»Ja, das wird viel helfen!« sagte der Kreisel. Und so sprachen sie nicht mehr mit einander.
Am nächsten Tage wurde das Bällchen von dem Knaben hervorgenommen. Der Kreisel sah, wie es hoch in die Luft flog, gleich einem Vogel; zuletzt konnte man es gar nicht mehr erblicken; jedes Mal kam es wieder zurück, machte aber immer einen hohen Sprung, wenn es die Erde berührte; und das geschah entweder aus Sehnsucht, oder weil es einen spanischen Kork im Leibe hatte. Das neunte Mal aber blieb das Bällchen weg und kam nicht wieder; und der Knabe suchte und suchte, aber weg war es.
»Ich weiß wohl, wo es ist!« seufzte der Kreisel. »Es ist im Schwalbenneste und hat sich mit der Schwalbe verheirathet!«
Je mehr der Kreisel daran dachte, um so mehr wurde er für das Bällchen eingenommen; gerade weil er es nicht bekommen konnte, darum nahm seine Liebe zu; daß es einen Andern genommen hatte, das war das Eigenthümliche dabei; und der Kreisel tanzte herum und schnurrte, dachte aber beständig an das Bällchen, welches in seinen Gedanken immer schöner und schöner wurde. So verstrich manches Jahr – – und nun war es eine alte Liebe.
Und der Kreisel war nicht mehr jung! – – Aber da wurde er eines Tages über und über vergoldet; nie hatte er so schön ausgesehen; er war nun ein Goldkreisel und sprang, daß er schnurrte. Ja, das war doch etwas! Aber auf einmal sprang er zu hoch und – weg war er!
Man suchte und suchte, selbst unten im Keller, doch er war nicht zu finden.
– – Wo war er?
Er war in den Kehrichtkasten gesprungen, wo Allerlei lag: Kohlstrünke, Kehricht und Schutt, welcher von der Dachrinne herunter gefallen war.
»Nun liege ich freilich gut! Hier wird die Vergoldung bald von mir verschwinden. Ach, unter welches Gesindel bin ich hier gerathen!«, und dann schielte er nach einem langen, abgeblätterten Kohlstrunk, und nach einem sonderbaren, runden Dinge, welches wie ein alter Apfel aussah; – aber es war kein Apfel, es war ein altes Bällchen, welches viele Jahre in der Dachrinne gelegen hatte und vom Wasser ganz durchnäßt war.
»Gott sei Dank, da kommt doch einer Unsersgleichen, mit dem man sprechen kann!« sagte das Bällchen und betrachtete den vergoldeten Kreisel. »Ich hin eigentlich von Saffian, von Jungfrauen-Händen genäht, und habe einen spanischen Kork im Leibe; aber das wird mir wohl Niemand ansehen. Ich war nahe daran, mich mit einer Schwalbe zu verheirathen, allein da fiel ich in die Dachrinne, und darin habe ich wohl fünf Jahre gelegen und bin ausgequollen! Glauben Sie mir, das ist eine lange Zeit für ein junges Bällchen!«
Aber der Kreisel sagte nichts; er dachte an seine alte Liebe, und je mehr er hörte, desto klarer wurde es ihm, daß sie es war.
Da kam das Dienstmädchen und wollte den Kasten umwenden: »Heisa, da ist der Goldkreisel!« sagte es.
Und der Kreisel kam wieder zu Ansehen und Ehre, aber vom Bällchen hörte man nichts. Und der Kreisel sprach nie mehr von seiner alten Liebe; die vergeht, wenn die Geliebte fünf Jahre lang in einer Wasserrinne gelegen hat und ausgequollen ist; ja, man erkennt sie nicht wieder, wenn man ihr im Kehrichtkasten begegnet.
Die Geschichte des Jahres.
Es war tief im Januar, ein furchtbares Schneegestöber tobte; der Schnee wirbelte durch Straßen und Gassen; die Fensterscheiben waren draußen wie mit Schnee überklebt, von den Dächern stürzte er in Massen, und in die Leute war Eile gekommen; sie liefen, flogen und fuhren einander in die Arme, sie hielten sich einen Augenblick fest, und standen wenigstens so lange sicher. Kutschen und Pferde waren gleichsam überzuckert; die Bedienten standen mit dem Rücken gegen den Kutschenrand und fuhren rücklings gegen den Wind; der Fußgänger hielt sich beständig im Schutze der Wagen, die sich nur langsam in dem tiefen Schnee vorwärts bewegten, und als sich endlich der Sturm legte, und längs der Häuser ein schmaler Steg geschaufelt wurde, blieben die Leute doch auf diesem stehen, wenn sie sich begegneten; Keiner von ihnen mochte den ersten Schritt thun und ausweichend in den tiefen Schnee treten, damit der Andere vorbeischlüpfen könne. Still und stumm standen sie da, bis endlich wie nach schweigender Uebereinkunft Jeder ein Bein preisgab, und es in dem Schneehaufen begrub.
