Wir mussten uns – als Bewegung – eingestehen, was wir jenen angetan hatten, denen wir wissentlich oder unwissentlich Schaden zugefügt hatten. Wir mussten eine innere Inventur von uns selbst als Individuen und als Bewegung machen, um zu erkennen und zu verstehen, wo wir Schaden angerichtet und Fehler gemacht hatten, sodass wir Wiedergutmachung leisten, weiter vorankommen und alle heilen und wachsen konnten. Dies nicht zu tun, wäre der Beweis dafür, dass wir das WMS vollständig internalisiert hatten. Ich glaube, dieses Buch ist Teil dieses Prozesses. Nicht perfekt zu sein hat den Vorteil, uns zu helfen, aus unseren Fehlern zu lernen, und hoffentlich gibt es viele Fehler, damit wir durch sie wachsen können.
Wir müssen uns anschauen, wie gemein wir gegenüber anderen Frauen waren, die nicht „unserer Art“ von Feminismus anhingen. Wir müssen uns den Egoismus in unserer Selbstgerechtigkeit ansehen. Wir müssen zu unserem Ärger gegenüber jenen stehen, die mit unserer Sichtweise nicht übereinstimmten, während wir ihre Sichtweise auch nicht gelten ließen, und gleichzeitig erkennen, dass im Grunde kein Mensch einen anderen bestätigen kann. So ist es eben. Annehmen – ja. Bestätigen – nein.
Im Prozess der Wiedergutmachung begann ich mich wieder hoffnungsvoll zu fühlen.
Dann machte ich eine sehr interessante Erfahrung. Ich kam in Verbindung mit einer Gruppe normaler junger Frauen aus Hawaii, die ihren Feminismus durch Schreiben und Theaterspielen erforschten. Sie hörten sich sehr wie die Feministinnen der zweiten Phase an, doch waren sie mit mehr Sachwissen und mehr geschichtlicher Erfahrung ausgestattet. Sie hatten die gleichen Themen: ungleiche Bezahlung, das Recht der Frau über ihren Körper und ihre Fortpflanzung, die Weigerung, sich von unterdrückenden Institutionen unterdrücken zu lassen und so weiter und so fort.
Der Feminismus lebte und blühte, in neuem Gewand.
Später fiel mir in London ein Buch in die Hände mit dem Titel: Reclaiming the F Word: The New Feminist Movement (dt.: Das F-Wort zurückfordern: die neue feministische Bewegung ), aus dem Jahre 2010. Die Frauen in diesem Buch hörten sich nicht wie die Feministinnen der dritten Phase an. Sie hörten sich an wie die jungen Frauen auf Hawaii. Ah! Wie aufregend.
Im Vorwort bringen sie zweierlei zum Ausdruck: 1. Sie hatten zusammengefunden durch ein gemeinsames Interesse an der Einstellung junger Frauen zum Feminismus und 2. waren sie der leidenschaftlichen Überzeugung, dass Feminismus heute so wichtig ist wie eh und je und dass in den letzten paar Jahren eine dynamische feministische Bewegung in Gang gekommen ist, die exponentiell zu wachsen scheint.
Und weiter schreiben sie:
„Doch gleichzeitig sind wir verdutzt und enttäuscht darüber, wie der Feminismus dargestellt wird. Es ist, als lebten wir in einer Parallelwelt. Ein Artikel nach dem anderen verkündet den Tod des Feminismus und erklärt, dass insbesondere junge Menschen an dieser einmal so vitalen Bewegung nicht interessiert seien. Wir lesen Artikel, in denen der fehlende Aktivismus der Frauen beklagt wird. Wir erleben Podiumsdiskussionen zu Themen wie ‚Ist der Feminismus tot?’ oder ‚Brauchen wir einen neuen Feminismus?’. Feministische Akademikerinnen scheinen die Beteiligung junger Menschen am Feminismus zu übersehen. Wir erhalten E-Mails, in denen uns vorgeworfen wird (sehr amüsant!): ‚Alles, was ihr Feministinnen macht, ist herumzusitzen und eine Show abzuziehen und euch darüber zu ereifern, dass Lebkuchenmänner heutzutage Lebkuchenleute genannt werden sollten ...‘“
„Wir wollen zeigen, dass Feminismus befreiend ist, vielfältig, herausfordernd, aufregend, wichtig und inklusiv, und wir hoffen, zu weiterem Engagement zu inspirieren.“
Während ich damit beschäftigt gewesen war, meinen Fokus auf Heilung zu erweitern, war der Feminismus in einer neuen Generation lebendig, gesund und am Wachsen! Warum hatten mich die Medien nicht über diese Realität auf dem Laufenden gehalten?! Ich weiß natürlich, warum.
