1 ...6 7 8 10 11 12 ...33 Als die Räuber gerade meinen Bruder aus dem Zelt führen wollten, begegneten sie drei andern, die einen Gefangenen vor sich hintrieben. Sie traten mit ihm ein. »Hier bringen wir den Bassa, wie du uns befohlen hast«, sprachen sie, und führten den Gefangenen vor das Polster des Starken. Als der Gefangene dorthin geführt wurde, hatte mein Bruder Gelegenheit, ihn zu betrachten, und ihm selbst fiel die Ähnlichkeit auf, die dieser Mann mit ihm hatte, nur war er dunkler im Gesicht, und hatte einen schwärzeren Bart. Der Starke schien sehr erstaunt über die Erscheinung des zweiten Gefangenen; »Wer von euch ist denn der Rechte?« sprach er, indem er bald meinen Bruder, bald den anderen Mann ansah. »Wenn du den Bassa von Sulieika meinst«, antwortete in stolzem Ton der Gefangene, »der bin ich!« Der Starke sah ihn lange mit seinem ernsten, furchtbaren Blick an, dann winkte er schweigend, den Bassa wegzuführen. Als dies geschehen war, ging er auf meinen Bruder zu, zerschnitt seine Bande mit dem Dolch, und winkte ihm, sich zu ihm aufs Polster zu setzen. »Es tut mir leid, Fremdling!« sagte er, »daß ich dich für jenes Ungeheuer hielt, schreibe es aber einer sonderbaren Fügung des Himmels zu, die dich gerade in der Stunde, welche dem Untergang jenes Verruchten geweiht war, in die Hände meiner Brüder führte.« Mein Bruder bat ihn um die einzige Gunst, ihn gleich wieder weiterreisen zu lassen, weil jeder Aufschub ihm verderblich werden könne. Der Starke erkundigte sich nach seinen eiligen Geschäften, und als ihm Mustafa alles erzählt hatte, überredete ihn jener, diese Nacht in seinem Zelt zu bleiben, er und sein Roß werden der Ruhe bedürfen, den folgenden Tag aber wolle er ihm einen Weg zeigen, der ihn in anderthalb Tagen nach Balsora bringe. Mein Bruder schlug ein, wurde trefflich bewirtet, und schlief sanft bis zum Morgen in dem Zelt des Räubers.
Als er aufgewacht war, sah er sich ganz allein im Zelt, vor dem Vorhang des Zeltes aber hörte er mehrere Stimmen zusammen sprechen, die dem Herrn des Zeltes, und dem kleinen, schwarzbraunen Mann anzugehören schienen. Er lauschte ein wenig, und hörte zu seinem Schrecken, daß der Kleine dringend den andern aufforderte, den Fremden zu töten, weil er, wenn er freigelassen würde, sie alle verraten könnte.
Mustafa merkte gleich, daß der Kleine ihm gram sei, weil er Ursache war, daß er gestern so übel behandelt wurde; der Starke schien sich einige Augenblicke zu besinnen; »Nein«, sprach er, »er ist mein Gastfreund, und das Gastrecht ist mir heilig, auch sieht er mir nicht aus, wie wenn er uns verraten wollte.«
Als er so gesprochen, schlug er den Vorhang zurück, und trat ein. »Friede sei mit dir, Mustafa«, sprach er, »laß uns den Morgentrunk kosten, und rüste dich dann zum Aufbruch.« Er reicht meinem Bruder einen Becher Sorbet, und als sie getrunken hatten, zäumten sie die Pferde auf, und wahrlich! mit leichterem Herzen als er gekommen war, schwang sich Mustafa aufs Pferd. Sie hatten bald die Zelte im Rücken, und schlugen dann einen breiten Pfad ein, der in den Wald führte. Der Starke erzählte meinem Bruder, daß jener Bassa, den sie auf der Jagd gefangen hätten, ihnen versprochen habe, sie ungefährdet in seinem Gebiet zu dulden; vor einigen Wochen aber, habe er einen ihrer tapfersten Männer aufgefangen und nach den schrecklichsten Martern aufhängen lassen. Er habe ihm nun lange auflauern lassen, und heute noch müsse er sterben. Mustafa wagte es nicht, etwas dagegen einzuwenden, denn er war froh, selbst mit heiler Haut davongekommen zu sein.