Gegen Abend war es windstill, der Himmel sah aus als ob er gefegt wäre, und höher und durchsichtiger gemacht sei, die Sterne schienen nagelneu zu sein, und einige waren zur Verwunderung hell und klar, – es fror, daß es knisterte, – da konnte wohl die oberste Schneelage so stark werden, daß sie in der Morgenstunde die Sperlinge trug; diese hüpften bald auf, bald nieder, wo geschaufelt war, aber viel Futter war nicht zu finden, und es fror sie nicht wenig.
»Piep!« sagte der eine zum andern, »das heißt ein neues Jahr! – es ist ja schlimmer als das alte! da hätten wir das letztere ebenso gut behalten können. Ich bin unzufrieden und habe ein Recht dazu!«
»Ja, die Menschen liefen nun umher und begrüßten durch Schießen das neue Jahr,« sagte ein kleiner durchfrorner Sperling, »sie warfen Töpfe gegen die Thüren und waren vor Freude außer sich, weil nun das alte Jahr verschwunden! Ich war auch froh darüber, denn ich hoffte, wir würden warme Tage bekommen, aber daraus ist nichts geworden; es friert weit strenger als vorher; die Menschen haben sich in der Zeitrechnung geirrt!«
»Das haben sie!« sagte ein dritter, der alt und weiß am Schopfe war; »sie haben da Etwas, das sie den Kalender nennen, der ist nun so ihre eigene Erfindung, und Alles soll sich deshalb nach ihm richten; aber das geht nicht so! Wenn der Frühling kommt, beginnt das Jahr, das ist der Lauf der Natur, und darnach rechne ich!«
»Aber, wann kommt der Frühling?« fragten die Andern.
»Der kommt, wenn der Storch wiederkehrt, aber mit dem ist es sehr unbestimmt, und hier in der Stadt weiß Niemand was Bestimmtes davon, auf dem Lande wissen sie es besser, wollen wir dort hinausfliegen und es abwarten? Dort ist man jedenfalls dem Frühlinge näher.«
»Ja, das mag Alles ganz gut sein!« sagte einer von den Sperlingen, der lange umher gehüpft war und gepiept hatte, ohne eigentlich etwas gesagt zu haben. »Ich habe hier in der Stadt einige Bequemlichkeiten gefunden, welche ich draußen zu vermissen befürchte. Hier in der Nähe, auf einem Hofe wohnt eine Menschenfamilie, welche den sehr vernünftigen Einfall bekommen hat, drei bis vier Blumentöpfe an der Wand zu befestigen, sodaß die großen Oeffnungen gegen dieselbe, die Boden der Töpfe aber nach außen gewendet sind, in einen jeden von diesen ist ein Loch geschnitten, so groß, daß ich ein- und ausfliegen kann; dort habe ich und mein Mann das Nest, und alle unsere Jungen sind von dort ausgeflogen. Die Menschenfamilie hat natürlich das Ganze eingerichtet, um das Vergnügen zu haben, uns zu sehen, sonst würden sie es gewiß nicht gethan haben. Ihres Vergnügens wegen streuen sie auch Brotkrümchen aus, und so haben wir das Futter, es ist gleichsam für uns gesorgt; – deshalb glaube ich, daß ich und mein Mann bleiben; obgleich wir sehr unzufrieden sind, – aber wir bleiben!«
»Und wir fliegen auf's Land, um zu sehen, ob nicht der Frühling kommt!« und fort flogen sie.
Draußen auf dem Lande war strenger Winter, es fror einige Grade stärker als in der Stadt. Der scharfe Wind strich über die schneebedeckten Felder. Der Bauer saß mit großen Fausthandschuhen in seinem Schlitten, schlug kreuzend seine Arme, um die Kälte auszutreiben; die Peitsche lag auf seinen Knieen; die mageren Pferde liefen, daß sie dampften; der Schnee knisterte und die Sperlinge hüpften in den Räderspuren und froren. »Piep! wann kommt der Frühling? Es dauert sehr lange!«
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