1 ...6 7 8 10 11 12 ...23 Drum bin ich von den Dichtern allen
Am meisten ihm zum Dank verbunden.
Nun, da die Jugend ihm entschwunden,
Sollst du ihm diese Botschaft sagen,
Er mög' in seinen alten Tagen
All seinen Werken zum Beschluß
Jetzt als mein Secretarius
Sein Liebestestament verfassen,
Damit mein Hof es registrire.«
Es ergiebt sich daraus nun aber keineswegs, daß schon damals Chaucer ein »Testament der Liebe« geschrieben habe; denn Venus läßt ihm erst den Auftrag geben. Ebenso wenig, daß Chaucer nothwendig diesen Befehl ausgeführt haben müsse; höchstens, daß er ein solches Buch zu schreiben projektirt, vielleicht auch es begonnen, und Gower von diesem Vorsatz Kunde gehabt habe. Aber ebenso gut wäre es möglich, daß Gower nur den Gedanken als einen Vorschlag und Plan für seinen Freund hinwirft, den dieser niemals ausführte.
Denn gegen seine Autorschaft spricht:
1) das beredte Schweigen des gutunterrichteten und genauen Lydgate, der in dem oben schon citirten Prolog zu seiner Uebersetzung von Boccaccio's Fall der Fürsten sämmtliche Werke Chaucer's, auch seine prosaischen Aufsätze, dem Titel und dem Inhalt nach durchgeht und kein Testament der Liebe erwähnt;
2) der Verfasser eben dieses Liebestestamentes, der von sich selbst in Beziehung zu jenen Erlebnissen immer in der ersten Person spricht und sich dadurch ausdrücklich von Chaucer, den er kennt und nennt und von dem er in der dritten Person redet, unterscheidet;
3) wenn dies noch nicht genug wäre: das warme und sogar begeisterte Lob, das er diesem Chaucer, dem Verfasser von Troilus und Cressida, spendet, ein Lob, das, wenn es aus Chaucer's eigner Feder geflossen wäre, eine beispiellose Selbstzufriedenheit bekunden würde, im direktesten Widerspruch mit der großen Bescheidenheit, die aus allen sonstigen Urtheilen des Dichters über seine eignen Produktionen hervorleuchtet S. die Einleitung zur Erzählung des Rechtsgelehrten. Cant.-Gesch-, V. 4463. L. G. W. 29, 414. Court of Love, 1-70., besonders aber im Widerspruch mit der mehr als demüthigen, ja zerknirschten Haltung gerade dieser Schrift. In der That ist mir unter allen Beispielen naiver Ruhmredigkeit von Nävius bis zum Grafen Platen und Mirza Schaffy herab keines vorgekommen, das die Konkurrenz mit dem folgenden aushalten würde, – wären es nämlich Chaucer's eigne Worte, die der Verfasser a. a. O. der Liebe in den Mund legt: »Mein eigener treuer Diener, der edle philosophische Dichter, welcher stets beschäftigt ist und sich eifrig müht, meinen Namen im Englischen zu verherrlichen; weßhalb Alle, die mir wohlwollen, ihm beides, Ehrfurcht und Verehrung ( worship and reverence), schuldig sind. Denn wahrlich, einen bessern als ihn oder auch nur seines Gleichen könnte ich nimmermehr in der Schule meiner Gesetze finden. Er hat in einer Abhandlung ( tretise), die er von meinem Diener Troilus gemacht hat, diesen Gegenstand berührt und vollständig ausgeführt. Gewiß seine edeln ( noble) Worte kann ich nicht besser sagen. In Trefflichkeit und männlicher Sprache ohne alle Art von Ziererei ( nicitie of starieres [?]), in Einbildungskraft, Witz und verständigen Gedanken übertrifft er alle andern Schriftsteller. Im Buch von Troilus kannst du die Antwort auf diese Frage finden.« –
Es ist klar, der Verfasser ist ein Zeitgenoß und großer Verehrer Chaucer's. Er hat sich auch die Lektüre des Dichters zu Nutzen gemacht, das allegorische Wortspiel mit der Margarita aus ihm geschöpft und sein Werk nach dem Plan der von Chaucer übersetzten Consolatio Philosophiae des Boethius angelegt. Wie man dazu gekommen, es Chaucer unterzuschieben, darüber lassen sich verschiedene Vermuthungen aufstellen. Genug, es ist nicht von ihm verfaßt.
Wir hoffen, daß damit die fernere Berufung auf dieses Buch als eine Quelle für Chaucer's Biographie abgethan sein wird.
