»Ja, höher hinauf!« sagte die kleine Kröte, »höher hinauf! Sie fühlt grade wie ich! Aber sie ist heute nicht guter Laune, das kommt von dem Schrecken. Alle wollen wir höher hinauf!« Und sie sah so hoch hinauf als sie konnte.
Der Storch saß in seinem Neste auf dem Dache des Bauernhauses; er klapperte und die Storchmutter klapperte.
»Wie die hoch wohnen!« dachte die Kröte. »Wer dort hinauf könnte!«
In dem Bauernhause wohnten zwei junge Studenten; der Eine war Poet, der Andere Naturforscher; der Eine sang und schrieb in Freude von Allem, was Gott geschaffen hatte und wie es sich in seinem Herzen spiegelte; er sang es aus, kurz, klar und reich in klangvollen Versen; der Andere griff das Ding selbst an, ja schnitt es auf, wenn es sein mußte. Er betrachtete die Schöpfung Gottes als ein großes Rechen-Exempel, subtrahirte, multiplicirte, wollte es in- und auswendig kennen, mit Verstand darüber sprechen, und das war ganzer Verstand, und er sprach in Freude und mit Klugheit davon. Es waren gute, fröhliche Menschen, die Beiden.
»Da sitzt ja ein gutes Exemplar von einer Kröte!« sagte der Naturforscher; »das muß ich in Spiritus haben!«
»Du hast ja schon zwei Andere!« sagte der Poet; »laß die in Ruhe sitzen und sich des Lebens freuen!«
»Aber sie ist so wunderbar häßlich!« sagte der Andere.
»Ja, wenn wir den Edelstein in ihrem Kopfe finden könnten,« sagte der Poet, »dann würde ich selbst mit dabei sein sie aufzuschneiden.«
»Edelstein!« sagte der Andere, »Du scheinst viel von der Naturgeschichte zu wissen!«
»Aber ist nicht grade etwas Schönes an dem Volksglauben, daß die Kröte, das häßlichste Thier, oft den köstlichsten Edelstein in ihrem Kopfe trägt?! Geht es nicht grade so mit dem Menschen? Welchen Edelstein hatte nicht Aesop, und vollends Sokrates? –«
Mehr hörte die Kröte nicht, und sie begriff nicht die Hälfte davon. Die beiden Freunde schritten weiter und sie entging dem Schicksale, in Spiritus zu kommen.
»Die Beiden sprachen auch von dem Edelsteine!« sagte die Kröte, »Wie gut, daß ich ihn nicht habe! Ich hätte sonst Unannehmlichkeiten haben können.«
Nun klapperte es auf dem Dache des Bauernhauses; Storchvater hielt Vortrag für die Familie, und diese schielte auf die zwei jungen Menschen im Kohlgarten hinab. »Der Mensch ist die eingebildetste Kreatur!« sagte der Storch. »Hört, wie das Maulwerk ihnen geht, und dabei können sie doch nicht ordentlich klappern. Sie brüsten sich mit ihren Rednergaben, mit ihrer Sprache! Das ist mir eine schöne Sprache: sie geht in's Unverständliche über bei jeder Tagereise, die wir machen; der Eine versteht den Andern nicht. Unsere Sprache können wir überall auf der ganzen Erde sprechen, im hohen Norden und in Egypten. Fliegen können die Menschen auch nicht! Sie schießen dahin durch eine Erfindung, die sie »Eisenbahn« nennen, aber sie brechen auch oft den Hals dabei. Es läuft mir kalt über den Schnabel, wenn ich daran denke! Die Welt kann ohne Menschen bestehen. Wir können sie entbehren! Wenn wir nur Frösche und Regenwürmer behalten!«
»Das war denn eine gewaltige Rede!« dachte die kleine Kröte. »Ein wie großer Mann ist der, und wie sitzt er hoch, so hoch wie ich noch Niemand sitzen sah! Und wie kann er schwimmen!« rief sie, als der Storch mit ausgebreiteten Flügeln durch die Luft dahinfuhr.
Und Storchmutter sprach im Neste, erzählte von Egypten, von den Gewässern des Nils und von dem Schlamme sonder Gleichen, der im fremden Lande war; es klang der kleinen Kröte ganz neu und reizend.
»Ich muß nach Egypten!« sagte sie. »Wenn nur der Storch oder eins seiner Jungen mich mitnehmen wollte. Ich würde ihm wieder gefällig sein. Ja, ich werde nach Egypten kommen, denn ich bin so glücklich! All' die Sehnsucht und all' die Lust, die ich habe, ist freilich besser als einen Edelstein im Kopfe zu haben!«
Und dabei hatte sie grade den Edelstein: die ewige Sehnsucht und Lust nach aufwärts, immer aufwärts! Es leuchtete drinnen im Kopfe, leuchtete in Freude, strahlte in Lust.
