»Die verdammte Tür war offen«, wunderte sich Bones laut und fuhr erschrocken zurück, als plötzlich Paul hinter dem Sofa aufstand.
»Was zum Geier fällt dir ein, mich so zu erschrecken«, fuhr er Paul an.
»Sorry Chef, ich dachte, es ist jemand Fremdes an der Tür und hatte mich versteckt. Aber wieso brichst du in deinen eigenen Laden ein?«
Bones musste sich erst einmal setzten, griff sich ein Bier aus dem Kasten neben dem Schreibtisch und holte tief Luft.
»Konnte ich ahnen, dass du Held von innen den Schlüssel stecken lässt? Was tust du überhaupt hier?«
»Ich warte auf dich, nachdem wir uns am Donnerstag verpasst haben und wunderte mich, dass du die Vorstellung ausfallen lässt.«
»Nicht freiwillig, das kannst du mir glauben. Ich hatte aber meinen Schlüssel verlegt, und als ich zur Kasse gehen wollte, fiel die Tür ins Schloss, und ich stand draußen. Deshalb musste ich die Vorstellung absagen, fuhr nach Hause, holte den Ersatzschlüssel und hoffte, rechtzeitig zur nächsten Vorstellung wieder zurück zu sein. Und die beginnt in genau fünfzehn Minuten, also setz dich an die Kasse, und ich lege die Filmrolle ein.«
Paul nickte und ging zu den bereits wartenden Kunden.
Zwanzig Minuten später saßen sie gemeinsam im Vorführraum, jeder eine Flasche Bier in der Hand und beobachteten die ersten Minuten des Sexstreifens, um Ton und Filmspur nachzujustieren.
»Wir waren also am Donnerstag wirklich verabredet?«, fragte Bones plötzlich. »Ich hatte schon an mir gezweifelt, als ich dich nicht erreichen konnte, aber auch nichts von dir hörte.«
»Tut mir leid Chef, mir ging’s nicht gut, und dann habe ich es schlicht vergessen. Aber was so Wichtiges haben wir denn zu besprechen?«
»Das ist eine längere Geschichte, von der dich aber nur das Ergebnis interessieren dürfte. Hat Bernd schon mit dir über das Henkersmahl gesprochen?«
»Nein, einzig, dass du mich sehen willst. Weshalb schien er nicht zu wissen.«
»Der Sack wusste ganz genau, wieso ich dich sprechen wollte, aber egal. Kurz und schmerzhaft, du wirst in der Green Mile vorerst nicht mehr arbeiten können. Tut mir leid, oder besser Bernd sollte es leid tun, denn ich werde aus dem Henkersmahl aussteigen.«
Bones rieb sich das unrasierte Kinn und schaute etwas verlegen an Paul vorbei. Paul öffnete den Mund, schloss ihn aber wieder, ohne etwas zu sagen. Zu sehr hatte ihn diese Neuigkeit überrascht.
»Sagen wir mal so. Wir sind übereingekommen, künftig getrennte Wege zu gehen und das gemeinsame Geschäft aufzuteilen. Ich behalte beide Kinos und er das Lokal. Die Hintergründe soll dir Bernd erzählen, wenn es dich interessiert«, fuhr Bones fort.
»Das ist ein echtes Brett.«
Paul hatte die Sprache wieder gefunden und hätte brennend gern erfahren, was vorgefallen war.
»Aber wieso muss ich im Henker aufhören, wenn du gehst? War Bernd unzufrieden mit mir?«
»Ich denke nicht, aber er kann sich dich im Augenblick schlicht nicht leisten. Das hat nichts mit dir zu tun.«
»Stimmt, die Studentensätze sind ruinös. Aber wieso steigst du aus, läuft der Laden so schlecht?«
»Eigentlich nicht, aber Bernd hat eigene Pläne, die ich nicht teile, und ich hätte so die Chance, aus der Pornoklitsche hier was Neues zu machen. Mir schwebt ein Eventkino vor, doch die Details entscheiden sich erst in den nächsten Tagen.«
»Muss ich dann hier auch aufhören?«
Paul war besorgt und fürchtete, seine Eltern um eine Aufstockung ihres monatlichen Mietzuschusses bitten zu müssen.
»Meinetwegen nicht, im Gegenteil, ich könnte dich sogar häufiger brauchen, wenn ich das richtig groß aufziehen will. Übrigens, nächste Woche kannst du schon noch an der Bar arbeiten, die Änderungen laufen erst ab Oktober. Vielleicht weiß Bernd dann auch, ob er dich über kurz oder lang weiterbeschäftigen kann.«
Für Paul kamen die Neuigkeiten zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt. Ausgerechnet jetzt, wo er Ablenkung dringend nötig hatte, war er zum Daheimsitzen verdammt und keine Nina, mit der er die gewonnene Freizeit hätte verbringen können.
