Auch Quentin fühlte sich erleichtert. Dann kamen Schlag auf Schlag die wunderbarsten Kunststücke. Der Magier ließ Kartenspiele in seinen Händen erscheinen und verschwinden, zog einem kleinen Jungen ein buntes Tuch scheinbar aus dem Mund, angelte hinter dem rechten Ohr eines Zuschauers ein Hühnerei hervor und hinter dem linken Ohr einer Zuschauerin einen Taler. Tosender Applaus.
Quentin versuchte die ganze Zeit, die Tricks zu durchschauen, zu sehen, aus welchem Ärmel oder welcher Rockfalte der Magier die ganzen Gegenstände hervorholte, aber er konnte beim besten Willen nichts erkennen.
Der Magier bat eine Frau mit einem Kranz aus geflochtenen Haaren aus dem Publikum auf die Bühne. Er stellte sie so, dass sie ihn anblickte, streckte die Hände mit den Handflächen nach unten vor sich, drehte sie um und hatte plötzlich in jeder Hand eine wunderschöne weiße Rosenblüte. Die Frau bekam vor Überraschung nur ein kleines „Huch!“ über die Lippen, war aber ansonsten völlig gebannt und bewegte sich kaum, als der Magier ihr die Rosen in den Haarkranz legte.
Dann trat er hinter sie. Er hatte die Hände auf dem Rücken verschränkt und beugte sich langsam mit dem Gesicht zu ihren Haaren vor. Er blies ganz sanft in die Rosenblüten, und plötzlich waren in den Haaren keine Blüten mehr, sondern zwei weiße Tauben, die erschreckt aufflatterten und in den Himmel davonstoben.
Ungläubiges Staunen, dann verfiel die Menge in einen neuen Beifallssturm. Aber die Vorführung war noch nicht vorbei.
Der Magier entließ die immer noch ungläubige Frau zurück in die Menge und nahm dann ein elegantes Kurzschwert aus einer Kiste. Er ging damit zu einem kräftigen Mann, der die Schärfe prüfte. Offensichtlich war dieser von der Echtheit und dem Schliff überzeugt, was angesichts des blutenden Ritzes in seinem Daumen auch niemanden verwundern durfte. Um den Rest des Publikums zu überzeugen, warf der Magier ein seidenes Tuch in die Luft und ließ es beim Herunterschweben auf dem Schwert landen. Das Tuch teilte sich in zwei Hälften. Jetzt war auch der letzte Zweifler überzeugt davon, dass das Schwert nicht nur echt, sondern auch äußerst scharf war.
Der Magier trat in die Mitte der Bühne, das Schwert ausbalanciert auf der ausgestreckten flachen Hand. Dann warf er es mit einem kraftvollen Schwung in die Luft. Das Schwert blieb völlig waagerecht und wirbelte dabei um die eigene Achse. Es stieg mehrere Meter hoch und kam dann zurück. Der Magier stand mit ausgebreiteten Armen und wartete. Die Blicke der Zuschauer flogen zwischen Schwert und Magier hin und her. Was hatte er vor?
Immer schneller fiel das Schwert, aber der Magier stand vollkommen ruhig und wartete. Noch drei Meter, noch zwei. Die weit ausgebreiteten Arme des Magiers flogen nach vorn.
Er wollte doch wohl nicht klatschen? Das Schwert würde seine linke Hand mühelos durchstoßen! Die rechte Hand würde dabei noch von hinten auf den Schwertknauf drücken! Aber unbeirrt fiel das Schwert, und ebenso unbeirrt flogen die Arme nach vorn.
Es klatschte. Die Menge schrie auf. Viele hatten den Blick mit verkniffenem Gesicht zur Seite gerichtet, aber diejenigen, die weiter hingesehen hatten, würden noch jahrelang von dem erzählen, was sie nun zu sehen bekamen:
Die Hände des Magiers trafen das Schwert an der Spitze seiner Klinge und am Knauf. Aber anstatt sich durch seine linke Hand zu bohren, verschwand das Schwert in einem grellen Lichtblitz. Die Hände klatschten zusammen, und auf dem rechten Handgelenk des Magiers saß ein Falke.
Atemlose Stille.
Dann brach stürmischer Applaus los. Der Magier verneigte sich mit unergründlichem Lächeln vor seinem begeisterten Publikum. Damit war die Aufführung beendet.
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Quentin verstand nichts mehr. Was er gerade mit eigenen Augen gesehen hatte, war absolut unmöglich! Völlig verwirrt nahm er seinen Korb auf und drehte sich um. Zufällig fiel sein Blick dabei auf die Rathausuhr. Es war kurz vor Zwölf!
