Es hat geklingelt. Die Gäste kommen. Das sind meine Kollegen. Sie haben ganz viele Blumen mitgebracht. Ich arbeite erst seit einem Jahr in der Firma und sie sind trotzdem alle gekommen. Bestimmt nicht wegen mir, sondern aus Neugierde, wie ich wohl so lebe. Ich, die oft mit dickem Mercedes zur Arbeit kommt, wenn ich W. vom Flughafen holen muss. Ich, die anders ist als sie alle, anders in vielen Dingen. Wie hat mein Chef mal gesagt: „Ein edles und doch normal gebliebenes Exemplar der oberen Schöpfung Frau.“ Es war die Neugier, die sie alle zu mir kommen ließ. Sie gratulierten mir und lästerten, dass ich jetzt schon 40 bin. Es klingelt schon wieder. Das sind meine lieben Eltern. Ich weiß nicht, wo mir der Kopf steht. Ich liebe sie. SIE haben mich nie verlassen, waren immer bei mir und sind ja immer noch für mich da. Danke dafür! Wir essen und trinken. Ich habe Hunger und keine Zeit, etwas, was ich mag, zu essen. Was macht W. jetzt? Oh, er gibt mit seinem Geburtstagsgeschenk für mich an. Er führt gerade alle in die Garage zu meinem neuen Auto. Ich gehe nicht mit, da ich diese hochtrabenden Worte schon kenne: „Das habe ich Laura geschenkt, einen Mercedes SLK!“ Wer kann das schon, seiner Frau einen kleinen Zweisitzer schenken? Ich kann es und es macht mir Spaß, mich vor euch hinzustellen und euch als kleine, unwichtige Würstchen stehen zu lassen. Gleich wird er das Dach herunter lassen und aus dem kleinen Zweisitzer wird ein Cabrio entstehen. Dann wird er über alle Gesichter schauen, um zu kontrollieren, ob auch jeder alles verstanden hat, und er wird in den Gesichtern die Bewunderung seiner Person suchen. Wird er sie finden? Wahrscheinlich ja, wie immer. Weil alle sich sagen werden: „Leck’ mich am Arsch, wir sehen dich nie wieder. Wir müssen nicht mit dir zusammenleben.“ Ja, so wird es ablaufen. Den Preis für das süße Geschenk wird er mehrfach wiederholen, dass auch diejenigen, die keine Ahnung von Mercedes haben, mitkommen, worum es hier geht. Es ist einfach nur peinlich, aber in den inzwischen fünf Jahren habe ich und auch mein lieber Nick sich daran gewöhnt und hören schon gar nicht mehr hin. Nick ist heute auch hier. Er hat frei bekommen und das hat mich ganz besonders gefreut. Nicht nur, dass er mir heute bei der Feierlichkeit eine große Hilfe in Sachen Getränke ist, nein, er ist das Liebste, was mir von meinem ganzen Leben geblieben ist. Das Beste, was mir passieren konnte, war, ein solches Kind zu haben. Sein Freund ist auch gekommen. Er hat mir gleich einen Schlüsselanhänger für mein neues Auto geschenkt. W. macht mit allen, die noch nicht hier waren, eine Ortsbesichtigung auf dem 4.500 m² großen Anwesen mit Villa und einem wunderschönen, praktischen Partyholzhäuschen. Meine Kollegen staunen über die wunderschönen, teuren Pflanzen in diesem Garten. Ich arbeite ja auch in einer Garten- Landschaftsbaufirma. Ich möchte gerne wissen, was sie denken. Der geht es gut. Die hat es aber schön, so mit Pool und Sauna, alles zum Relaxen! Ja, wenn ihr wüsstet, wie ich mich manchmal fühle. Ich kann es euch gar nicht sagen. Ich weiß auch nicht, ob ihr das verstehen könntet. Ich bin ja auch erst ein Jahr bei euch, nach hartem Kampf auf privater Ebene, und kann es mir leisten, halbtags zu arbeiten und damit verbunden wenig Geld zu verdienen, weil ich es ja nicht brauche. So in etwa könnten sie denken.
