Die künftige Oppositionsarbeit wird für die SPD möglicherweise eine geringere Herausforderung als für DIE LINKE. Denn angesichts einer SPD-Opposition, die doppelt so groß und einer AfD-Opposition, die ein Drittel stärker als die Linksfraktion im Bundestag ist, sollte man sich genau überlegen, ob die Kraft ausreicht, die künftige Jamaika-Koalition herauszufordern, dem Diskurs gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit der AfD wirksam zu begegnen und gleichzeitig weiterhin die SPD als einen Hauptgegner in der politischen Auseinandersetzung zu verstehen und entsprechend mit ihm zu interagieren. Oder ob man angesichts der Gefahr von rechts Schlussfolgerungen aus der deutschen Geschichte zieht und die Grundlagen gemeinsamer Arbeit dergestalt schafft, dass aus der Opposition heraus soziale Gerechtigkeitspolitik spürbar wird. Dies negiert bestehende Unterschiede zwischen den Parteien keineswegs, sondern plädiert nur dafür, die an anderer Stelle beschriebenen pathologischen Konfliktmuster zu überwinden und dabei – im Übrigen – den rot-rot-grünen Gesprächsfaden auch zu Bündnis 90/Die Grünen nicht abreißen zu lassen - im Gegenteil.
DIE LINKE – stabiles Ergebnis bei dramatischem Umbruch im Elektorat
Nachdem sich zunächst die SPD und in Folge dessen auch Bündnis 90/Die Grünen von der Option eines rot-rot-grünen Lagerwahlkampfes verabschiedet hatten, war DIE LINKE in der öffentlichen Meinungsbildung bezüglich der kommenden Bundesregierung „uninteressant“ geworden. Sie kämpfte deshalb um Platz ein Ergebnis von 10%+x, die Wiedergewinnung von Platz 3 im Deutschen Bundestag und damit um eine starke Ausgangsbasis für die Arbeit als Oppositionspartei.
Selbst wenn die Partei nicht alle ihre Wahlziele erreicht, steht sie am Ende dieses Wahlkampfes und im Lichte des dramatisch hohen Abschneidens der AfD stabil da und kann von dieser Position aus die kommenden Herausforderungen annehmen.
Die Partei befindet sich in einem elektoralen Umbruch. Wurde vor einigen Jahren konstatiert, dass die Jung- und Erstwähler/-innen sich von der Partei abwenden, erringt sie mit 11 Prozent ihre höchsten Stimmenanteile in den Gruppen der 18-24-Jährigen sowie den 25-34-Jährigen. Überdurchschnittlich schneidet sie zudem in der Gruppe der 60-69-Jährigen ab (10 Prozent) und kann auch bei den 70 Jahre und älter zulegen. Sie stagniert mit 8 Prozent in der Gruppe der 35-44-Jährigen und verliert leicht (1 Prozentpunkt) bei den 45-59-Jährigen – alle Zahlen nach Infratest dimap.
Wie bereits bei der Analyse zur Bundestagswahl 2013 festgestellt, schmilzt die Ost-West-Asymmetrie der Partei sukzessive ab. Der Anteil der westdeutschen Wählerinnen und Wähler der Linkspartei am Gesamtergebnis der Partei steigt, während der Anteil Ost absinkt. Die Stimmverluste in früheren Hochburgen der Linkspartei, die zwischenzeitlich seit mehr als eineinhalb Dekaden u.a. in den Wahlnachtberichten vorhergesagt, beschrieben und in ihrer Wirkung dargestellt wurden, wirken sich im Wahlgebiet Ost – aufgrund des hohen Ausgangsniveaus spürbarer aus als die Anstiege West. Die Zugewinne West sind gleichwohl bemerkenswert – selbst in Bayern erhält die Partei mehr als 6 Prozentpunkte der Zweitstimmen. In Nordrhein-Westfalen, wo die Partei jüngst noch den Einzug in den Landtag hauchdünn verpasste, erreicht sie souverän 7,5 Prozent der Zweitstimmen. Auch in Niedersachsen, wo in Kürze der Landtag neu bestimmt wird, erreicht die Partei 6,9 Prozent – bedauerlicherweise ist dies zwar ein Fingerzeig aber erfahrungsgemäß keinerlei Sicherheit für ein erfolgreiches Abschneiden beim kommenden Urnengang.
Wer im Wahlergebnis der Linkspartei eine Aussage über die Wirkungen von Regierungsbeteiligungen ablesen möchte, wird nicht fündig werden. Während DIE LINKE in Thüringen und Brandenburg spürbar hinter die Zweitstimmenergebnisse von 2013 zurückfallen – wie im übrigen Ostdeutschland auch – kann DIE LINKE in Berlin zulegen, wird hinsichtlich der Zweitstimmen vor der SPD zweitstärkste Kraft und in den Bezirken Mitte und Pankow stärkste Kraft.