»Ok, sag Bescheid, wann du mich zusätzlich im Kino brauchen kannst, mir fällt sonst die Decke auf den Kopf«, bat er Bones und schickte sich an aufzubrechen.
»Mach ich, aber war da nicht irgendwer mit irgendwem im Henker? Du solltest dich doch über etwas mehr Zeit am Abend freuen?«
Paul winkte nur ab und ließ Bones verwundert allein.
»Guten Morgen Bruderherz, ziemlich chaotisch hier«, waren Niklas erste Worte, als er Levi am Sonntagvormittag in der WG besuchen kam.
»Mir räumt auch keiner meinen Kram hinterher, übrigens schöne Grüße an meine Schwägerin«, parierte Levi und lud Niklas ein, sich ins Wohnzimmer zu setzen. »Wie war’s in China?«
»Stressig, wenn man fünf Firmen in drei Tagen besucht und so tun muss, als ob man sich für ein Joint Venture interessiere.«
»Wozu dann das Ganze?«
»Marktforschung. Ich sondiere die chinesische Konkurrenz und halte Vater auf dem Laufenden, was sich in Fernost so tut. Doch dazu vielleicht später. Sind wir allein?«
Levi sah sich kurz um. »Eigentlich schon.«
»Eigentlich?«
»Ja, Paul ist auf dem Dachboden und malt. Er wird uns nicht stören, und Marc ist zum Geburtstag bei seiner Mutter.«
»Gut, wie geht’s Rebecca, hat sie sich noch mal gemeldet?«
»Nicht bei mir, aber Alexander…«
Niklas schaute seinen Bruder fragend an.
»Ein Freund. Also Alex traf sie unlängst, und das heißt wohl, sie lebt und soll sogar auf Jobsuche sein. Nichts, was dich sorgen müsste.«
»Das ist deine Sache, mein Lieber. Dennoch gebe ich in dieser Beziehung Vater Recht, sie passte nicht in unsere Familie.«
»Was wir weder hier noch heute noch überhaupt diskutieren müssen, sie ist weg und Schluss.«
»Schon gut, doch für mein Anliegen heute wäre es besser, wenn sie auch nicht wiederkäme, denn ich brauche dich und niemanden, der dir sagt, wann du für wen Zeit haben darfst.«
»Jetzt übertreibe nicht. So schlimm war sie nie, und was genau ist das großes Geheimnis?« Levi war das Getue seines Bruders leid.
Niklas zog sein Sakko aus, hängte es über die Lehne des neben dem Sofa stehenden Stuhls und entnahm seiner Aktentasche einige Computerausdrucke, die er auf den Couchtisch legte.
»Seit ein paar Monaten sinken die Absätze trotz gefüllter Auftragsbücher. Es sind nur minimale Differenzen, nichts Besorgniserregendes, aber dennoch ohne logische Erklärung. Ich habe daraufhin die Bücher geprüft und mit den Unterlagen unserer Steuerkanzlei abgeglichen sowie sämtliche Zahlungsein- und -ausgänge nachverfolgt. Nichts.«
Levi kratzte sich stumm am Kinn, dann stand er auf und ging zur Tür.
»Bier oder Kaffee? Dann redet es sich besser.«
»Danke, Wasser genügt völlig. Kann auch aus der Leitung sein.«
»Anderes hätten wir auch gar nicht«, rief Levi aus der Küche.
Niklas sah sich währenddessen im Zimmer um. Bücher gab es kaum, dafür ein gutes Dutzend Playstationspiele und stapelweise DVDs.
»Ich dachte, man brennt sich heute alles, was man sehen will«, wunderte er sich, als er von Levi das Glas entgegen nahm.
»Die sind gebrannt, lediglich die Cover habe ich an der Uni ausgedruckt. Sieht ziemlich echt aus, oder?«, grinste Levi, der sich selbst ein Bier geholt hatte.
»Und ziemlich illegal. Doch wolltest du mir nicht ein Wasser mitbringen?«, fragte Niklas, während er den Inhalt seines Glases in den völlig ausgetrockneten Benjamini goss. Levi schaute ihn überrascht an.
»Du weißt ja, wo die Küche ist und im Flur stünde noch eine Yukka- Palme, und vielleicht könnten wir dann mal zur Sache kommen.«
»Ok, die Zahlen scheinen zu stimmen, so dass wir trotz gestiegener Aufträge ein Umsatzdefizit hatten. Nein, das stimmt nicht, wir haben korrekte Umsätze, der Gewinn fiel geringer aus, als es das Controlling hergab? Ohne dich mit betriebswirtschaftlichen Details zu langweilen…«
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