1 ...7 8 9 11 12 13 ...25 Morgens holte mich der Van-Service wieder ab. Es sah schon lustig aus, als der alte Schulbus über den Campingplatz holperte, um mich aufzugabeln, da wieder jeder zu Hause abgeholt wurde. Um mein nächstes Ziel zu erreichen, wurde ich vom Fahrer an einer Tankstelle direkt auf dem Highway abgesetzt. Nach einem typisch nordamerikanischen Frühstück mit dünnem Kaffee und fettigen Muffins in der Tankstelle wollte ich die 14 Kilometer lange Straße bis zu meiner nächsten Fähre wandern. Doch nachdem mich drei Autos überholt hatten, hielt ein Newfie an und fragte, wohin ich wollte. Ich sagte ihm nach »Bay l’Argent«. Ich sprach diesen Ortsnamen natürlich französisch aus, mit der Konsequenz, dass mein Gegenüber von diesem Ort noch nie zuvor gehört hatte. Nach längerem Hin und Her und dem Hinweis, dass ich die Fähre von dort nehmen wollte, sagte er: »You wanna go to Bey Latschent?« Bei der Aussprache des Ortsnamens sträubten sich meine Haare, sodass mir fast die Baseball-Mütze weggeflogen wäre, aber ich bekam dafür einen Ride nach »Bey Latschent« und konnte in aller Ruhe meine nassen Sachen am Hafen ausbreiten und trocknen.
»Christoph!« erschallte es in der Passagierkabine der Fähre. Ich hatte vorher gerade festgestellt, dass ich völlig am Ende der Welt angekommen war, gab es doch nur noch eine andere Passagierin und die Frau, die nun vor mir stand. Ich hatte keine Ahnung, woher ich sie kennen könnte, doch Backpacker sind in diesem Teil Neufundlands nicht so häufig anzutreffen. So hatte Astrid tags zuvor von Kanadiern, die mich in S.P.M. getroffen hatten, erfahren, dass in dieser Gegend noch ein »German« ohne Auto reist. Zusammen genossen wir die an uns vorbeiziehende großartige Landschaft mit den in der Sonne strahlenden Felsen, den saftig-grünen Wäldern und dem tiefen Blau des Wassers. Diese Überfahrt hatten wir uns beide ausgesucht, um den entlegenen Outports einen Besuch abzustatten. Die Outports sind Fischerdörfer, die nur zu Wasser per Boot oder Wasserflugzeug zu erreichen sind. Daher waren sie noch relativ abgeschieden. Die Menschen, die wir trafen, waren mit dieser Isolation zufrieden und glücklich. Dank der Kommunikationsfreudigkeit von Astrid zeigten sie uns gerne ihre gesalzenen Fische, die sie zum Trocknen wie an einer Wäscheleine aufgehängt hatten.
Am Ende der Überfahrt in einem Fischerdorf mit Straßenanschluss stellte sich für uns beide die Frage, wie wir nun weiterkommen sollen. Da in dieses Dorf sowieso kein Bus fuhr, trampten wir fortan gemeinsam Richtung Zivilisation. Recht schnell kamen wir voran, doch das größte Stück in Richtung Trans-Canada-Highway, einem Abschnitt von 130 Kilometern ohne Behausung, konnten wir an diesem Tag nicht mehr per Anhalter durchqueren. Aber in Kanada kann man noch immer einfach am Straßenrand zelten, ohne dabei Angstzustände zu bekommen. Zu diesem Zweck fuhr ein Newfie-Ehepaar mit uns viele Kilometer die Straße entlang, um einen geeigneten Zeltplatz zu finden. Dabei waren die beiden eigentlich in der entgegengesetzten Richtung unterwegs.
Abends gab es leckeres Moorwasser zu trinken, das richtig abgekocht und mit Teebeutel versetzt, tatsächlich biologisch vollwertig schmeckte. Es sah wie Cola aus. Der Reis-Eintopf wurde erst mit dem Dunkelwerden fertig, sodass das Auge glücklicherweise nicht mehr mitessen musste. Am nächsten Tag bekamen wir den klassischen Ride hinten auf einem Pick-up 150 Kilometer durch die einsame Landschaft Neufundlands. Bei Tempo hundert konnten wir uns glücklich schätzen, winddichte Jacken zu besitzen, denn der Fahrtwind war doch ziemlich hart und kalt.
Der nächste Ride in einem BMW war wesentlich komfortabler. Moona und Terry aus British Columbia fuhren mit ihrem Auto bis Weihnachten durch Kanada und die USA. Wir hatten großes Glück, dass die beiden uns die nächsten paar Hundert Kilometer mitnehmen konnten. Im Auto hörten wir Newfie-Countrymusic, die Astrid von einem Newfie während des Trampens geschenkt bekommen hatte. In Deer Lake, irgendwo in der Weite Neufundlands, trennten sich unsere Wege wieder. Moona und Terry nahmen mich bis in den Gros Morne National Park mit. Da sie zufälligerweise ins selbe Dorf wollten wie ich, setzten sie mich direkt am Hostel ab und bestanden darauf, mich auch zum Essen einzuladen. Widerstand war »leider« zwecklos.
