„Aber dann ist unsere Mission doch umso wichtiger!“ bekräftigte Wandan. „Wir wollen ja dafür sorgen, dass sie diese Lasten nicht alleine tragen muss.“
„Noch ist nicht gesagt, dass wir Erfolg haben. Und selbst wenn... Selbst, wenn wir finden, wonach wir suchen, muss das noch lange nicht heißen, dass es unseren Vorstellungen entspricht. Der Blutsträger des Himmels... Es könnte eine gebrechliche alte Frau sein oder ein verwirrter Greis. Ein verwaister Säugling. Ein kranker Geist. Ein Ungläubiger. Oder im schlimmsten Fall ein Anhänger Talmirs.“
„Du erwartest wohl immer das Schlimmste?“
„Mitnichten, Wandan. Es ist gut, auf alles vorbereitet zu sein. Mo.... Diener aus dem Hause Balmans, ist dir klar, dass es eine lange und anstrengende Suche werden kann? Fühlst du dich dem gewachsen?“
„Gewiss. Es schmerzt mich, meinen Herrn zu hintergehen, doch ich bin mir sicher, wenn er von all dem hier wüsste, würde er mir beipflichten.“
„Auch, wenn er wüsste, dass Lennys unser Unterfangen nicht gutheißt?“
„Tut sie das? Nach dem, was ich gehört habe, dachte ich, sie glaubt nur nicht an unseren Erfolg.“
Mondor seufzte. „So einfach ist das leider nicht. Im Wesentlichen hast du recht, sie kann sich nicht vorstellen, wie unsere Suche ihr helfen könnte. Manchmal habe ich aber auch den Eindruck, sie möchte nicht, dass wir zu sehr in den alten Geschichten herumstochern. Aber andererseits hat sie es uns auch nicht verboten. Im Augenblick sollten wir nicht zu sehr über Lennys nachdenken, das lenkt uns nur ab. Wie ist es, Mo, können wir uns auf dich verlassen?“
„Voll und ganz.“
„Und auf Racyl? Sie ist ein gewisses Risiko. In jeglicher Hinsicht. Körperlich dürfte sie nicht allzu belastbar sein, seelisch schon gar nicht.“
Doch Wandan schüttelte den Kopf und nahm das Mädchen in Schutz.
„Anfangs dachten wir auch, Sara wäre nicht belastbar und wie sehr haben wir uns in diesem Punkt geirrt. Geben wir ihr doch eine Chance. Ich kenne Racyl. Sie nimmt sich vieles zu sehr zu Herzen, doch andererseits erträgt sie auch jegliches Leiden stillschweigend. Denk nur daran, wie es damals war. Sie hat sich nicht ein einziges Mal über Lennys' Verhalten beklagt, obwohl sie mehr als einen Grund gehabt hätte. Und selbst als Lennys sie hinausgeworfen hat und ihr sagte, sie wolle sie nie wiedersehen... Selbst dann hat Racyl nie ein schlechtes Wort über sie verloren oder gar herumgejammert. Glaub mir, Mondor, sie mag auf den ersten Blick zerbrechlich wirken, aber wir würden ihr Unrecht tun, wenn wir sie wie ein zartes Pflänzchen behandeln.“
„Möglich. Meinetwegen, nehmen wir sie also mit. Dann sollten wir aber keine Zeit verlieren, sondern so schnell wie möglich aufbrechen. Jeder Tag, den sie länger in dieser Gegend bleibt, ist ein unnötiges Risiko. Mich wundert allerdings, dass sie sich jetzt schon von Sara trennt. Oder umgekehrt. Ich hätte schwören können, dass die beiden vorerst zusammenbleiben wollen. Mo?“
Mo nickte. Auch wenn Mondor Racyl kaum kannte, so schätzte er doch die Situation vollkommen richtig ein. Und so berichtete er ihm von den Gesprächen mit Akosh und den beiden Mädchen.
Wandan konnte ein Lächeln nicht verbergen.
