»Ich? Bin ich ein lausiger Schikarri der Dschungel, daß ich mich mit dem Maul eines Tigers abgebe? Laß ihn liegen. Da kommen schon seine Freunde.« Über ihren Köpfen kam ein Geier schrill pfeifend herabgestürzt, während Gisborne die leeren Hülsen auswarf und sein Gesicht trocknete.
»Und wenn du kein Schikarri bist, wo erwarbst du da deine Kenntnis des Tigervolks?« sagte er. »Kein geübter Fährtensucher hätte es besser machen können.«
»Ich hasse alle Tiger«, entgegnete Mogli kurz. »Will der Sahib mir seine Flinte zu tragen geben? Arré, eine prächtige Büchse ist das. Und wohin geht der Sahib jetzt?«
»Zu meinem Hause.«
»Darf ich mitkommen? Ich habe niemals das Haus eines weißen Mannes von innen gesehen.«
Gisborne kehrte nach seinem Bungalow zurück; Mogli schritt geräuschlos neben ihm, seine braune Haut glänzte in der Sonne.
Neugierig beäugte er die Veranda und die beiden Stühle darauf, betrachtete mißtrauisch die Rollvorhänge aus Bambusstäben, und während er eintrat, sah er sich immer wieder nach rückwärts um. Gisborne ließ einen der Vorhänge zum Schutz gegen die Sonne herunter. Dieser fiel klappernd nieder, aber noch ehe er den Boden der Veranda berührt hatte, war Mogli mit einem Satz zurückgesprungen und stand heftig atmend im Freien.
»Eine Falle ist das«, sagte er hastig.
Gisborne lachte. »Weiße stellen keine Menschenfallen. Du bist wahrhaftig ein echtes Geschöpf der Dschungel.«
»Ich sehe, das Ding hat weder Haken noch Schlinge«, sagte Mogli. »Noch – noch niemals habe ich derartiges gesehen.«
Auf Zehenspitzen kam er wieder in das Haus zurück und betrachtete mit weitgeöffneten Augen die Einrichtung der beiden Räume. Abdul Gafur, der gerade das Mittagsmahl auftrug, betrachtete ihn mit tiefem Abscheu.
»Soviel Mühe, um essen zu können, und soviel Mühe, um zu ruhen nach dem Essen«, sagte Mogli grinsend. »Wir in der Dschungel haben es leichter. Sehr wunderbar ist alles. Viele kostbare Dinge gibt es hier. Fürchtet der Sahib nicht, daß man ihn berauben könnte? Nie zuvor habe ich so herrliche Dinge erblickt.« Er schaute bewundernd auf eine staubige Messingschale aus Benares auf einem wackeligen Ständer.
»Rauben würde hier nur ein Dieb aus der Dschungel«, warf Abdul Gafur ein und klapperte geräuschvoll mit den Tellern. Mogli öffnete weit seine Augen und blickte den weißbärtigen Mohammedaner an.
»In meinem Reich schneidet man Ziegen den Hals durch, wenn sie allzu laut blöken«, entgegnete er heiter. »Aber habe keine Angst, du. Ich gehe.«
Er wandte sich um und verschwand im Rukh. Gisborne blickte ihm mit einem Lachen nach, das in einen leichten Seufzer ausklang. Außerhalb des regelmäßigen Dienstes gab es im Leben eines Forstbeamten nicht viel Abwechslung, und dieser Sohn der Wälder, der mit Tigern umging wie gewöhnliche Sterbliche mit Hunden, würde ihm willkommene Zerstreuung gewesen sein.
Ein ganz prachtvoller Bursche ist das, dachte Gisborne; fast wie ein Bild aus einem Werk der Klassik. Ich hätte ihn gern zu meinem Büchsenspanner gemacht. Allein zu pirschen ist immer langweilig, und dieser Junge würde einen vollkommenen Schikarri abgeben. Was in aller Welt mag er wohl sein?
Am Abend des gleichen Tages saß er unter der Veranda unter den Sternen, rauchte und sann. Aus dem Pfeifenkopf stieg eine Rauchwolke hoch. Als sie abgezogen war, sah er Mogli mit gekreuzten Armen auf dem Geländer der Veranda sitzen. Ein Geist konnte nicht geräuschloser erschienen sein. Gisborne stutzte und ließ die Pfeife fallen.
»Draußen im Rukh gibt es keinen, mit dem man reden könnte. Deshalb bin ich zu dir gekommen«, sagte Mogli, hob die Pfeife auf und gab sie Gisborne zurück.