Die nächsten Tage verbrachte ich im wunderschönen Gros Morne National Park. Dank zweier Backpacker, die mich mit ihrem Auto zu einer schönen Wanderung auf den Tafelberg Gros Morne mitnahmen, bekam ich sogar ein Karibu zu Gesicht. Der Nationalpark zeichnet sich vor allem durch seine landschaftliche Vielfalt aus. Fjorde wie in Skandinavien, Tafelberge wie in Südafrika und dazu die wunderschöne Waldlandschaft machten den Aufenthalt zu einem wunderbaren Erlebnis. Auch die Gaumenfreuden kamen nicht zu kurz, da ich in unserem Dorf frischen Lachs, Heilbutt, Kabeljau und Kammmuscheln in einer Fischerkooperative günstig kaufen und selbst zubereiten konnte. Das war einmal etwas anderes als die Pasta-Reis-Kartoffeldiät, die ich meist zu mir nahm. Leider neigte sich schließlich meine Zeit in Neufundland dem Ende zu. Die letzten 400 Kilometer zum Fährhafen Port-aux-Basques bekam ich wieder einen Ride der besonderen Art. Gail aus Chicago, Illinois, bekennende George-W.-Bush-Wählerin und »proud to be American«{39}, war eine mir zunächst ziemlich unsympathische Amerikanerin, da sie immer alles besser wusste. Doch mit ihr konnte ich schließlich gut über die Politik der Amerikaner nach 09/11{40} diskutieren. »Schlugen« wir uns nicht gerade wieder wegen ihres Präsidenten die Köpfe ein, wurden wir von den Drums aus ihrer monströsen Hi-Fi-Anlage beschallt. Die Musik war hörbarer Techno, schließlich war einer ihrer Söhne DJ in Chicago.
Nach sechs Stunden nächtlicher Überfahrt, einem üblichen nordamerikanischem, kulinarisch desaströsen Frühstück und rund vierstündiger Busfahrt in Richtung Halifax hielt mein Bus vor den Köstlichkeiten der amerikanischen Gastronomie: Subway oder McDonald’s, das war die Frage mit der ich mich notgedrungen beschäftigen musste. Doch plötzlich wurden meine müden Augen wieder hellwach. Es gab etwas bei McDonald’s, was für diese Fastfood-Kette ziemlich einzigartig ist: »Mc Lobster«. Der Sandwich war mit Hummer belegt und das für den selben Preis, für den wir in Deutschland einen plastikähnlichen Big Mac bekommen.
Auf durch Amerika – ohne Auto
Etappe: Von Halifax NS, Canada 45° Nord 64° West (GMT -3) nach Bar Harbour ME, USA 44° Nord 68° West (GMT -4): 1.188 km – Total 14.270 km
Bar Harbour, 3. Oktober 2002
Nachdem ich die Provinz Neufundland verlassen hatte, kam ich nach Nova Scotia, eine der vier Provinzen, die 1867 durch die britische Regierung zur »Dominion of Canada« zusammengeführt wurden. Doch bis zur Gründung Kanadas war diese Region nicht immer britische Kolonie. Der erste Europäer, der den St.-Lorenz-Golf entlangfuhr, war 1534 der Franzose Jacques Cartier. Das Land, das er fand, erklärte er zu französischem Territorium. Die eigentlichen Bewohner, zahlreiche Indianerstämme, wurden nicht gefragt. Cartier gab der neuen Kolonie den Namen »Kanata«. Dieses Wort bedeutet in einer der zahlreichen Indianersprachen nichts anderes als Dorf. Später wurde aus diesem Wort der Name »Canada«, der seither für das ganze Land steht. 1663 wurde Kanada offiziell französische Provinz.
Die Briten schauten dieser Landnahme nicht teilnahmslos zu und erklärten Neufundland und Nova Scotia zu britischen Kolonien. Früher oder später musste es leider Krieg zwischen beiden Nationen um das neue Land geben, denn die fischreichen Gewässer und der Pelzhandel, der gerade entstand, waren Grund genug, die jeweils andere Nation zum Feind zu erklären. So begann 1754 ein 7-jähriger Krieg, der hauptsächlich in der Provinz Québec ausgefochten wurde. Gewinner dieses Kriegs war schließlich die britische Krone. 1763 wurde Kanada britische Kolonie. Während des Krieges litt besonders die französischsprachige Bevölkerung in Nova Scotia. Ihren Teil von Nova Scotia nannten sie »Acadia«, noch bevor die englischsprachige Bevölkerung den Namen Nova Scotia einführte. Zum Ende des Krieges, als sich ein Sieg des Empires über Frankreich abzeichnete, wurden viele französischsprachige Bewohner von Acadia vertrieben und ihre Dörfer zerstört. Sie flohen in die verbliebenen französischen Territorien Nordamerikas nach Lousiana, Martinique und Haiti.
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