Ort niederzulassen, dachte Gisborne.
Weniger günstig war Abdul Gafurs Urteil. Er bemerkte zu Gisborne beim Schlafengehen, daß derartige Fremdlinge von Gott-weiß-woher zumeist berufsmäßige Diebe wären, und er persönlich hätte überhaupt nichts übrig für solche nackten Kastenlosen, die sich weißen Männern gegenüber nicht zu benehmen wüßten. Gisborne lachte und schickte ihn fort, worauf sich Abdul Gafur brummend verzog. In der Nacht sah er sich veranlaßt, seine dreizehnjährige Tochter durchzuprügeln. Niemanden war der Grund des Streits bekannt, aber Gisborne hörte das Geschrei.
Während der folgenden Tage kam und ging Mogli wie ein Schatten. In der Nähe des Bungalows, hart am Waldrand, hatte er sich eine Art Wohnplatz eingerichtet; und Gisborne sah ihn zuweilen, wenn er auf die Veranda trat, im Mondlicht mit der Stirn auf den Knien hocken oder ausgestreckt auf einem gegabelten Ast liegen, angeschmiegt wie ein Tier des Waldes. Mogli grüßte dann herüber, rief Gisborne zu, ruhig zu schlafen, oder kam auch zu ihm herabgestiegen und erzählte wundersame Geschichten von dem Leben der Tiere im Rukh. Einmal drang Mogli auch bis zu den Ställen vor, und man fand ihn dort, wie er lange aufmerksam die Pferde betrachtete.
»Das ist ein sicheres Zeichen, daß er bald eins stehlen wird«, bemerkte Abdul Gafur gehässig. »Wenn er ständig hier um das Haus herumlungert, warum macht er da nicht eine ordentliche Arbeit, wie es sich gehört? Aber nein, er muß andauernd hin und her tapsen wie ein losgebundenes Kamel, den Narren den Kopf verdrehen und den Dummen das Maul zu törichter Rede öffnen.« So gab er denn Mogli, wann immer er ihn traf, unfreundliche Worte und hieß ihn mit barscher Stimme Wasser holen oder Hühner rupfen; und gutmütig lachend gehorchte Mogli.
»Kastenlos ist er«, schmähte Abdul Gafur. »Alles will er tun. Gib nur acht, Sahib, daß er nicht einmal zuviel tut. Eine Schlange ist eine Schlange, und ein Dschungelzigeuner ist ein Dieb, solange die Erde besteht.«
»Hör auf damit«, erklärte Gisborne. »Ich erlaube dir, deinen Haushalt in Ordnung zu halten, wenn damit nicht zuviel Lärm verknüpft ist, denn ich kenne dich und deine Gewohnheiten. Meine Art kennst du noch nicht. Ein wenig verrückt scheint der Mann ja zu sein.«
»Ein klein bißchen verrückt allerdings«, stichelte Abdul Gafur. »Man wird ja sehen, was dabei herauskommt.« Kurze Zeit danach führte Gisborne der Dienst drei Tage in das Rukh. Abdul Gafur, der alt und fett war, wurde zu Hause gelassen. Es lag ihm auch nichts daran, in den Hütten der Waldhüter zu nächtigen, auch benutzte er gern die Abwesenheit seines Herrn, um in dessen Namen Steuern für Getreide, Öl oder Milch von denen einzutreiben, die dergleichen Abgaben schwer aufbringen konnten. Als Gisborne beim Morgengrauen abritt, war er etwas enttäuscht, den seltsamen Waldmenschen nicht bei der Veranda zu finden, um ihn zu begleiten. Er schätzte ihn – schätzte seine Kraft, Gewandtheit, den geräuschlosen Schritt und das freie, offene Lächeln; die völlige Unkenntnis aller Umgangsformen gefiel ihm und ebenso die kindlichen Erzählungen Moglis (denen Gisborne jetzt Glauben schenkte) über das Tun und Treiben des Wildes im Rukh. Nachdem er schon eine Stunde durch den Forst geritten war, hörte er ein leises Rascheln hinter sich, und Mogli trabte neben seinem Steigbügel.
»Wir haben drei Tage Arbeit vor uns in den Schonungen«, sagte Gisborne.
»Schön«, erwiderte Mogli. »Junge Bäume zu pflanzen ist immer schön. Sie geben Schutz, wenn die Tiere sie nur unberührt ließen! Das Schwarzwild müssen wir wieder verschieben.«
»Wieder? Wieso?« Gisborne lächelte.
»Ach, vergangene Nacht wühlten und gruben sie unter den jungen Salbäumen, und ich trieb sie fort. Deshalb war ich heute morgen nicht an der Veranda. Auf dieser Seite des Rukhs sollte sich das Schwarzwild überhaupt nicht aufhalten. Wir müssen es unten am Kanjefluß halten.«
»Wenn man Wolken treiben könnte, möchte das vielleicht gelingen. Aber, Mogli, wenn du Treiber bist im Rukh, wie du sagst, ohne Lohn und Gewinn ...«
»Das Rukh gehört dem Sahib«, sagte Mogli rasch aufschauend. Gisborne nickte Dank und fuhr fort: »Wäre es nicht besser, um festen Lohn von der Regierung zu arbeiten? Am Ende einer langen Dienstzeit winkt dir dann ein Ruhegehalt.«
»Daran habe ich schon gedacht«, sagte Mogli, »aber die Heger leben in Hütten mit verschließbaren Türen, und all das hat für mich zu sehr das Aussehen von Fallen. Doch ich meine ...« »Überlege wohl und gib mir später Bescheid. Jetzt wollen wir haltmachen und frühstücken.«
Gisborne saß ab und machte sich an die in hausgenähten Satteltaschen mitgeführte Morgenmahlzeit. Heiß stieg der Tag auf über dem Rukh. Mogli lag im Gras und starrte in den Himmel. Plötzlich flüsterte er in schläfrigem Ton: »Sahib, hast du irgendeinen Befehl im Bungalow gegeben, die weiße Stute heute zu bewegen?«
»Nein, sie ist fett und alt und lahmt etwas. Warum fragst du?«
»Sie wird jetzt geritten, und durchaus nicht langsam, auf der Straße, die nach der Eisenbahn führt.«
»Bah, die Straße liegt zwei Koß weit entfernt. Ein hämmernder Specht ist es.«
Mogli hob den Oberarm, um seine Augen gegen die Sonne zu schützen.
»Vom Bungalow macht die Straße einen großen Bogen nach hierher. Es ist nicht weiter als ein Koß im Geierflug; der Schall fliegt mit den Vögeln. Wollen wir nachsehen?«
»Unsinn! Einen Koß weit in der Sonnenglut zu laufen, nur um ein Geräusch im Forste festzustellen!«
»Nun, das Pferd ist das Pferd des Sahibs. Ich meinte nur, es hierherzubringen. Ist es nicht die Stute des Sahibs, dann gut. Ist sie es – der Sahib kann tun, was ihm beliebt. Ganz augenscheinlich wird sie sehr scharf geritten.«
»Und wie willst du sie hierherbringen? Narr, du.«
»Hat der Sahib vergessen? Auf die Art der Nilghais.«
»Auf denn und laufe, wenn dir der Sinn danach steht.«
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