Der Juli war vorbei und damit auch die Hochsaison, die ersten Gäste fuhren ab. Hauptsächlich die Familien mit Kindern, denn in Berlin begann am 1. August die Schule. Mir war es gerade recht, denn so bekam ich immer weniger Kunden, denen ich das Frühstück bringen musste. Jetzt hatte ich nicht mehr so viel Arbeit, ich atmete wirklich auf.
Als erster wurde der Konditor entlassen, Herr Piltz übernahm wieder die Konditorei. Jetzt stand der Meister wieder öfter vor dem Ofen, aber Herr Piltz sprang ein, sobald es ihm möglich war. Es wurde auf allen Gebieten weniger gearbeitet. Noch war ja Gerhard da und mit Arno wurde die Arbeit geschafft. Ich kam eher von meinen Touren zurück und war wieder länger in der Backstube. An den Nachmittagen hatten wir bereits um zwei Uhr Feierabend und morgens fingen wir eine halbe Stunde später an. Nun konnte ich wieder die langen Spaziergänge unternehmen. Mitte August gab es immer noch schöne Tage, so dass ich öfter baden konnte. Am 15. August wurde auch Gerhard entlassen. Ihm tat es leid und mir auch. Jetzt war ich wieder mit Arno allein in der Backstube.
Nun dachte ich an die versprochene Bootsfahrt und fragte Kurt Schönberg, er war sofort damit einverstanden. Wir verabredeten uns alle vier. Das große Boot wurde fertig gemacht und sogar ein Segel sollte gesetzt werden. Es wehte eine leichte Brise. Arno und Kurt hatten ihre Mandolinen mitgenommen und machten es sich im Innern des Bootes bequem. Hans bediente das Segel und Arno nebenbei das Steuer.
„Komm, mein Schatz, wir wolln ja nur ein bisschen segeln, denn der Wind weht grad so wunderschön!“ Das war ihr Lieblingslied und das stimmten sie auch jetzt an. Zunächst verlief alles wunderbar und ich war begeistert. Je weiter wir jedoch kamen, desto höher wurden die Wellen. Unser Boot schaukelte auf den Wellen und legte sich beängstigend auf die Seite. Wir rückten auf den gegenüberliegenden Bootsrand, um es herunter zu drücken. Nun sahen wir kein Land mehr, die Wellen wurden immer größer. Der sanfte Wind, der sich zum Sturm entwickelt hatte, blies tüchtig in unser Segel und das Boot legte sich noch mehr auf die Seite. Wir setzten uns nun alle vier auf die obere Kante. Vergebens! Ein Wellenberg nahm unser Boot mit nach oben und im nächsten Augenblick sausten wir in die Tiefe. Sofort hob uns die nächste Welle wieder empor. Eine wogende Wasserwüste rings um uns. Kein Land war zu sehen und es gab auch keine Orientierung. Arno und Kurt hatten längst aufgehört zu spielen. Krampfhaft hielt Arno das Steuer, während Hans und Kurt das Segel bedienten. Zieht doch das Segel ein, schrie ich ihnen zu, dann gleitet das Boot doch ruhiger. Kurt sah mich an und fragte: Jetzt hast du doch wohl Angst oder tust du nur so? Ich sah ihn ebenfalls an und sagte: Nicht so schlimm! Keine Angst, wir sinken nicht, rief Kurt zurück. Ich verlass mich auf euch, rief ich zurück. Endlich zogen sie das Segel ein, ich war erleichtert.
In welche Richtung müssen wir überhaupt? fragte Arno, der das Steuer krampfhaft umklammert hielt. Moment, rief Kurt und holte den Kompass aus der Tasche. Wir fahren ja nach Norden, schwenk mal herum mit dem Boot! In diese Richtung! Er zeigte Arno die Richtung an, in die das Boot fahren musste. Nun warf Hans den Motor an. Wir saßen alle vier auf den Bänken und hielten uns fest. Die Fahrt verlief jetzt ruhiger, wir fuhren dem Strand zu. Wie fühlst du dich jetzt? fragte Hans und lachte mich an. Danke Hans, es geht. Schon seekrank, Otto? fragte nun auch Kurt. Nein, Freunde, rief ich zurück, von der Seekrankheit noch weit entfernt.
Bald sahen wir einen kleinen Streifen Land, das tauchte aber nur zeitweilig auf und war im nächsten Augenblick wieder verschwunden. Hier waren immer noch drei Meter hohe Wellen. Unser Boot schwebte wie eine Nussschale auf den wogenden Wellen. Einige Brecher stürzten und ihr weißer Schaum leuchtete. Jetzt hatte ich Zeit zur Überlegung, denn man hörte nichts, als das eintönige Geräusch des Motors. Wenn ich allein gewesen wäre, dachte ich, hätte ich mich nicht in solche Gefahr begeben. Haushohe Wellen und keine Orientierung, bei so einem Sturm auch noch das Segel gesetzt. Leichtsinnig! Wir hätten doch umkippen können.
