Wir kamen nicht billiger dabei weg, der geringfügige Kredit, den wir aufgenommen hatten, der war schon erschöpft und so bauten wir sehr lange, immer von seinem Geld, von meinem mussten wir leben und weiter Miete zahlen. Es war mühsam. Es gab immer mehr Streit. Er war mehr bei seiner Mutter und seinem Vater als bei der Familie. Die Kinder sahen ihn gar nicht mehr und alles nur zum Wohle der Familie! Es kam sogar so weit, dass er nicht mehr wusste, wie er sich rechtfertigen sollte, sodass er mich anfing zu schlagen. Und dieses Schlagen wurde immer häufiger und immer brutaler. Sicher war er verzweifelt. Er konnte nicht mehr raus aus seiner eigenen Zwickmühle, die er sich selbst gebaut hatte, und dafür sollte ich büßen. Dafür musste ich büßen. Die Buße ging bis zum gebrochenen Kiefer, von dem ich natürlich aus lauter Reue auch niemandem erzählte. Es war mir unangenehm. Ich schwärmte von dem Ausbau und wie schön es werden würde. Ich belog mich und meine Mitmenschen und sogar meine Freunde. Manchmal frage ich mich heute noch, warum. Warum habe ich diesem Mann nicht in den Arsch getreten? Ich hatte keine Menschenwürde mehr, versuchte jedoch, vor ihm meinen Stolz aufrecht zu erhalten. Aber in Wirklichkeit reizte es ihn nur noch mehr, mich klein und unterwürfig zu machen. Eine Hürde war gebrochen. Wer einmal seine Frau schlägt, tut es immer wieder. Es gibt keinen Punkt mehr, der einen daran hindert. Und wenn man als Frau sich diesen Tatsachen hingibt und denkt, es war doch einmal so schön, dann sollte man das EINMAL betonen und ganz schnell rennen, um das Weite suchen. Dieses eine Mal kommt nicht wieder. So fangen schon die Märchen an. „Es war einmal …“
Es war einfach nur noch unerträglich. Das ging so lange, bis er krank wurde und sich nicht mehr bewegen konnte, dieser starke, immer noch sehr gut aussehende Mann. Sein Rücken verweigerte die Dienste, vom vielen Arbeiten selbstverständlich. Er war auf meine Hilfe angewiesen, sogar beim Toilettengang. Er lag, jammerte und schrie. Dann kam sein Kollege zu Besuch. Er wollte erst gar nicht reinkommen. Martin quälte sich zur Tür. Es konnte nur was Wichtiges sein, was ich nicht hören sollte. Er konnte sich doch die anderen Tage nicht bewegen. Ich konnte nur einen Frauennamen hören und es wurde von einem Brief gesprochen, den er übergeben sollte. Martin betrog mich. Warum? Weil er mich schon so erniedrigt hatte. Er liebt mich nicht mehr. Das hätte mir klar sein müssen, mit jedem Schlag, den ich bekam, mit jeder Wunde, aus der Blut quoll, mit jedem Bluterguss, den ich hatte, und alles versuchte ich zu verstecken, um es für die anderen schön und harmonisch aussehen zu lassen. Er konnte mich nicht mehr lieben. Er hatte ja auch den Respekt vor meiner Person verloren. Ich habe mich mit einer Leichtigkeit erpressen lassen. Ich konnte es nicht fassen, dass er eine andere Frau hatte. Er log nicht. Er gab alles zu und zog noch am selben Abend zu dieser Frau. Seinen Koffer packte er ohne viele Worte und ging. Ich war so verzweifelt. Damit hatte ich nicht gerechnet. Zu einer fremden Frau zog er, die auch zwei Kinder hatte. Sie hatte es ja so schwer, war selbstständig und hatte eine Kantine, in der alle immer frühstücken gingen. Dort hatte er sie auch kennengelernt. Sie hatte sogar schon unseren Bau besichtigt, und er? „Ich kann nichts dafür. Sie kam einfach, nicht wie du“, so seine Worte damals. Es tat einfach nur weh. Ich war fassungs- und hilflos zugleich. Es ging alles so schnell. Die fremde Frau kannte ich nicht. Ich konnte mir kein Bild machen, ob sie schön war oder nicht. Man fängt an sich zu fragen, was sie hat und man selbst nicht, aber wem nützt das? Das Leben geht weiter. Ich habe eine gute Arbeit im Krankenhaus, die ich sehr liebe und verdiene Geld. Ich komme mit meinen Kindern schon über die Runden, aber ich habe keinen Mann mehr. Den hat eine andere Frau. Es ist schon ganz schön skrupellos von meinen Schwiegereltern. Keiner hat etwas gesagt und alle haben es gewusst. Er kann ja nichts dafür. „Sie kam ja einfach und ich nicht.“ Er tut so, als hätte ich ihn im Stich gelassen. Ich habe schon wieder diese Schuldgefühle: Was soll jetzt werden und wie erkläre ich es den Kindern? Ich lasse es einfach und warte ab. Ich kann es tief in meinem Inneren nicht glauben, dass es vorbei ist. Polizeilich hat Martin sich schon bei seinen Eltern angemeldet. Wie schnell das doch geht. Es dauerte immer lange bei mir, bis ich mich für jemanden entschieden habe, bis das Vertrauen so weit ist und ich dem Anderen auch Liebe schenken kann. Der Zugang zu meinen Sinnen ist oft verbaut durch Misstrauen. Und nun fällt mir das Loslassen schwer. Ich werde mir eine neue Wohnung suchen. Hier bleibe ich nicht. Hier in diesem kleinen hässlichen Dorf, in der unmittelbaren