Ueber die Gründe seiner Amtsentsetzung kann nach den obigen Darlegungen für Denjenigen, welcher jähe politische Wechsel selbst erlebt hat, kein Zweifel sein. Ueber die Vorwände dürfen wir uns den Kopf nicht zerbrechen. In einer so gewaltsamen Zeit bedurfte es deren kaum. Auf keinen Fall sind sie in Chaucer's religiöser Parteistellung zu suchen. Man hat den Dichter zu einem entschiedenen Anhänger Wiclif's machen wollen, ist aber den Beweis dafür schuldig geblieben.
Er erkannte allerdings die groben Mißbräuche der Hierarchie und eiferte warm und freimüthig dagegen. Er verabscheute den Ablaßkram, er verabscheute die schleichenden Umtriebe und die unverschämte Herrschsucht der Bettelmönche. Er neigte sich daher wie die meisten unabhängigen und gebildeten Männer seiner Zeit zu den Lehren Wiclif's, insofern diese das Kirchenregiment betrafen. Dies ist um so natürlicher, da beide, Reformator und Dichter, in den persönlich engsten Beziehungen zu dem Hause des Herzogs von Lancaster, ihres gemeinsamen Patrons, standen und somit in derselben geistigen Atmosphäre athmeten. Aber Chaucer kann anderseits auch nicht umhin, den puritanisch eifernden, ascetisch-nüchternen Lollharden einige Spitzen hinzuwerfen, wenn er auch nicht, wie bald nach des Reformators Tod es allgemein geschah, Lollharde und Wiclifiten als identisch konfundirt wissen will S. die Anmerkung zu V. 12,913 und 17,354.. Die schlichte Einfalt des redlichen Landpfarrers, der das Evangelium Christi nicht nur rein lehrt, sondern auch durch ein evangelisches Leben bethätigt, sie allerdings preist er mit ungeheuchelter und rührender Verehrung. Sonst hat er alle Achtung auch für die höheren Würdenträger der Kirche. Selbst ihre Verweltlichung giebt ihm, dem Weltmann, keinen erheblichen Anstoß. Er scherzt darüber, aber keineswegs in beißender Weise, so daß man ihm ansieht, wie er doch den lebenslustigen, feisten Herren im mindesten nicht gram ist. Der Kultus der Heiligen liegt ihm so am Herzen, daß er einige Legenden mit Liebe und Fleiß zu Gedichten umarbeitet und in seine Canterbury-Geschichten verwebt hat.
Schwerer ist es zu sagen, wie er sich zur Auffassung der strengeren katholischen Dogmen gestellt hat. Er hat sich zwar viel und eingehend mit theologischen Fragen beschäftigt; das lag in der Zeit. Aber er scheint, wie es bei einem Dichter und Weltmann ohnehin sehr erklärlich, über die subtilsten Probleme zu keiner Entscheidung bei sich gekommen zu sein. Dies erhellt theils aus der Sorgfalt, mit der er in der ascetischen Diatribe des Pfarrers alle Kontroverspunkte zwischen der orthodoxen Kirche und der Doktrin des Reformators vermeidet S. die Anmerkungen zur Erzählung des Pfarrers am Schluß der Cant.-Geschichten., am entschiedensten aber aus der Art und Weise, wie er den häkligen Streitpunkt über die Prädestinationslehre zwar aufnimmt Cant.-Gesch., V. 15,247, und noch ausführlicher Troil. IV, 961 ff., aber doch zuletzt als unentschieden bei Seite schiebt. Sonach erscheint Chaucer zwar als ein denkender und freisinniger Kopf, aber doch zugleich als ein guter und gläubiger Katholik, die Extreme meidend und von jedem Fanatismus frei.
Ganz so hält er sich auf politischem Gebiet in der Mitte, einen gesunden und vernünftigen Fortschritt anstrebend. Er warnt die Mächtigen der Erde vor Ueberhebung, Jähzorn und Leidenschaftlichkeit jeder Art. Er achtet und preist das Gold edler Menschlichkeit auch im niedrigsten Pflüger. Der Seelenadel gilt ihm höher als der angeerbte, ja dieser gilt ihm nichts, wenn jener mangelt. Eine Jungfrau aus niedrigstem Stande zu den höchsten Ehren emporgehoben giebt ihm den Stoff zu zwei mit besonderer Liebe und Zartheit durchgeführten Erzählungen. Er ist für den Glanz des Königsthrones ebenso wie für den des Ritterthums begeistert. Prachtliebe, ja an Verschwendung grenzende Freigiebigkeit scheint ihm ein unerläßliches Attribut beider, das er, ganz im Sinne des ritterlichen Mittelalters, in eine Reihe mit den höchsten Regententugenden stellt. Er liebt die niedern Stände, zeichnet sie mit besonderer Neigung und ausnehmendem Geschick, er weidet sich an ihrem derb gesunden Wesen, aber unendlich lächerlich erscheint ihm eine mißglückte Standesüberhebung. Jack Straw's und seiner kommunistischen Mordgesellen gedenkt er mit dem entschiedensten Abscheu und Ekel.
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