Jetzt geht’s der Heimat zu, rief Hans in den Sturm, ich sehe schon ganz deutlich das Land. Ich fühle mich auch schon ganz beruhigt, antwortete ich. Euer Boot ist wirklich seetüchtig, sagte ich anerkennend. Arno war ganz vergnügt, sicherlich hatte er schon öfter solche Sturmfahrt mitgemacht. Jetzt hatten wir den Wind im Rücken und waren beruhigt. Ich hatte jedenfalls genug von dieser Fahrt, denn ich hatte mir eine ruhige und gemütliche Fahrt vorgestellt. An so einer Sturmfahrt war mir nichts gelegen. Kurt und Arno holten ihre Mandolinen wieder hervor und setzten sich ganz tief nach unten. Nun spielten sie ihr zweitliebstes Lied, nämlich: „Ich hab mein Herz in Heidelberg verloren“. Es wirkte ungeheuer beruhigend auf mich. Jetzt wusste ich, es kann nichts mehr passieren. Hans bediente das Ruder und den Motor. Langsam und gleichmäßig setzte das Boot seine Reise fort. Die Wellen wurden immer kleiner, wir sahen nun recht deutlich den Strand mit seinen Strandkörben und den vielen fröhlichen Menschen. Fahnen und Fähnchen flatterten im Wind. Kurze Zeit später legten wir an.
Theodor Schönberg kam langsam auf uns zu, sein Fernglas hing an einem Lederriemen um seinen Hals. Wir stiegen aus dem Boot, da sprach er auch schon mit seinen Söhnen. Wart wohl ziemlich weit draußen? fragte er ohne viel Umschweife. Konnte euch mit dem Glas nicht mehr sehen. Warum habt ihr das Segel eingezogen? Ist was passiert? Nein! sagte Hans. Es ist nichts passiert, aber es hätte leicht etwas passieren können. Woran lag denn das? wollte er wissen. Am Sturm, sagte Hans, da draußen ist ganz schöner Sturm. Kurt und Arno beruhigten den Vater Schönberg, so gut sie konnten. Für mich war diese Bootsfahrt ein Erlebnis, das ich nicht so schnell vergessen werde.
Nun war Mitte August, viele Gäste waren abgefahren, der Strand wurde allmählich leer und mit Wehmut im Herzen schaute ich jetzt von der Düne auf den Strand. Silbern glänzte die See im Schein der untergehenden Sonne. Nur noch vereinzelte Urlauber machten einen Spaziergang am Strand entlang, noch weniger lagen in den windgeschützten Burgen oder in den letzten noch verbliebenen Strandkörben.
Herr Piltz war der einzige Geselle, der uns noch geblieben war. Wie lange noch? konnte man fragen. Er war als erster gekommen und er ging auch als letzter. Mir war es ganz recht so, denn ich stand in einem guten Verhältnis zu ihm. Von ihm konnte ich etwas lernen, er beantwortete mir alle Fragen in Bezug auf die Konditorei. Arno wurde mit dem Ofen immer vertrauter und schob sehr oft Brot und Brötchen. Der Ehrgeiz schien ihn gepackt zu haben. Die Mittagsbrötchen machten wir zusammen, die schob er selbst. Ich fragte ihn, ob ich nicht auch einmal einige Schläge hineinschieben dürfe. Arno lachte nur und sagte: Das hat doch noch Zeit, du willst doch deinen Beruf nicht schon in einem halben Jahr lernen. Ich musste klein beigeben, denn Arno hatte natürlich recht. Ich hatte nun einmal solchen Tatendrang. Wenn man in Fahrt ist, soll man nicht abspringen, sonst kommt man nie ins Ziel.
Nach der Arbeit in der Bäckerei hielt ich mich oft in der Konditorkammer auf. Ich half Herrn Piltz und konnte ihm dabei viele Fragen stellen, die er immer zu meiner Zufriedenheit beantwortete. Er gab mir auch Hinweise und Erklärungen, die für mich von Nutzen waren. Der Meister kümmerte sich fast gar nicht um mich, von ihm hatte ich noch keine Anregung oder Belehrung erhalten. Für ihn war ich eine billige Arbeitskraft, so kam es mir jedenfalls vor. Arno amüsierte sich über mich und meine Unkenntnis. Er war mir ja um drei Jahre voraus, er war Geselle und ich Lehrling. Alles, was ich lernen wollte, das wusste er schon. So wandte ich mich an Herrn Piltz., der war 30 Jahre alt und aus den Kinderschuhen heraus, was man von Arno nicht sagen konnte. Ich hatte mir schon so manches Rezept von ihm aufgeschrieben und so manche andere Anregung.
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