Ist diese Fähigkeit der Phantasie zuzuschreiben, so ist dies auch fast der einzige Dienst, welchen die kriegerische Tätigkeit von dieser ausgelassenen Göttin fordert, die ihr übrigens eher verderblich als nützlich ist. –
Wir glauben hiermit diejenigen Äußerungen der Geistes- und Seelenkräfte in Betracht gezogen zu haben, welche durch die kriegerische Tätigkeit der menschlichen Natur abgefordert werden. Überall erscheint der Verstand als eine wesentlich mitwirkende Kraft, und so wird es denn begreiflich, wie das in seinen Erscheinungen so einfache, wenig zusammengesetzte kriegerische Wirken von Leuten ohne ausgezeichnete Verstandeskräfte nicht auf eine ausgezeichnete Art geleistet werden kann.
Hat man diese Ansicht gewonnen, so ist man nicht mehr genötigt, das Umgehen einer feindlichen Stellung, eine an sich so natürliche, tausendmal dagewesene Sache, und hundert ähnliche für das Werk großer Geistesanstrengung zu halten.
Freilich ist man gewohnt, den einfachen tüchtigen Soldaten als einen Gegensatz zu denken zu den meditativen oder erfindungs- oder ideenreichen Köpfen und den in Bildungsschmuck aller Art glänzenden Geistern; auch ist dieser Gegensatz keineswegs ohne Realität, aber er beweist nur nicht, daß die Tüchtigkeit des Soldaten bloß in seinem Mute bestände, und daß es nicht auch einer gewissen eigentümlichen Tätigkeit und Tüchtigkeit des Kopfes bedürfte, um nur das zu sein, was man einen guten Degen nennt. Wir müssen immer wieder darauf zurückkommen, daß nichts gewöhnlicher ist als Beispiele von Männern, die ihre Tätigkeit verlieren, sobald sie zu höheren Stellen gelangen, denen ihre Einsichten nicht mehr gewachsen sind; wir müssen aber auch immer wieder daran erinnern, daß wir von vorzüglichen Leistungen reden, von solchen, die Ruf in der Art von Tätigkeit geben, der sie angehören. Es bildet daher jede Stufe des Befehls im Kriege ihre eigene Schicht von erforderlichen Geisteskräften, von Ruhm und Ehre.
Eine sehr große Kluft liegt zwischen einem Feldherrn, d. h. einem entweder an der Spitze eines ganzen Krieges oder eines Kriegstheaters stehenden General, und der nächsten Befehlshaberstufe unter ihm, aus dem einfachen Grunde, weil dieser einer viel näheren Leitung und Aufsicht unterworfen ist, folglich der eigenen Geistestätigkeit einen viel kleineren Kreis läßt. Dies hat denn veranlaßt, daß die gewöhnliche Meinung eine ausgezeichnete Verstandestätigkeit nur in dieser höchsten Stelle sieht und bis dahin mit dem gemeinen Verstande auszureichen glaubt; ja, man ist nicht abgeneigt, in einem unter den Waffen ergrauten Unterfeldherrn, den seine einseitige Tätigkeit zu einer unverkennbaren Geistesarmut geführt hat, ein gewisses Verdummen zu erblicken und bei aller Verehrung für seinen Mut über seine Einfalt zu lächeln. Es ist nicht unser Vorsatz, diesen braven Leuten ein besseres Los zu erkämpfen; dies würde nichts zu ihrer Wirksamkeit und wenig zu ihrem Glück beitragen, sondern wir wollen nur die Sachen zeigen wie sie sind, und vor dem Irrtum warnen, daß im Kriege ein bloßer Bravo ohne Verstand Vorzügliches leisten könne.
Wenn wir schon in den niedrigsten Führerstellen für den, welcher ausgezeichnet sein soll, auch ausgezeichnete Geisteskräfte fordern und diese mit jeder Stufe steigern, so folgt daraus von selbst, daß wir eine ganz andere Ansicht von den Leuten haben, welche die zweiten Stellen in einem Heere mit Ruhm bekleiden, und ihre scheinbare Einfalt neben dem Polyhistor, dem federtätigen Geschäftsmann, dem konferierenden Staatsmann soll uns nicht irremachen an der ausgezeichneten Natur ihres werktätigen Verstandes. Freilich geschieht es zuweilen, daß Männer den Ruhm, welchen sie sich in niedrigen Stellen erworben haben, in die höheren mit hinüberbringen, ohne ihn wirklich dort zu verdienen; werden sie nun in diesen nicht viel gebraucht, kommen sie also nicht in die Gefahr, sich Blößen zu geben, so unterscheidet das Urteil nicht so genau, welche Art von Ruf ihnen zukommt, und so tragen solche Männer oft bei, daß man einen geringen Begriff faßt von der Persönlichkeit, die in gewissen Stellen noch zu glänzen vermag.