Im Großen und Ganzen war mein Geburtstag ganz schön. Viele haben an mich gedacht und so gegen Abend war mir dann auch die Reaktion von W. völlig egal. Ich hatte zu viel getrunken und konnte deshalb seine Bemerkungen an mir herunterrieseln lassen, so als wäre ich eine Rutschbahn und alles, was er so sagte, bekam er in einem Rutsch zurück. Es war nicht schön ihm gegenüber, aber der angesammelte Frust tief in meiner Seele musste raus. Ich wollte mich selbst befreien, denn ich bin ja an meiner Situation selbst Schuld. Die nächsten Tage vergingen, wie immer. Das Leben ging weiter. Ich war nun 40 Jahre alt und es hat sich auch nichts geändert. Doch der Gedanke, so nicht bis ins hohe Alter weiterleben zu wollen, wurde immer stärker in mir. Mein Sohn ist jetzt zwanzig Jahre alt. Würde er mir einen Neuanfang, einen weiteren Neuanfang, verzeihen?
Nick ist vier Jahre alt. Ich habe geheiratet, einen tollen, gut aussehenden Mann. Alle sind hinter ihm her gewesen, doch er hat mich ausgesucht, obwohl ich schon ein Kind hatte. Er liebt mich und meinen Sohn. Es kann nur gut gehen, dachte ich. Trotz allen Höhen und Tiefen, die man in einer normalen Beziehung so hat, haben wir über alles gemeinsam geredet und er hat immer zu mir gehalten. Wir haben miteinander ein Vertrauensverhältnis aufgebaut, in dem man seine Seele baumeln lassen konnte. Und wir haben der Welt gezeigt, dass wir zusammengehören. Es war nicht so einfach am Anfang, weil es immer Neider und dumme, sensationssüchtige Menschen gibt, die einem das Glück am Ende nicht gönnen. Der Sex, den ich bis zu dem Tag nicht richtig kannte, war sehr gut. Wir waren locker drauf und haben gemeinsam viel Blödsinn gemacht, so wie es ist, wenn man jung ist. Das Leben hätte so weitergehen können. Aber es wäre zu schön gewesen. Der Alltag hat uns eingeholt und mit ihm unnötige Probleme und Streitereien. Ich glaube, ein schwerer Einbruch in unsere Gemüter war, dass wir ein Baby, was wir uns von Herzen wünschten, verloren haben. Ich habe psychisch sehr darunter gelitten. Ich dachte, der Traum von einem zweiten Kind wäre nun endgültig gestorben. Ich hatte endlose Operationen über mich ergehen lassen und die Ärzte wollten schon eine Totaloperation bei mir machen. Auch das habe ich nicht zugelassen, weil ich mir so sehr ein Kind gewünscht hatte. Und dann ist das Baby gestorben. Martin war damals gerade beim Bund und Nick war erst fünf Jahre alt. Er konnte nicht verstehen, warum seine Mutter so traurig ist. Aber der liebe Gott hat es wohl doch ganz gut mit mir gemeint und schenkte mir eine erneute Chance, ein Baby zur Welt zu bringen: Meine liebe Tochter Antonia, geb. am 28.06.1989. Ich hatte mir immer schon eine Tochter gewünscht und dann war sie plötzlich da, wie ein Wunder. Sie war sehr klein und auch zu früh geboren. Darum kämpfte sie sich sehr tapfer durch die Monate und war mit einem halben Jahr schon so groß wie die anderen. Ich konnte mir viel Zeit für beide Kinder nehmen. Nick war in der ersten Klasse und es tat ihm auch gut, dass ich zu Hause war und nicht arbeiten musste. Ich habe es genossen, erneut Mutter zu sein und war von jedem Schritt begeistert, den meine Tochter erlernte oder tat. Sie war ein mutiges Kind, ganz anders als mein Nick. Beide sind einzigartig und so liebenswert. Ich war verliebt in meine Kinder, meinen Mann und in die Zeit wie sie damals war.
