„Was hat das mit Hennings zu tun?“, unterbrach Helfiger.
„Bitte gedulden Sie sich. Diese von SEEDAGRO und anderen Konzernen unkontrollierbare, direkte Selbstvermehrung durch die Bauern bedeutet auf Dauer einen großen wirtschaftlichen Verlust, zumal die Agrarmultis in sehr vielen Ländern von den maroden juristischen Institutionen an der Durchsetzung ihrer legitimen Rechte gehindert werden. Mit Hilfe der Terminatortechnologie könnte SEEDAGRO auch diese Widerstandsnester in den Griff bekommen. Die Terminatortechnologie ist schon lange im Gespräch, aber sie ist rund um den Globus verpönt und geächtet. Derzeit existiert ein weltweites, freiwilliges Moratorium, das die Terminatortechnologie verhindern will. Trotz dieser Ächtung hat SEEDAGRO heimlich weitergeforscht. Ihr Stargenetiker Terry Hennings hat in den SEEDAGRO Labors in Mexiko den Durchbruch erzielt. Die Resultate wurden durch illegale Freilandversuche verifiziert, und tatsächlich gingen die Terminatorsaaten wie geplant zugrunde. Die Bauern, die als Versuchskaninchen herhalten mussten, ohne davon zu wissen, gingen auf die Barrikaden, und Terry Hennings drohte die Verhaftung, weil die Behörden SEEDAGRO schon seit Längerem verdächtigten, illegale Freisetzungen von gentechnisch veränderten Pflanzen vorgenommen zu haben. Nachdem sich Terry Hennings durch seine überstürzte Heimreise der Verhaftung entzog, hat SEEDAGRO nun ein Problem. Der SEEDAGRO Laborbrand in Oaxaca und der Wohnungseinbruch bei Hennings werfen ein schiefes Licht auf ihre Firma. Die Presse wird Wind davon bekommen, Unschönes wird vermutet und der Aktienkurs bekommt eine kräftige Delle. Vielleicht stehen in Kürze schon die Journalisten vor Hennings’ Haustür, und dann wird man Ihnen beiden sehr unangenehme Fragen stellen. Und Hennings erwartet auch sehr viel Geld von Ihnen. Was wird er tun, wenn er nicht bezahlt wird? Wird er die Presse einschalten? Aber vielleicht empfängt er ja nicht nur Geld von SEEDAGRO! Müssen Sie nicht befürchten, dass Hennings die Ergebnisse seiner Forschung auch an Dritte verkauft? Vor einer Woche übergab Hennings einer russischen Botschaftsangestellten in Bern einen Umschlag. Ich wette, darin war eine DVD mit wichtigen Fakten über die Terminatorpflanze, natürlich ohne Details.“
Durrance gab dem Kellner ein Handzeichen und bestellte zwei Cognacs.
„Meine Herren, ich glaube, Sie werden von den Vorzügen meines Vorschlags schnell überzeugt sein“, fuhr Fong unbeeindruckt fort. „Ich mache Ihnen jetzt ein einmaliges und faires Angebot, danach haben Sie fünfzehn Minuten Bedenkzeit. Sie können mein Angebot akzeptieren oder die Zeit einfach ungenutzt verstreichen lassen und meinen Vorschlag ohne Angaben von Gründen ablehnen. Dann werde ich diesen Ort verlassen, und wir werden uns nie mehr begegnen.“
7. Lausanne (Schweiz), Juli 2013
Max Ernie hatte eine kleine Wiedersehenswanderung für das kommende Wochenende vor. Sie könnten sich in Kandersteg treffen und dann vom Gasterntal aus über den Lötschenpass zur SBB-Südrampe im Rhonetal wandern. Hennings fand den Vorschlag perfekt. Aus den Internetnachrichten vom Morgen wusste er, dass die Wetterprognose für den kommenden Samstag und Sonntag schönes Wetter für das Berner Oberland ankündigte. Er hatte Max, der als freier Wissenschaftsjournalist arbeitete, schon fast zwei Jahre nicht mehr gesehen. Früher hatten sie viele gemeinsame Bergtouren unternommen. Der Höhepunkt war die Besteigung des Montblanc gewesen. Max Ernie und Hennings waren sich meist völlig uneinig in weltanschaulichen Themen. Aber beide stellten nicht die Dissonanz in den Mittelpunkt, sondern den Diskurs und den Respekt vor der Meinung des anderen. Hennings Weltanschauung war viel robuster bezüglich möglicher Folgen menschlichen Handelns und er vertrat die Maxime, dass alles, was durch den Menschen machbar war, irgendwann, irgendwo, von irgendwem auch gemacht werden würde. Deshalb tat man es am besten gleich selbst. Ernie vertrat dagegen den Standpunkt, dass die universelle Machbarkeit vieler Dinge vor ihrer Realisierung eine ethische Überprüfung benötigte und nur unter strengster Würdigung der potenziellen Folgen für die Menschheit auch freigegeben werden sollte. Hennings widersprach dem und vertrat die simple These, dass Forschung und deren konsequente Umsetzung die universelle Grundlage der zivilisatorischen Entwicklung seien und niemand einen Fortschritt, für den die Zeit reif sei, aufhalten könne.