Toll! Klasse! Wie wunderbar – das ist meine Erfahrung. Der Feminismus ist nicht tot, die Jungen wissen das. Es ist einfach nur so, dass einige Frauen mittleren Alters ihren Weg vergessen haben oder – wie zumindest viele von uns – davon abgekommen sind. Nur weil die Medien nicht darüber berichten, heißt das nicht, dass es uns nicht mehr in voller Kraft gibt.
Gehören diese Frauen zur dritten Phase, zur Postmoderne, zur vierten Phase? Wer schert sich darum? Sie sind die Jüngsten im Prozess der feministischen Bewegung, die es schon so lange gibt wie Frauen auf diesem Planeten – eine Bewegung der Frauen! – unsere BEWEGUNG!
Doch so ist das bei Prozessen – sie kommen in Wellen und bauen in Bewusstheit, Einsicht, Weisheit und Macht aufeinander auf.
„Bewegungen“ sind vielleicht anders.
Ich habe entdeckt, dass wir uns allzu oft einer „Sache“ verschreiben, ohne unsere persönliche innere Arbeit, unser Weiten und Wachsen zu tun oder fortzuführen, was uns deshalb weniger effektiv macht. Unser persönliches Wachstum und unser spirituelles Wachstum müssen schon vor der Geburt beginnen und gehen über unseren Tod hinaus – das ist eines der Geschenke des Menschseins. Niemand anderes kann dafür sorgen, dass dieses Bedürfnis zu wachsen unser ganzes Leben hindurch erfüllt wird. Es liegt an uns, dafür zu sorgen, und wir müssen so viel wie möglich lernen. Alles, was wir lernen können.
Hat also diese achtzigjährige Feministin, die während der zweiten Phase des Feminismus in ein neues feministisches Bewusstsein gestoßen wurde, irgendetwas gemein mit dieser vergangenen dritten Phase oder der postmodernen Phase von Feministinnen? Natürlich habe ich das. Wir brauchen einander.
Als sich auf Hawaii die Hawaiianer für die Unabhängigkeitsbewegung rüsteten, wiesen die Ältesten darauf hin, dass alle in den Prozess einbezogen werden mussten. Akua (der Schöpfer) – die Vorstellung aller von einer Macht größer als man selbst – sollte im Zentrum des Regierens stehen. Dann sollten die kapuna als die Ältesten, die sie sind, geehrt werden, da sie länger gelebt und – hoffentlich – an Weisheit gewonnen hatten und aufgrund ihrer Stellung im Lebenskreislauf näher bei Akua sind. Die Erwachsenen, makua , würden die physischen Arbeiten der Nation übernehmen und die keiki (Kinder) wären sozusagen die „Beine“ und zuständig für das Laufen und Holen. Für einen Wandel mussten alle einbezogen werden. Ich sah diese Vorgehensweise in Aktion und war erstaunt, wie gut sie funktionierte.
Natürlich muss jede Person, jede Generation, ihren eigenen Weg finden, und jene, die sich weigern, von ihren Vorgängern zu lernen, sind unnötigerweise benachteiligt.
Es leuchtet ein: Wenn wir unser Wissen, unsere Erfahrung und unsere Informationen bündeln, werden wir alle stärker. Sonst trotten wir weiter im Kreis und in der gleichen Spur, so, als ob wir mit einem Fuß am Boden festgenagelt wären.
Jede neue Gruppe von Feministinnen wird mit ihren eigenen persönlichen Dämonen sowie mit den kulturellen und systemischen Dämonen ihrer Zeit und ihrer Kultur umgehen müssen – wobei eine breitere Sichtweise hilfreich sein kann.
Die vor uns liegende Aufgabe ist immens. Seit Jahrhunderten wurden wir alle von diesem Herrschaftssystem konditioniert und geschult. Wir müssen uns nicht nur damit befassen, was wir denken, wir müssen uns auch mit der tatsächlichen Art und Weise unseres Denkens auseinandersetzen und wie wir es uns vorstellen, dass es andere Wirklichkeiten zu entdecken gibt. Wir werden den uns antrainierten Glauben überwinden müssen, diese TMM-Kultur sei die alleinige Realität und im Laufe der Zeit erkennen müssen, dass es viele Wirklichkeiten gibt. Und je besser wir sie verstehen, umso besser sind die Chancen, einen Lebensprozess zu entwickeln, der unserer Realität entspricht und für die Menschheit kein so großer Umweg wie das WMS/TMM-System ist. Feministinnen meiner Generation sagen oft, der von ihnen geführte Kampf sei deshalb so schwierig, weil „der Vorposten des Feindes in unseren eigenen Köpfen sitzt“. Das stimmt noch immer. Und es trifft weniger zu dank der Frauen, die uns vorangingen, und dank jener Frauen, die auf die Arbeit der Feministinnen der zweiten Phase aufgebaut und einige dieser „Vorposten“ niedergerissen haben.
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