„Es wundert mich nicht, dass Sara es sich nicht nehmen lässt, in den Süden zu reisen. Nur ein Verrückter würde versuchen, sie jetzt noch daran zu hindern. Trotzdem ist sie vernünftig genug, einzusehen, dass Racyl im Sichelland besser aufgehoben ist. Es tut mir leid für dich, Mondor. Du hättest Sara sicher auch gern bei dir gehabt.“
„Ja und nein. Sie ist trotz allem eine Fremdländerin, schon allein deshalb wäre es nicht gegangen. Und so sehr ich sie auch mag, aber in unserer Angelegenheit wäre sie uns wohl nicht von Nutzen gewesen. Sie kennt unsere alten Legenden nicht und wenn sie bei den Alten auf den Dörfern nachfragt, erhält sie sicher keine Antwort. Nein, Sara weiß, wo ihr Platz ist. Sie wird von vielen unterschätzt, nicht zuletzt von Lennys selbst. Aber sie gewinnt langsam an Selbstvertrauen und das kann ihr nicht schaden. Ich beneide Akosh und Menrir, mit ihr in den Süden zu reisen, aber andererseits bin ich auch froh, dass mir diese Tortur erspart bleibt.“
Sie redeten noch eine ganze Weile über ihre bevorstehenden Unternehmungen, planten die Art und den Zeitpunkt ihres Aufbruchs und stellten schnell fest, dass sie sich auch zu dritt blendend verstanden. Mo kehrte in dieser Nacht nicht zum Haus seines Herrn zurück. In seinem Alter hatte der lange Marsch Spuren hinterlassen und er brauchte einige Stunden Schlaf und ein stärkendes Mahl, bevor er sich wieder auf den Weg machte.
Sara hatte sich in eines der vielen freien Schlafzimmer zurückgezogen, über die Balman verfügte. Sie hatte bewusst ein anderes gewählt als bei ihrem letzten Aufenthalt, eines, das jenem von damals nicht allzu ähnlich sah. Es war vollgestopft mit Schränkchen, Hockern und Kisten, anscheinend lagerten Balman und Mo hier überzählige und häufig auch schon recht verschlissene Möbelstücke. Das schmale Bett unter dem Fenster quietschte und knarrte, als sie sich auf den Rand setzte.
Seit Racyls Verkündung, sich Mo anschließen zu wollen, hatte Sara kaum geredet. Weder mit ihrer Freundin noch mit Oras, Haya, Akosh oder Menrir. Und auch für Mo hatte sie nur wenige Worte übrig gehabt, als sich dieser in die Stadt aufgemacht hatte, um Mondor und Wandan zu besuchen. Sie war nicht verärgert, auch nicht enttäuscht. Je länger sie darüber nachdachte, desto sicherer war sie, dass Racyl sich richtig entschieden hatte. Aber ihr war langsam auch in den Sinn gekommen, was diese Veränderung für sie bedeutete. Viele Tage gemeinsam mit dem alten Menrir und mit Akosh, dem sie immer noch nicht so recht traute. Tage, in denen sie denselben Weg gehen musste, den sie vor einigen Wochen mit Lennys bestritten hatte. Durch den Shanguin-Gürtel, durch Valahir, durchs Mittelland. Nur, dass diesmal nicht der Norden, sondern der Süden das Ziel war. Sie scheute die Anstrengungen nicht, die vor ihr lagen. Seit den schicksalsweisenden Tagen im Spätsommer, in denen sie Lennys zum ersten Mal begegnet war, hatte sich ihre Ausdauer merklich verbessert, sie war zäher geworden und inzwischen hatte sie sich sogar an das raue Klima in Cycalas gewöhnt. Weit mehr als ihre eigenen Kräfte machten ihr da Menrirs mögliche Schwächen Sorgen. Selbst wenn sie einen Großteil der Strecke auf Händlerwagen oder Eseln zurücklegen würden, bedeutete dies nicht, dass es eine erholsame Reise wurde. Im schlimmsten Fall konnten diese vermeintlichen Erleichterungen sie sogar viel Zeit kosten, wenn sie so Umwege in Kauf nehmen mussten und die Tiere Wasser und Ruhepausen benötigten. Wie viel einfacher wäre es doch, wenn... ja, wenn. Zuerst schob sie den Gedanken beiseite. Er war lächerlich und naiv, zugleich aber auch verwegen und leichtsinnig. Noch zudem undurchführbar. Unmöglich.
Unmöglich war ein Wort, das sie sich eigentlich selbst verboten hatte. Noch vor einem halben Jahre hätte sie auch die Tatsache, dass sie die höchste Dienerin einer Shaj des Sichellandes werden könnte, als unmöglich bezeichnet. Oder auch nur die Vorstellung, mit einem Säbel mehreren Hantua den Kopf abzuschlagen.
Lennys hatte ihr bewiesen, dass nichts unmöglich war, das manches aber einfach Opfer verlangte. Und meistens opferte man für die großen Ziele einen Teil seiner selbst.
Noch einmal kehrte der aberwitzige Gedanke zurück. Sie ließ ihn für einen Moment zu und hinterfragte ihn. Was genau war denn so unmöglich?
Plötzlich erinnerte sie sich daran, dass sie genau dieselbe Situation schon einmal erlebt hatte. Natürlich war jetzt alles viel schwieriger, aber inzwischen hatte sie genug Erfahrung mit solchen Prüfungen. Und auch wenn die Hindernisse vor ihr höher waren als damals, so war sie heute doch auch weitaus besser dafür gerüstet. In diesem Falle sogar wörtlich.
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