Am Freitagnachmittag packte er seine Wanderausrüstung und Proviant in sein Auto. Da er seit Oaxaca auf der Hut vor Wohnungseinbrüchen war, packte er auch seine drei DVDs, auf denen er sein gesamtes Wissen über die Terminatorpflanzen gesichert hatte, in das Handschuhfach des Renaults. Die Anfahrt würde circa zwei bis drei Stunden dauern. Gegen sieben Uhr abends fuhr er endlich in Lausanne auf die Autobahn in Richtung Bern. Der Mietwagen, ein Renault Clio, war erst kürzlich vollgetankt worden und hatte nur einen geringen Verbrauch. Er musste sich also nicht noch an einer Tankstelle anstellen.
Er war bereits zwei Stunden unterwegs und hatte mittlerweile Bern umrundet, als plötzlich sein Motor eigenartig stotterte. Das Fahrzeug ruckelte heftig, und schließlich erstarb das Motorengeräusch. Er lenkte den Wagen auf die Standspur und schaltete die Warnblinkanlage ein.
Hennings stieß einen lauten Fluch aus und hieb mit der Faust auf das Lenkrad. Es würde spät werden, bis er sein Ziel erreichte. Zuerst nahm er sich vor, unter die Motorhaube zu schauen, obwohl er davon wenig verstand. Manchmal erkannte man den Grund einer Fehlfunktion spontan, aber diesmal fand er keinerlei Anhaltspunkt, warum die blöde Karre ihren Dienst quittierte. Zu allem Überfluss setzte noch ein heftiger Regenschauer ein, sodass Hennings in sicherer Entfernung das Warndreieck hinter dem Wagen auf die Standspur stellte.
Er rief über sein Handy die Auskunft an und ließ sich mit der Autobahnmeisterei verbinden. Die Stimme am anderen Ende versprach, innerhalb der nächsten zehn Minuten zurückzurufen. Nach fünfzehn Minuten war nichts passiert. Er fluchte, denn er hatte die Nummer der Autobahnmeisterei nicht notiert. Also rief er wieder die Auskunft an und ließ sich die Nummer durchgeben. Die Autobahnmeisterei entschuldigte sich, es seien in den letzten dreißig Minuten sehr viele Unfälle passiert, er müsse mindestens noch eine Stunde warten.
Seufzend ergab sich Hennings seinem Schicksal. Er sah nach draußen. Der Regen hatte nachgelassen. Hinter ihm hielt ein Fahrzeug auf dem Standstreifen. Ein asiatisch aussehender Mann näherte sich der Beifahrerseite und hielt sich dabei eine Zeitung über den Kopf. Hennings ließ das Fenster herunter.
„Können wir etwas für Sie tun?“, fragte der Asiat in einwandfreiem Englisch.
„Leider nicht“, antwortete Hennings, „ich muss wahrscheinlich abgeschleppt werden und noch ziemlich lange auf das Abschleppfahrzeug warten.“
„Wissen Sie was? Ich könnte Ihren Wagen ein Stück mitnehmen. Nach zwei Kilometern kommt eine Raststätte, dort können Sie viel bequemer im Trockenen warten“, schlug der Asiat vor.
„Ich will Ihnen keine Umstände machen. Nein danke, das ist sehr nett von Ihnen“, antwortete Hennings, obwohl ihn der Gedanke, alles Weitere in einer Raststelle abwarten zu können, doch stark anzog.
„Wir tun das gern für Sie, wir sind zu dritt, da geht es ganz schnell.“
Schließlich willigte Hennings ein und stieg aus dem Wagen, um das Abschleppseil zu holen. Der Asiat hatte schon die Abschleppstange zur Hand. Ein zweiter Asiat entstieg freundlich nickend dem anderen Auto, einem Fünfer BMW. Der erste Asiat hatte die Abschleppstange bereits am Renault befestigt, der Asiat am Steuer setzte den BMW dicht vor den Renault und stieß vorsichtig zurück, um die Stange zu befestigen.
„Steigen Sie in den großen Wagen, wir erledigen für Sie alles andere. Mein Freund wird Ihren Wagen sicher zur Rastanlage steuern.“
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