»Oh«, meinte Gisborne und fuhr nach einer längeren Pause fort: »Was gibt es Neues im Rukh? Hast du wieder einen Tiger ausgemacht?«
»Die Nilghais wechseln ihre Weidegründe, wie immer zur Zeit des Neumonds, die Sauen wühlen jetzt am Kanjefluß, denn sie wollen nicht mit den Nilghais zusammen fressen, und eine ihrer Bachen wurde von einem Leoparden gerissen in dem hohen Gras der Flußmündung. Mehr weiß ich nicht.«
»Und woher weißt du das alles?« fragte Gisborne, lehnte sich vor und blickte in die Augen des Fremden, die im Sternenlicht glitzerten.
»Wie sollte ich nicht wissen? Die Nilghais haben ihre Gewohnheiten und Bräuche, und jedes Kind weiß, daß Schwarzwild niemals mit ihnen zusammen äst.«
»Ich wußte es nicht.«
»Tck, tck! Und du bist Oberaufseher, wie die Männer in den Hütten mir sagten – Oberaufseher über alle diese Forsten?« Mogli lachte leise.
»Kindermärchen zu erzählen ist leicht genug«, gab Gisborne, gereizt über das Lachen, zurück. »Du kannst wer weiß was berichten, was alles im Rukh vorgeht, wenn keiner das nachprüfen kann.«
»Die Knochen der gerissenen Bache werde ich dir morgen zeigen«, entgegnete Mogli gänzlich unbewegt. »Und was die Sache mit den Nilghais betrifft, so möge der Sahib nur still sitzen bleiben, und ich werde einen Nilghaibullen hierhertreiben. Wenn der Sahib gut auf die Geräusche achtet, dann wird er erkennen, von woher der Nilghai getrieben wird.«
»Die Dschungel hat deine Gedanken verwirrt, Mogli«, sagte Gisborne. »Wer in der Welt könnte Nilghaibüffel treiben?«
»Sitze still denn, ich gehe.«
Beim Himmel, ein Geist ist dieser Mann, dachte Gisborne. Denn Mogli war in der Nacht verschwunden, ohne daß man auch nur den leisesten Tritt gehört hätte. Das Rukh breitete sich wie in breiten Falten aus schwarzem Samt unter dem ungewissen Licht der Sterne aus – so still lag es, daß der leiseste, durch die Baumwipfel streichende Windhauch herüberklang wie das Seufzen eines tief schlafenden Kindes. In der Küche klapperte Abdul Gafur mit dem Geschirr.
»Ruhe da!« rief Gisborne und sammelte sich, um zu lauschen wie einer, der mit der Grabesstille des Rukhs wohlvertraut war. Er hatte die Gewohnheit, sich regelmäßig zum Essen feierlich anzukleiden, um so seine Selbstachtung in der Abgeschiedenheit seines Daseins zu wahren, und nun knarrte die steife Hemdbrust bei jedem Atemzug, bis er die Lage änderte. Dann begann der Tabak in der etwas verstopften Pfeife zu schmoren, und er legte sie beiseite. Bis auf den leisen Atem der Nacht im Rukh war nun alles totenstill.
Aus unbestimmter Ferne drang durch das tiefe Dunkel das ganz schwache Echo eines Wolfsgeheuls. Dann trat wieder völliges Schweigen ein, für lange Stunden, wie es schien. Endlich, als seine Beine unterhalb der Knie schon alles Gefühl verloren hatten, vernahm Gisborne etwas wie ein Krachen sehr weit weg im Unterholz. Er zweifelte, bis sich das Krachen ständig wiederholte.
»Das kommt vom Westen«, murmelte er; »irgend etwas ist dort im Gange.« Der Lärm wuchs, das Knacken und Krachen wurde immer deutlicher, und dann hörte man das tiefe Grunzen eines heiß verfolgten Nilghaibullen, der in panischer Angst flüchtete, ohne seines Weges zu achten.
Zwischen den Baumstämmen brach ein Schatten hervor, wuchtete wie erschrocken zurück, stürzte grunzend und brummend von neuem vor und kam mit Getrappel über den festen Boden so dicht an der Veranda vorbeigejagt, daß Gisborne ihn fast mit der Hand berühren konnte. Ein Nilghaibulle war es, triefend vom Tau, um die Hörner hingen Schlingpflanzen, und seine Augen glühten auf in dem aus dem Hause fallenden Licht. Beim Anblick des Menschen stutzte das Tier und flüchtete am Rande des Rukhs entlang, bis es in der Dunkelheit verschwand. Als erstes dachte Gisborne in seinem verwirrten Sinn, daß es höchst ungehörig war, den schweren, blauen Bullen so aufzustöbern und so zu treiben – ihn gleichsam zur Musterung vorzuführen während der Nacht, während der man die Tiere in Ruhe lassen sollte.
Dann sagte eine sanfte Stimme an seinem Ohr, während er noch starrend dastand:
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