Am Ausgang des Waldes hielt der Starke sein Pferd an, beschrieb meinem Bruder den Weg, bot ihm die Hand zum Abschied, und sprach: »Mustafa, du bist auf sonderbare Weise der Gastfreund des Räubers Orbasan geworden, ich will dich nicht auffordern, nicht zu verraten, was du gesehen und gehört hast. Du hast ungerechterweise Todesangst ausgestanden, und ich bin dir Vergütung schuldig. Nimm diesen Dolch als Andenken, und so du Hülfe brauchst so sende ihn mir zu, und ich will eilen, dir beizustehen. Diesen Beutel aber kannst du vielleicht zu deiner Reise brauchen.« Mein Bruder dankte ihm für seinen Edelmut, er nahm den Dolch, den Beutel aber schlug er aus. Doch Orbasan drückte ihm noch einmal die Hand, ließ den Beutel auf die Erde fallen, und sprengte mit Sturmeseile in den Wald. Als Mustafa sah, daß er ihn doch nicht mehr werde einholen können, stieg er ab, um den Beutel aufzuheben und erschrak über die Größe von seines Gastfreundes Großmut, denn der Beutel enthielt eine Menge Goldes. Er dankte Allah für seine Rettung, empfahl ihm den edlen Räuber in seine Gnade, und zog dann heiteren Mutes weiter auf seinem Wege nach Balsora.
Hier schwieg Lezah und sah Achmet, den alten Kaufmann fragend an. »Nein, wenn es so ist«, sprach dieser, »so verbessere ich gerne mein Urteil von Orbasan, denn wahrlich an deinem Bruder hat er schön gehandelt.«
»Er hat getan wie ein braver Muselmann«, rief Muley, »aber ich hoffe, du hast deine Geschichte damit nicht geschlossen, denn wie mir bedünkt, sind wir alle begierig, weiter zu hören, wie es deinem Bruder erging, und ob er Fatme, deine Schwester, und die schöne Zoraide befreit hat.«
»Wenn ich euch nicht damit langweile, erzähle ich gerne weiter«, entgegnete Lezah, »denn die Geschichte meines Bruders ist allerdings abenteuerlich und wundervoll.«
Am Mittag des siebenten Tages nach seiner Abreise zog Mustafa in die Tore von Balsora ein. Sobald er in einer Karawanserei abgestiegen war, fragte er, wann der Sklavenmarkt, der alljährlich hier gehalten werde, anfange? Aber er erhielt die Schreckensantwort, daß er zwei Tage zu spät komme. Man bedauerte seine Verspätung, und erzählte ihm, daß er viel verloren habe, denn noch an dem letzten Tage des Marktes seien zwei Sklavinnen angekommen, von so hoher Schönheit, daß sie die Augen aller Käufer auf sich gezogen hätten. Man habe sich ordentlich um sie gerissen und geschlagen, und sie seien freilich auch zu einem so hohen Preis verkauft worden, daß ihn nur ihr jetziger Herr nicht habe scheuen können. Er erkundigte sich näher nach diesen beiden, und es blieb ihm kein Zweifel, daß es die Unglücklichen seien, die er suche. Auch erfuhr er, daß der Mann, der sie beide gekauft habe, vierzig Stunden von Balsora wohne, und Thiuli-Kos heiße, ein vornehmer reicher aber schon ältlicher Mann, der früher Kapudan-Bassa des Großherrn war, jetzt aber sich mit seinen gesammelten Reichtümern zu Ruhe gesetzt habe.
Mustafa wollte von Anfang sich gleich wieder zu Pferd setzen, um dem Thiuli-Kos, der kaum einen Tag Vorsprung haben konnte, nachzueilen. Als er aber bedachte, daß er als einzelner Mann, dem mächtigen Reisenden doch nichts anhaben, noch weniger seine Beute ihm abjagen konnte, sann er auf einen andern Plan und hatte ihn auch bald gefunden. Die Verwechslung mit dem Bassa von Sulieika, die ihm beinahe so gefährlich geworden wäre, brachte ihn auf den Gedanken: unter diesem Namen in das Haus des Thiuli-Kos zu gehen, und so einen Versuch zur Rettung der beiden unglücklichen Mädchen zu wagen. Er mietete daher einige Diener und Pferde, wobei ihm Orbasans Geld trefflich zustatten kam, schaffte sich und seinen Dienern prächtige Kleider an, und machte sich auf den Weg nach dem Schlosse Thiulis. Nach fünf Tagen war er in die Nähe dieses Schlosses gekommen. Es lag in einer schönen Ebene, und war rings von hohen Mauern umschlossen, die nur ganz wenig von den Gebäuden überragt wurden. Als Mustafa dort angekommen war, färbte er Haar und Bart schwarz, sein Gesicht aber bestrich er mit dem Saft einer Pflanze, der ihm eine bräunliche Farbe gab, ganz wie sie jener Bassa gehabt hatte. Er schickte hierauf einen seiner Diener in das Schloß, und ließ, im Namen des Bassa von Sulieika, um ein Nachtlager bitten. Der Diener kam bald wieder, und mit ihm vier schöngekleidete Sklaven, die Mustafas Pferd am Zügel nahmen, und in den Schloßhof führten. Dort halfen sie ihm selbst vom Pferd, und vier andere geleiteten ihn eine breite Marmortreppe hinauf zu Thiuli.
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