Robert Ullmann - Herbstfeuer

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Armut und Elend auf der einen, Wohlstand und Luxus auf der anderen Seite des Flusses, der die Industriestadt Ersthafen teilt. Fest entschlossen an der Front einer Arbeiterrevolution das Schicksal der Nation zu ändern, führt Timmrin das eigene an die Seite eines Mannes düstern Mannes, getrieben von undurchsichtigen Rachemotiven. Als sich die Ereignisse überschlagen, beginnt eine wilde Flucht und ein gnadenloser, blutiger Überlebenskampf.

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Robert Ullmann

Herbstfeuer

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Impressum neobooks

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Die Nacht war kalt, aber nicht klar - der Nebel so dicht, dass man glaubte ihn schneiden zu können. Die Gassen waren menschenleer, nicht ein Schritt zu hören auf dem Pflasterstein, da schlug die Glocke. Ihr Klang hallte durch die Straßen und Viertel der Stadt.

Ein Pochen an der Tür; ein zweites; ein drittes; dann Schweigen. Plötzlich pochte es wieder: einmal, zweimal, dann noch dreimalmal, schnell aufeinander folgend. Schließlich öffnete sich die Tür.

„Wer?“, zischte es. „Feuer im Mondlicht“, antwortete die tiefe Stimme eines jungen Mannes. „Kommt“, lautete rasch die Antwort.

Zwei Männer traten herein, in dicke Wolljacken gehüllt. Die Tür wurde zugeschlagen, Licht entzündet. Die Leute in der Taverne blickten in die fahlen Gesichter der beiden Ankömmlinge, die man im Schein der Laterne sehen konnte. Sie sahen erschöpft aus, doch blickten sie entschlossen und in den Augen des einen, sein Name war Timmrin, loderte ein Feuer, das ihn geradezu verzehrte.

„Es ist ruhig, aber dunkel. Der Mond scheint nur schwach. Niemand an der Brücke“, sagte er leisen Tones.

Alle schwiegen. Es waren vielleicht dreißig Männer in dem engen Gastraum versammelt. Einige trugen lange Messer im Gürtel, andere hielten Knüppel in Händen, die meisten eine nicht entzündete Fackel.

Wieder nahm Timmrin das Wort: „Brawek und Jarell sind unterwegs zu Toreks Männern. Wir sollen aufbrechen, wenn die Glocke schlägt. Wir treffen uns am Brunnen.“

„Dann los“, gab ihm sein Gegenüber zur Antwort – ein kleiner Mann in schmutzigem Schurwollmantel. Er hatte einen leichten Buckel, eine Halbglatze und trug einen langen Stab in der Rechten. Er mochte die fünfzig schon überschritten haben und auch ein Großteil seiner Mitstreiter schien die Blüte ihrer Jugend bereits hinter sich gelassen zu haben. Nicht wenige waren von kleinem Wuchs. Einer hinkte und wieder einer hatte nur noch eine Hand, die den Griff eines kurzen Entersäbels umschloss.

Knarzend öffnete sich die Tür und der Bucklige mit dem langen Stock in der Rechten, der Laterne in der Linken, trat als erster hinaus auf die Straße. Der Nebel war nicht mehr so dicht als vorher, die Kälte biss umso stärker.

Die Männer entzündeten ihre Fackeln, einige zogen Kapuzen über den Kopf oder setzten ihre Hüte auf. Timmrin grub sein Gesicht tief in seinen Schal und hielt seine Fackel nach oben.

Sie überquerten eine breite Straße, bogen in eine kleinere Gasse ab, flankiert von schäbigen Häusern ohne ein Fenster zur Straße hin. Als sie das Ende der Gasse erreicht hatten, wandten sie sich um und gingen durch das bronzene Tor. Sie kamen auf einen großen Platz, umgeben von hohen Fachwerkhäusern.

Jetzt waren sie nur noch wenige Schritte entfernt vom großen Ghor, dem Fluss, der die Stadt Ersthafen teilte. In seiner Mitte war eine Insel, die durch mächtige Rundbogenbrücken mit beiden Ufern verbunden war. Auf der Insel stand eine Wehranlage - die Feste Dukor, die Kaserne der Stadt, wo sie die jungen Männer hinbrachten, bevor sie sie als Rekruten an die Kriegsfront schickten. Von dort kehrten sie meist nicht wieder.