Da kam plötzlich der Storch heran, der hatte die Kröte im Grase gesehen, fuhr nieder und faßte das kleine Thier eben nicht sanft an. Der Schnabel klemmte, der Wind sauste, es war nicht angenehm, aber aufwärts ging es, aufwärts nach Egypten, das wußte sie; und deshalb blitzten die Augen, es war als flöge ein Funken aus ihnen heraus.
»Quak: Ach!«
Der Körper war todt, die Kröte getödtet. Aber der Funken aus ihren Augen, wo blieb der?
Der Sonnenstrahl nahm ihn, der Sonnenstrahl trug den Edelstein vom Kopfe der Kröte. Wohin?
Frage nicht den Naturforscher, frage lieber den Poeten; er erzählt es Dir wie ein Märchen; und die Kohlraupe und die Storchfamilie ist mit in dem Märchen. Denke! die Kohlraupe wird verwandelt und aus ihr wird ein schöner Schmetterling! Die Storchfamilie fliegt über Berge und Meere nach dem fernen Afrika, und findet doch den kürzesten Weg zurück nach Hause, nach demselben Lande, demselben Dache! Ja, das ist freilich fast gar zu abenteuerlich, und doch ist es wahr; Du kannst sogar den Naturforscher fragen, er muß es zugestehen; und Du selbst weißt es auch, denn Du hast es gesehen.
– Aber der Edelstein im Kopfe der Kröte?
Suche ihn in der Sonne! Sieh' ihn, wenn Du kannst!
Der Glanz dort ist zu stark. Wir haben noch die Augen nicht, um in die Herrlichkeit hineinsehen zu können, die Gott geschaffen hat, aber wir werden sie schon bekommen, und das wird das schönste Märchen sein, denn wir sind selbst mit in dem Märchen.
Aufgeschoben ist nicht aufgehoben.
Ein alter Herrenhof lag da, umgeben von seinem schlammigen Wallgraben mit der Zugbrücke, die nur selten niedergelassen wurde: nicht alle Gäste sind gute Leute. Unter dem Traufendache waren Scharten angebracht, um durch dieselben zu schießen, kochendes Wasser, ja geschmolzenes Blei auf den Feind herabzugießen, wenn er sich zu sehr nähern sollte. Drinnen im Hause war es hoch bis zur Balkendecke, was sehr zu Statten kam bei dem vielen Rauche, der vom Kaminfeuer emporwirbelte, wo die großen, nassen Holzknorren schwehlten. An der Wand hingen Bilder von geharnischten Männern und stolzen Frauen in schweren Kleidern; die stattlichste von Allen schritt hier lebendig einher, sie wurde Meta Mogens genannt; sie war die Frau vom Hause, ihr gehörte der Herrenhof.
Gegen Abend kamen Räuber an; sie erschlugen drei ihrer Leute, auch den Kettenhund erschlugen sie, und dann legten sie Frau Meta an die Hundekette am Hundehause, während sie sich selber in dem Saale breit machten, den Wein und das gute Bier aus ihrem Keller tranken.
Frau Meta war an die Hundekette gelegt; sie konnte nicht einmal bellen. Aber siehe! Da schlich sich der Bursche eines der Räuber heran, ganz leise, er durfte nicht bemerkt werden, sonst hätten sie ihn todtgeschlagen.
»Frau Meta Mogens!« sagte der Bursche; »weißt Du noch wie mein Vater zu Lebzeiten Deines Herrn auf dem hölzernen Pferde reiten mußte? – Du batest für ihn, aber es half zu Nichts, er sollte so lange reiten bis ihm die Glieder verstümmelt sein würden; aber Du schlichst Dich zu ihm hinab, wie ich mich jetzt zu Dir schleiche; Du selbst schobst einen kleinen Stein unter jeden seiner Füße, damit er sich stützen könnte. Niemand sah es, oder sie thaten, als sähen sie es nicht, Du warst ja die junge, gnädige Frau. Das hat mir mein Vater erzählt, und das habe ich mir gemerkt und nicht vergessen! Jetzt löse ich Dich ab, Frau Meta Mogens!«
Darauf zogen sie Pferde aus dem Stalle heraus und ritten bei Regen und Wind und erhielten Freundeshilfe.
»Das war die kleine That an dem Alten reichlich vergolten!« sagte Meta Mogens.
»Aufgeschoben ist nicht aufgehoben!« sagte der Bursche.
Die Räuber wurden gehenkt.
Ein alter Herrenhof lag da, er liegt noch da; es ist nicht der der Frau Meta Mogens; er gehört einem andern hochadeligen Geschlechte.
Читать дальше