Was sich in den Ergebnissen Ost ablesen lässt ist eine durch die AfD verschärfte Konkurrenz um die ehemaligen Hochburgen der Partei, in Thüringen z.B. in Städten wie Gera. Gewann DIE LINKE dort bei der Landtagswahl 2014 die beiden Direktmandate, erringt die AfD sowohl bei den Erst- als auch bei den Zweitstimmen den Spitzenplatz. Gleiches lässt sich in den früheren Berliner Hochburgen Marzahn-Hellersdorf und Lichtenberg feststellen und setzt damit einen Trend fort, der bei der Analyse der Abgeordnetenhauswahl in Berlin bereits festgestellt wurde. Dort verlor die Partei in den alten PDS-Hochburgen, die überwiegend die ehemaligen Hochburgen der DDR-Dienstleistungsklasse repräsentierten, während sie mit der sozialen Frage „Wem gehört die Stadt?“ in Milieus und Strukturen mobilisieren konnte, die bislang nicht direkt gewonnen werden konnten. Diese Entwicklung wird weiter zu betrachten sein und sollte mit einer vergleichenden sozialräumlichen Analyse der Hochburgen-West verknüpft werden.
Während der Anteil ehemaliger Wählerinnen und Wähler unter den aktuellen Anhängern der AfD eher gering ist, ist die Abwanderung von der LINKEN zur AfD für die LINKE ein durchaus größeres Problem gewesen. Mit Blick auf die Verluste bei Arbeiter/-innen und Wähler/-innen mit einer nichtakademischen Ausbildung und bei Vergleich mit der sozialen Struktur der PDS-Wähler/-innen ist die These plausibel, dass es vor allem traditionelle sozialdemokratische Wähler und Wählerinnen waren, die von 2005 bis 2010 zur Linken kamen und ab 2011 wieder wegzubleiben begannen und teilweise jetzt die AfD wählen.
Strategisch wird es DIE LINKE in den kommenden Jahren schwer haben. Eingeklemmt zwischen der AfD und der SPD kann sie versuchen, beide zu überbieten oder mit der SPD auf der Basis gemeinsamer Grundwerte an der Bildung von Projekten zu arbeiten, für die mit den Themen: demokratisches Gemeinwesen, Verhinderung von Altersarmut, zukunftsfähige Weiterentwicklung des Mindestlohns und Gewährleistung der Investitionen in die öffentliche Daseinsvorsorge und Infrastruktur die Grundlinien bereits feststehen.
„Wer, wie was – wieso, weshalb, warum…“ – von der „Ausschließeritis“ zu „(Almost) Anything Goes“ im deutschen Parteiensystem
Dr. Martin Florack
Nie war „taktisches Wählen“ so schwer und auch so sinnlos wie bei dieser Bundestagswahl. Sinnlos, weil das geltende Wahlsystem die realpolitischen Konsequenzen eines taktischen Stimmensplittings faktisch einebnet. Möglicherweise entstehende Überhangmandate werden ausgeglichen, einzig und alleine der Zweitstimmenanteil entscheidet seit 2013 über die parlamentarischen Mehrheitsverhältnisse. Anders hatte das noch 1994 ausgesehen: Die von der Union errungenen 12 Überhangmandate (gegenüber vieren auf Seiten der SPD) machten aus einer knappen Zwei-Stimmen-Mehrheit eine vergleichsweise komfortable von zehn Mandaten und ermöglichten damit die stabile Fortsetzung der schwarz-gelben Regierungskoalition unter Helmut Kohls Führung. Von einer „Leihstimmenkampagne“ zwischen Union und FDP konnten so noch beide profitieren. Der nun geltende Ausgleichsmechanismus führt angesichts der Dynamik des Parteiensystems zu vollkommen neuen Herausforderungen und zu geringeren Anreizen für taktisches Splittingverhalten. Dass die Wähler diese neuen Botschaften des Wahlsystems durchaus verstanden haben, zeigen die wachsenden Erststimmenanteile der kleinen Parteien. Auch hier folgt man nun stärker Parteineigungen. Während der Zweitstimmenanteil der beiden (ehemaligen) Volksparteien auf gerade einmal 53,5 Prozent der Stimmen schmolz, verteidigten sie ihre Rolle als Platzhirsche bei den Direktkandidaten. Daran ändern auch die insgesamt neun Direktmandate für AfD, Linkspartei und Grünen nichts. Eine nichtintendierte Nebenfolge dieser Verschiebungen ist jedoch das Anwachsen der Mandatszahl im neuen Bundestag auf 709.
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