Es gehört also von unten herauf zu den ausgezeichneten Leistungen im Kriege ein eigentümlicher Genius. Mit dem Namen des eigentlichen Genius pflegt aber die Geschichte und das Urteil der Nachwelt nur diejenigen Geister zu belegen, die in den ersten, d. h. in den Feldherrnstellen geglänzt haben. Die Ursache ist, weil hier allerdings mit einemmal die Forderungen an Verstand und Geist sehr gesteigert werden.
Um einen ganzen Krieg oder seine größten Akte, die wir Feldzüge nennen, zu einem glänzenden Ziel zu führen, dazu gehört eine große Einsicht in die höheren Staatsverhältnisse. Kriegführung und Politik fallen hier zusammen, und aus dem Feldherrn wird zugleich der Staatsmann.
Man gibt Karl XII. nicht den Namen eines großen Genies, weil er die Wirksamkeit seiner Waffen nicht einer höheren Einsicht und Weisheit zu unterwerfen, nicht damit zu einem glänzenden Ziel zu gelangen wußte; man gibt ihn nicht Heinrich IV., weil er nicht lange genug gelebt hat, um mit seiner kriegerischen Wirksamkeit die Verhältnisse mehrerer Staaten zu berühren und in dieser höheren Region sich zu versuchen, wo ein edles Gefühl und ritterliches Wesen nicht soviel über den Gegner vermögen wie bei der Besiegung eines inneren Geistes.
Um fühlen zu lassen, was hier alles mit einem Blick umfaßt und richtig getroffen sein will, verweisen wir auf unser erstes Kapitel. Wir sagen: der Feldherr wird zum Staatsmann, aber er darf nicht aufhören, das erstere zu sein; er umfaßt mit seinem Blick auf der einen Seite alle Staatsverhältnisse, auf der anderen ist er sich genau bewußt, was er mit den Mitteln leisten kann, die in seiner Hand liegen.
Da hier die Mannigfaltigkeit und die unbestimmte Grenze aller Beziehungen eine große Menge von Größen in die Betrachtung bringen, da die meisten dieser Größen nur nach Wahrscheinlichkeitsgesetzen geschätzt werden können, so würde, wenn der Handelnde dies alles nicht mit dem Blick eines die Wahrheit überall ahnenden Geistes träfe, eine Verwicklung von Betrachtungen und Rücksichten entstehen, aus denen sich das Urteil gar nicht mehr herausfinden könnte. In diesem Sinne hat Bonaparte ganz richtig gesagt, daß viele dem Feldherrn vorliegende Entscheidungen eine Aufgabe mathematischer Kalküls bilden würden, der Kräfte eines Newton und Euler nicht unwürdig.
Was hier von höheren Geisteskräften gefordert wird, ist Einheit und Urteil, zu einem wunderbaren Geistesblick gesteigert, der in seinem Fluge tausend halbdunkle Vorstellungen berührt und beseitigt, welche ein gewöhnlicher Verstand erst mühsam ans Licht ziehen und an denen er sich erschöpfen würde. Aber diese höhere Geistestätigkeit, dieser Blick des Genies würde doch nicht zur historischen Erscheinung werden, wenn die Gemüts- und Charaktereigenschaften, von denen wir gehandelt haben, ihn nicht unterstützten.
Das bloße Motiv der Wahrheit ist in dem Menschen nur äußerst schwach, und darum immer ein großer Unterschied zwischen dem Erkennen und Wollen, zwischen dem Wissen und Können. Den stärksten Anlaß zum Handeln bekommt der Mensch immer durch Gefühle und den kräftigsten Nachhalt, wenn man uns den Ausdruck gestatten will, durch jene Legierung von Gemüt und Verstand, die wir in der Entschlossenheit, Festigkeit, Standhaftigkeit und Charakterstärke kennengelernt haben.
Wenn übrigens diese erhöhte Geistes- und Gemütstätigkeit des Feldherrn sich nicht in dem Totalerfolg seines Wirkens kundtäte und nur auf Treue und Glauben angenommen würde, so würde sie nur selten zur historischen Erscheinung werden.
Was von dem Gange der kriegerischen Ereignisse bekannt wird, ist gewöhnlich sehr einfach, sieht sich einander sehr ähnlich, und niemand, der sich an die bloße Erzählung hält, sieht von den Schwierigkeiten, die dabei überwunden wurden, etwas ein. Nur hin und wieder kommt in den Memoiren der Feldherren oder ihrer Vertrauten oder bei Gelegenheit einer besonderen historischen Forschung, die sich auf ein Ereignis verbissen hat, ein Teil der vielen Fäden an das Tageslicht, die das ganze Gewebe bilden. Die meisten Überlegungen und Geisteskämpfe, welche einer bedeutenden Ausführung vorhergehen, werden absichtlich verborgen, weil sie politische Interessen berühren, oder geraten zufällig in Vergessenheit, weil sie als bloße Gerüste betrachtet werden, die nach Vollendung des Baues weggenommen werden müssen.
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