Nähe dieser Weltstadt. Ich kann das Gerede nicht ertragen. Hier spricht jeder über jeden und alle sind sensationslustig und laben sich an dem Unglück der anderen, bis es sie selbst trifft. Ich habe es schon damals bei meiner ersten Scheidung gehasst, aber ich stand über den Dingen. Nicks Vater habe ich verlassen, weil er Alkoholiker war und uns in die Armut getrieben hat. Er hat alles verkauft, sogar den Kinderwagen, den ich noch gebraucht habe. Er hat nur Schulden gemacht und ist nicht arbeiten gegangen. Ich hatte damals keine Wahl und es hat mir auch nicht mehr wehgetan. Nick war damals gerade ein Jahr alt und er trieb mich an, aus diesem Leben zu gehen und für uns ein besseres Leben zu bereiten. Ich wollte, dass mein Sohn mal stolz auf seine Mutter ist. Er sollte nicht mit so einem Vater groß werden. Er sollte nichts von ihm lernen. Es war damals so schwer, die Schulden zu zahlen und doch habe ich es geschafft. Aber dieses Mal höre ich es mir nicht noch einmal an: „Das haben wir ja gleich gewusst. Das konnte nicht gut gehen!“ Diese kleinen, miesen Dorfbewohner. Und eine der größten Klatschtanten war ja wohl auch meine Schwiegermutter Margarete. Am Schlimmsten sind die, die im Ort wohnen und auch noch in demselben arbeiten und auch sonst nirgends in der Welt hinkommen. Sie würden woanders auch gar nicht zurechtkommen. Diese andere Welt ist ihnen fremd und da können sie nicht mitreden. Also leben sie vom Stoff, den das Örtchen so hergibt. Ich werde in die Stadt ziehen und alle hinter mir lassen. Mein Leben geht auch ohne Martin weiter.
Zwei Wochen ist Martin nun schon weg. Ich habe eine Wohnung in Aussicht, d. h. den Besichtigungstermin habe ich schon. Jetzt ruft er an, nach zwei Wochen, und will mich sprechen. Was will er? Ich weiß nicht, was ich tun soll. Den Kindern habe ich immer noch nicht alles gesagt. Ich treffe mich mit ihm. Dann steigt er zu mir ins Auto. Oh, er sieht schlecht aus. Ich liebe ihn immer noch. Er tut mir leid, aber was hat er mit mir gemacht?! Liebe und Hass treffen aufeinander. Er fleht mich an zurückkommen zu dürfen. „Es war nicht so toll in der kleinen Wohnung bei der anderen und den beiden fremden Kindern. Ich möchte unbedingt zurückkommen.“ Ich kann es nicht hören. Es tut genauso weh, wie das Gehen wehgetan hat. Ich komme mir veralbert vor. Er spielt mit meinen Gefühlen. Außerdem macht er sich lustig. Ausgerechnet jetzt, wo ich eine Wohnung bekommen könnte. Wir fahren zu seinen Eltern und unserem Bau. Alle beknien mich, mir das doch alles noch einmal zu überlegen. Wir haben angefangen mit der Baustelle, den Kredit aufgenommen und denken doch an die Kinder. Jetzt sind alle Blicke auf mich gerichtet. Ich soll das jetzt entscheiden. Was mit meinen Gefühlen los ist, fragt keiner. Ich kann das doch nicht so einfach vergessen und eigentlich will ich hier auch gar nicht mehr leben. Wer bin ich und wie wichtig bin ich?
Ich bitte mir eine Bedenkzeit aus. Aber es hilft nicht wirklich. Ich kann mich nicht klar entscheiden. Auf der einen Seite ist er, die Liebe meines Lebens, aber wer sagt mir, dass ich nicht von heute auf morgen wieder so verlassen werde wegen einer anderen Frau? Er hat sich alles sehr einfach gemacht. Dann sind da noch die Kinder. Vor allem meine Tochter hängt sehr an ihrem Vater. Sie ist erst vier Jahre alt und wird das alles nicht begreifen. Soll ich uns noch eine Chance geben? Früher, mit 16, hätte ich ganz trocken gedacht: „Niemals. Wenn dich ein Mann betrügt, ist er weg vom Fenster.“ Jetzt bin ich 31 Jahre alt und kann immer noch nicht allein entscheiden, aber irgendetwas muss passieren. Ich kann mit keinem reden. Ich hatte nicht den Mut dazu zuzugeben, dass alles bei mir schief läuft. Aber ich liebe diesen Mann. Er kann lustig sein, er sieht gut aus und er ist sehr hilfsbereit. Er hat der anderen Frau ja auch gleich beim Umzug geholfen. Genau diese Hintergedanken machen mich krank. Ich werde lange Zeit brauchen, diese schlechten Züge aus meinem Hirn zu streichen. Und genau das sage ich ihm. Ich weiß nicht, ob ich ihm jemals verzeihen kann, ich weiß nicht, ob ich ihm wieder Vorwürfe machen werde und ob ich das alles aus meinem Kopf streichen kann. Wir werden es noch einmal versuchen. Ich werde ihm noch einmal diese Chance geben und natürlich auch mir selbst. Ich merke, wie sehr ich mit ihm schlafen möchte, als würde ich herausbekommen, wie sie im Bett war. Ging es nur um Sex oder hatte alles für ihn eine andere Bedeutung? Auf der anderen Seite ist da der Ekel, dass er mich so betrügen konnte. Es kämpfen zwei Seelen in meiner Brust. Ich gebe mir mehr Mühe, ihn sexuell zu erregen, obwohl wir da nie Schwierigkeiten hatten. Ich möchte, dass er mich mehr begehrt als je zuvor.
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