Gerade wollte er loslaufen, da kroch ihm eine Gänsehaut den Rücken hinauf. Irgendetwas hatte sich wie eine eiskalte Hand förmlich um seinen Nacken gekrallt und zwang ihn, sich wieder umzudrehen.
Hilflos schaute Quentin in die tiefschwarzen Augen des Magiers, der langsam auf ihn zukam. Als er nur noch einen Schritt entfernt war, schnellte seine nach oben geöffnete leere Hand vor. „Das ist für Dich, Quentin“, sagte er mit einer tiefen, melodischen Stimme und drehte dabei seine Hand um. Fast automatisch hielt Quentin seine Hand unter die des Magiers, und hinein fiel eine walnussgroße gelblich schimmernde Kugel.
Quentin blickte fasziniert in seine Hand und hob dann wieder den Blick, um sich zu bedanken. Aber der Magier war verschwunden.
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Der Einspänner war schwerer, als Meara gedacht hatte. Nach dem gemeinsamen Mittagessen hatte sie Hendrik vorgeschlagen, den Wagen zu seinem Hof zu schieben und das Pferd nebenher laufen zu lassen. Hendrik hatte erfolglos protestiert, nach kurzem Disput waren sie schließlich aufgebrochen.
Hin und wieder hielten sie an, nicht nur, weil sie verschnaufen mussten, sondern weil Meara verschiedene Kräuter am Wegrand sammelte. Nebenbei erklärte sie Hendrik, wofür welches der Kräuter gut war. Hendrik fragte mehr als einmal, woher Meara so viel wisse, aber die Hexe wich ihm immer wieder geschickt aus.
Am späten Nachmittag erreichten sie schwitzend und vom Straßenstaub bedeckt Hendriks Hof. Sie wuschen sich den gröbsten Dreck aus dem Gesicht und von den Armen, dann machte sich Hendrik daran, den Wagen abzuladen.
Meara war mit den Kräutern in die Küche gegangen. Ein alter Knecht hatte ihr noch ein paar Utensilien besorgt, um die sie gebeten hatte, und war wieder aus der Küche geschlurft. Dann ging es los.
Zuerst mussten die sieben Kräuter peinlich sauber gewaschen werden. Nebenbei wurde langsam Fett in einem Topf zerlassen. Dann wurden die Kräuter in einer bestimmten Reihenfolge in einem Mörser so lange bearbeitet, bis sie zu einem Brei geworden waren. Das alles war eine langwierige Arbeit. Es war allerdings unheimlich wichtig, dass alle Kräuter gleichmäßig fein zerstoßen waren, denn sonst konnten sie ihre Wirkung nicht voll entfalten. Meara konzentrierte sich.
Endlich war alles zu ihrer Zufriedenheit. Das Fett hatte die richtige Flüssigkeit, die Kräuter waren perfekt zerstoßen. Langsam gab sie das heiße Fett unter ständigem Rühren in den Kräuterbrei. Dann bewegte Meara kurz die Finger und murmelte leise „ Saira lennan “. Der Mörser zitterte kurz und stand dann wieder still, als wenn nichts geschehen wäre. Anschließend goss sie die Masse in einen kalten Topf, worin das Fett schnell wieder fester wurde. Die Salbe war fertig.
Hendrik hatte ihr schon eine Zeit lang aufmerksam zugesehen. Meara bemerkte ihn erst, als sie fertig war, und erschrak bis ins Mark. Hoffentlich hatte er den Zauber nicht bemerkt!
„Entschuldigt, ich wollte Euch nicht erschrecken!“, beeilte sich Hendrik, Meara zu beruhigen. „Es ist ganz erstaunlich, was Ihr alles könnt!“ Hendrik lächelte. „Dann muss die Salbe jetzt ja nur noch wirken.“
Meara lächelte unsicher zurück. „Das tut sie ganz sicher.“
Als das Pferd versorgt war, wollte Meara sich verabschieden, aber Hendrik ließ sie nicht gehen. „Es ist schon fast dunkel, da kommt Ihr ohnehin nicht weit. Ich habe viel Platz in meinem Haus und außerdem äußerst selten so kluge und bezaubernde Gäste.“ Er zwinkerte ihr zu.
Meara bekam gegen ihren Willen ganz rote Wangen, aber sie nahm die Einladung gern an. Hendrik war wirklich ein sehr netter Kerl!
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Die Sonne hatte sich dem Horizont schon deutlich genähert, als Milan an einem kleinen See ankam. In ein bis zwei Stunden würde es Nacht sein. Im seichten Wasser standen ein paar Graureiher und suchten nach kleinen Fischen. Unsichtbare Vögel zwitscherten im hohen Schilf.
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