Jetzt bin ich einigermaßen sicher. Die Bremser glauben, dass ich endgültig geschmissen bin. Aber der lange Tag und die anstrengende Nacht fangen an, ihre Wirkung auszuüben. Da es weder windig noch kalt hier unten ist, nicke ich ein. Das geht nicht. Auf dem Wagengestell einzuschlafen, bedeutet den sicheren Tod, und als wir an eine Station kommen, krieche ich daher heraus und gehe zum zweiten ›Blinden‹. Hier kann ich mich hinlegen und schlafen, und hier schlafe ich – wie lange, weiß ich nicht –, bis ich erwache, weil mir jemand eine Laterne vors Gesicht hält. Die beiden Bremser stehen da und starren mich an. Ich springe auf, um mich zu verteidigen, während ich darüber nachdenke, wer von den beiden mich wohl zuerst angreifen wird. Aber sie denken gar nicht daran.
»Ich glaubte, ich hätte dich geschmissen«, sagt der Bremser, der mich am Kragen gehabt hatte.
»Wenn du mich nicht losgelassen hättest, wärst du zusammen mit mir geflogen«, antwortete ich. »Wieso?« fragt er.
»Ich hätte dich festgehalten, das ist alles«, erwidere ich ihm.
Sie beraten sich, und zuletzt kommen sie zu folgendem Ergebnis:
»Na, dann wollen wir dich fahrenlassen, Kamerad! Es hilft ja nichts, dass wir versuchen, euch runterzukriegen.«
Und dann gehen sie ihres Weges und lassen mich bis zu ihrer Zweigstation in Frieden.
Ich habe hier ein Beispiel davon gegeben, was ›anhängen‹ heißt. Selbstverständlich habe ich eine Nacht gewählt, in der meine Bemühungen von Glück gekrönt waren, und nichts von den Nächten – und ihrer sind viele – gesagt, in denen ich Pech hatte und geschmissen wurde.
Zum Schluss möchte ich nur noch erzählen, was geschah, als wir die Zweigstation auf der Strecke erreichten. Auf den eingleisigen Überlandstrecken warten die Güterwagen an der Weiche und folgen dann den Personenzügen. Als ich in die Zweigstation kam, stieg ich ab und sah mich nach dem Güterzuge um, der hinterherfahren sollte. Ich fand ihn, stellte mich an einem Nebengleise auf und wartete. Dann schlüpfte ich in einen geschlossenen Güterwagen, der halb voll Kohlen war, und legte mich nieder. Fast im selben Augenblick war ich eingeschlafen.
Ich erwachte dadurch, dass die Tür zurückgeschoben wurde. Der Tag brach an, kalt und trübe, und der Güterzug war noch nicht abgefahren. Der Schaffner steckte den Kopf zur Tür herein. »Mach', dass du rauskommst, du verfluchter Schlingel!« brüllte er. Das tat ich, und als ich herauskam, sah ich, wie er den Zug entlang ging und jeden Wagen untersuchte. Sobald er außer Sehweite war, sagte ich mir, er würde nie im Leben darauf verfallen, dass ich so frech wäre, wieder in denselben Wagen zu kriechen, aus dem er mich eben herausgejagt hatte. Ich kletterte also ganz ruhig wieder hinein und legte mich schlafen.
Nun muss aber der Schaffner genauso überlegt haben wie ich, denn er dachte sich, dass ich es geradeso machen würde. Folglich kam er zurück und schmiss mich wieder hinaus.
Na, dachte ich bei mir, es wird ihm doch nie in den Sinn kommen, dass ich es zum dritten Mal tue. Ich kehrte also zum selben Wagen zurück, beschloss aber, mich gegen weitere Überraschungen zu sichern. Nur eine der Seitentüren konnte geöffnet werden, die andere war vernagelt. Ich machte mich gleich an den Kohlenhaufen, grub ein Loch neben der vernagelten Tür und legte mich hinein. Der Schaffner kletterte herauf und guckte ins Loch. Sehen konnte er mich nicht. Er rief, ich sollte machen, dass ich wegkäme. Ich versuchte, ihn anzuführen, indem ich ganz still liegenblieb; als er aber anfing, Kohlenstücke in das Loch zu werfen, gab ich es auf und wurde zum dritten Mal hinausgeschmissen. Dann teilte er mir in großer Erregung mit, was geschehen würde, wenn er mich noch einmal fände.
Jetzt veränderte ich meine Taktik. Wenn ein anderer genau so denkt, wie man selber, so muss man abbrechen und eine neue Taktik versuchen. Das tat ich. Ich versteckte mich zwischen ein paar Wagen auf einem anstoßenden Nebengleis und wartete. Gewiss, der Schaffner kam wieder zum Wagen zurück! Er schloss die Tür auf, kletterte wieder hinein, warf Kohlen in das Loch, das ich gemacht hatte, ja, er kroch ganz auf die Kohlen hinauf und spähte in das Loch hinunter. Damit war er befriedigt. Fünf Minuten später fuhr der Güterzug zur Station hinaus, und der Schaffner war nirgends zu sehen. Ich lief neben dem Wagen her, riss die Tür auf und kletterte hinein. Der Schaffner kam nicht wieder, und ich fuhr mit dem Kohlenwagen genau tausendundzweiundzwanzig Meilen. Die meiste Zeit schlief ich; nur an den Zweigstationen, wo die Güterzüge stets etwa eine Stunde halten, stieg ich ab, um mir etwas Essen zu erbetteln. Und am Ende der tausendundzweiundzwanzig Meilen verlor ich den Wagen durch einen glücklichen Zufall. Ich wurde hereingebeten, um etwas zu essen zu bekommen, und ich möchte den Vagabunden sehen, der nicht jeden Zug wegfahren lässt, wenn er ›hereingebeten‹ wird.
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