Unsere Wohnung war zu klein. Aber man konnte keine andere Wohnung bekommen. Also gab man uns die Möglichkeit, aus zwei Wohnungen, aus der Nachbar- und unserer Wohnung, eine große Wohnung in Eigenleistung zu machen. Wir rissen die Wände raus, versetzten die Küche, veränderten das Bad und hatten dann eine schöne große 5-ZimmerWohnung. Dabei kamen wir gut miteinander zurecht, ohne groß zu streiten. Beim Arbeiten waren wir uns einig und alles verlief nach Plan. Ich ging wieder arbeiten. Meine Tochter war in der Kita der Star und Nick war gut in der Schule. Das Leben war schön und man freute sich jeden Tag auf ein Zuhause. Eines Tages kam die Idee vom eigenen Haus auf. Wir wollten es beide. Dass wir bauen konnten, hatten wir ja schon bewiesen und vielleicht auch aus diesem Grund waren wir bereit, uns diesen Stress und gleichzeitig den Traum vom Eigenheim zu erfüllen. Also fingen wir an, Pläne zu machen und Hausbaufirmen anzusehen sowie Finanzierungsmöglichkeiten durchzugehen. Die Zeit war günstig. Es wurde viel vom Staat gefördert und wir hatten zwei Kinder. Kurz vor Vertragsabschluss mit einer Hausbaufirma, für die wir uns beide entschieden hatten, sagte Martin, er müsse sich alles noch einmal durch den Kopf gehen lassen. Ich dachte, ich höre nicht richtig. Wir reden seit einem halben Jahr von nichts anderem mehr und er ist sich jetzt nicht mehr sicher? Ich ahnte etwas Unvorhergesehenes und Schreckliches auf mich zukommen. Warum tut er das? Warum sagt er nicht vorher, was los ist und warum man jetzt noch überlegen muss? Ich sehe das Gespräch noch heute vor mir. Seine Eltern, Margarete und Hugo, waren bei uns und sie redeten darüber, worüber Martin nicht reden konnte. „Ja, wir haben ja so ein großes Haus und wir werden ja auch nicht jünger und Martin soll doch mal alles erben. Da könnt ihr ja den Dachboden ausbauen. Da ist viel Platz und wir können auch immer auf die Kinder aufpassen, wenn mal was sein sollte.“ Oh nein, waren meine Gedanken, das kann nicht wahr sein. Ich habe nichts gegen seine Eltern, aber unser kleines Glück wird zerstört. Störenfried Nr. 1: Schwiegermutter. Sie möchte ihren Sohn nicht verlieren, Störenfried Nr. 2: Schwiegervater. Er möchte seine Noch-Arbeitskraft nicht verlieren. Störenfriede in doppelter, geballter Ladung gegen mich allein. Und er sagt nichts. Er versucht mich zu überzeugen, wie gut es doch für die Kinder wäre, wir gingen doch beide arbeiten. Ich dachte nur: NEIN, drei, nein, vier Generationen unter einem Dach, denn seine Oma wohnte ja auch noch da. Das kann nicht gut gehen. Ich liebe meine Eltern sehr, aber in einem Haus, das geht für beide nicht. Es gibt nur Stress und Ärger, der nicht sein muss und Familienkrieg ist das Allerschlimmste, was einem passieren kann. Wir haben nur noch gestritten, bis Martin zu mir sagte, dass er das auch ohne mich durchziehen werde und wir uns dann trennen werden. Es war wie ein Peitschenhieb, die volle Erpressung. Mein Glück, meine Liebe gegen seinen Willen, der eigentlich Mamas Wille ist. Er war völlig blind, meine Einwände waren egal und ich rannte gegen eine Mauer. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass er es darauf ankommen lässt, aber er war unter allen Umständen dazu bereit, unsere Familie, unser Glück und unsere Leben aufzugeben. Schließlich konnte ich es nicht übers Herz bringen alles wegzuwerfen und ich entschloss mich daher mitzumachen, den Dachboden auszubauen. Wir machten Zeichnungen, Pläne und reichten Unterlagen bei Ämtern ein. Es gab keine Chance, einen eigenen Eingang zu haben. Wir mussten immer durch den Flur meiner Schwiegereltern, was mich schon wieder im Innersten wütend machte. Wir planten, wir beräumten, wir fingen an zu bauen, in Eigenleistung, weil Hugo der Meinung war, wir kämen damit billiger weg.
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