Die Männer verlangsamten ihren Schritt und blieben schließlich stehen. An einem Brunnen in der Mitte des Platzes saß ein in einen weiten Mantel gehüllter Mann und wartete. Als er die Gruppe gewahrte, erhob er sich, zog seine unter dem Mantel verborgene Laterne hervor und trat auf sie zu. In der anderen Hand trug er eine Helmbarte - die Lanze eines Nachtwächters. Die Männer empfingen ihn wortlos.

„Niemand auf der Brücke, wie´s scheint“, brach er das Schweigen. „Torek wird gleich hier sein.“

„Und die anderen Nachtwächter?“, erkundigte sich Timmrin leise.

„Telgor ist eingeweiht, wie ihr wisst. Die anderen beiden schlafen - Dämmerpilze im Weinbrand.“

„Gut. Und die Jungs aus den Gruben…?“

„…Werden bald hier sein.“

Sie warteten eine kurze Weile. Bald darauf kamen andere Männer durch eine kleine Gasse auf den großen Platz hinaus. Es waren ihrer etwa fünfzig.

„Das sind Toreks Männer“, flüstere Timmrin zu dem alten Buckligen. Die Männer stießen leise hinzu, einige begrüßten sich mit gedämpfter Stimme.

„Wo bleiben die Jungs aus dem Grubenviertel?“, zischte der Alte halb zu sich selbst. Einen Augenblick später tauchten weitere Männer, etwa drei Dutzend, lautlos hinter einer Hausecke auf.

„Da kommen sie ja, die halben Portionen“, raunte ein hoch gewachsener Kerl.

„Kann nicht jeder ein Schmied sein und breit wie zwei“, gab einer der Ankömmlinge zurück.

„Torek?“, der alte Bucklige drehte sich suchend um.

„Ich bin hier!“, erwiderte eine leise, rauchige Stimme.

„Es sind alle gekommen, auf die man zählen kann.“

„Diese paar?“, empörte sich der Bucklige.

„Es wird reichen müssen“, entgegnete Torek. „Wir legen das Feuer und geben Fersengeld.“

Torek bekam nur ein missmutiges Knurren zur Antwort.

„Jetzt im Sturm!“, flüstere Timmrin ungeduldig. „Wir haben nur diese Chance!“

Da klemmte sich der Alte langsam seinen Stab zwischen die Achsel, hob seine Laterne so hoch er konnte und schritt eilends voran. Die anderen folgten ihm.

Bald waren die jüngeren, die schnelleren an der Spitze und erreichten die Brücke.

Als sie das Tor der Festung am Ende des Brückenbogens beinahe erreicht hatten, stoppte Timmrin in vollem Lauf und brüllte: „Halt!“

Einige hielten, einige liefen weiter. Doch bremsten auch sie und blieben stehen, als sie sahen, dass die Tore der Kaserne sich öffneten.

Einen Augenblick lang standen sie da wie erstarrt. Eine vorüberziehende Nebelschwarte trübte die Sicht.

Und dann sahen sie sie, die Soldaten, blickten in die Gewehrläufe zweier starrer Schützenreihen, die sich hinter dem Tor postiert hatten. Und während bereits die ersten der Festung den Rücken kehrten und davon rannten, andere sich zu Boden warfen und wieder andere noch immer regungslos, dem Tor zugewandt wie gefroren stehen blieben, wurde das Feuer eröffnet.

Etwa ein Dutzend waren es, deren Körper getroffen auf dem Brückenpflaster aufschlugen. Jene, die stehen geblieben und nicht getroffen waren, kehrten um und rannten. Die zweite Salve krachte und sie forderte ihren Tribut. Die meisten Flüchtenden hatten bereits den Bogen der Brücke überschritten und waren den Gewehrkugeln der Soldaten entronnen.

Timmrin grub seine Fingerspitzen zitternd in die Ritzen im steinernen Pflaster, während er regungslos auf der Brücke lag. Jede Sekunde wurde lang wie ein Menschenleben, in welchem er sich schlagartig nur noch als passiver Zuschauer fühlte.

Die dritte Salve krachte. Eine Kugel schlug direkt neben seinem Kopf ein. Kleine Steinsplitter schlugen ihm ins Gesicht. Einen Augenblick lang schien alles wie ein Alptraum – die Fähigkeit, selbst zu handeln, oder etwas zu beeinflussen, ihm abhandengekommen.

Dann öffnete er seine Augen und sah in die des alten, buckligen Mannes, der neben ihm lag. Er zwinkerte, doch schien sein Geist nicht mehr bei ihm zu sein. Sein Mund öffnete sich und ein Blutstrom ran hervor, gesellte sich zu all dem Blut auf dem Brückenpflaster.

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