„Hasselbach arbeitete für mich in der Haltung und Nachzucht meiner Vögel, hauptsächlich der asiatischen Edelpapageien. Er verbrachte einen Teil seiner Jugend in der Heimat seiner Mutter, welche auch die Heimat dieser Vögel ist. Er kümmerte sich Tag und Nacht um die Tiere. Sehr erfolgreich übrigens. Leider hielt er es ihn nie lange an ein und demselben Ort aus und so nahm er eine Stelle in einem Zuchtprogramm für Nashornvögel im Amsterdamer Zoo an. Er hat uns dennoch jedes Jahr einmal besucht. Oder besser gesagt: Die Edelpapageien.“ Erik Lang goss die Gläser noch einmal voll. Die Limonade schmeckte nur leicht süß, und in dem trockenen Klima besonders gut.
„Warum hat er seine Stelle im Amsterdamer Zoo aufgegeben und ist in das Van-Gogh-Museum gewechselt?“
„Vor ungefähr zwei Jahren brachen Jugendliche nachts in den Zoo ein. Ob als Mutprobe oder um Tiere zu stehlen, weiß ich nicht. Auf jedem Fall entwickelte sich aus dem Einbruch Vandalismus. Sie zerstörten große Teile des Glashauses. Ein Teil der aufgeschreckten Vögel floh hinaus in die Winternacht und kam draußen um. Die Jugendlichen machten sich auch an den Nestern zu schaffen. Sie quälten und erschlugen schließlich die brütenden Elterntiere und lieferten sich eine Art Baseballspiel mit den Eiern. Als Folge der nächtlichen Zerstörung musste der Zoo das Zuchtprogramm mit den Nashornvögeln und einigen anderen Vogelarten aufgeben. Hasselbach besuchte mich vor seinem Wechsel in das Museum noch einmal. Danach riss der Kontakt ab.“
„Warum glauben Sie, hat er die Bilder zerstört? Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen dem Ende der Vogelzucht und dem Brandanschlag auf die Van-Gogh-Bilder?“ Brown deutete eine interessante Theorie an:
„Es liegt nahe. Aber wo besteht der Zusammenhang? Warum sollte er das tun?“ Erik Lang machte den Anschein, als würde er nicht das erste Mal darüber nachdenken.
Der ESS-Agent fragte ihn nach den Anderen aus. Erik Lang kannte sie alle, konnte sich an sie als liebe, gefühlvolle, intelligente Menschen erinnern. Aber genauso wie bei Gustav Hasselbach hatte er sie über ein Jahr nicht mehr persönlich getroffen.
Ungefragt begründete Erik Lang seine eigene Zurückgezogenheit: „Im Frühling vor eineinhalb Jahren wurden die Menschen, die mir am meisten bedeutet haben, ermordet. Ich selbst habe nur sehr schwer verletzt überlebt. Tagelang kämpften die Ärzte um mein Leben. Sogar der spanische König hat mir seinen Leibarzt geschickt."
Erik Lang zögerte. Brown spürte, dass er unter der Erinnerung immer noch stark litt. "Es gibt Tage, an denen wünschte ich, man hätte mich später gefunden. Oder die Ärzte wären nicht so gut gewesen.“
Er machte eine Pause, in der es Brown für richtig hielt, nichts zu sagen.
„Ich habe mich danach wieder sehr schnell erholt. Körperlich zumindest. Ein halbes Jahr danach konnte ich wieder laufen. Meine Organe funktionieren alle so wie sie es für mein Alter tun sollten. Seit jenem Frühlingstag habe ich die Insel nie mehr verlassen. Ich war ein paar Mal in der Inselhauptstadt Santa Cruz. Offizielle Anlässe, zu denen ich mich verpflichtet fühlte. Sehr viele Menschen haben sich um mich gekümmert. Hin und wieder gehe ich hinunter in das Dorf. Am Anfang war es mir oft zu viel, dass sie meine Hände lang gedrückt haben und ihr Beileid ausgesprochen haben. Mittlerweile gehen sie wieder normaler mit mir um.“
„Warum wurden Sie überfallen?“ Brown fragte, obwohl er die nüchternen Zahlen in dem Vorläufigen Untersuchungsbericht des Raubmordes längst gelesen hatte.
Lang machte es nichts aus: „Sie haben insgesamt fünf Hyazinth-Aras und vier befruchtete Eier dieser Art gestohlen.“
Für Brown, der schon vieles gewohnt war, war es unvorstellbar, dass jemand so viele Menschen tötete, nur um sich in den Besitz einiger Vögel zu bringen. Noch dazu waren es nicht irgendwelche Menschen.
Lang schien seine Gedanken zu erraten: „In Anlehnung an die blaue Mauritius, eine sehr seltene und wertvolle Briefmarke, wurden die kobaltblauen Hyazinth-Aras in den vergangenen Jahren nur noch `Die Blauen´ genannt. Die Hyazinth-Aras sind die größte Papageienart unseres Planeten. Seit ungefähr fünf Jahren wurden diese wunderschönen Vögel nicht mehr in ihrem natürlichen Lebensraum, dem Regenwald Amazoniens, beobachtet. Der Marktpreis eines lebenden Vogels lag vor zwei Jahren bei 10 Millionen Dollar das Stück. Ein befruchtetes Ei wurde für 2 - 3 Millionen Dollar gehandelt.“
„Wer kann sich so etwas leisten?“, fragte Brown, der damit sowohl den Kaufpreis meinte, als auch die Tatsache, dass man die Vögel verstecken musste, weil sie so bekannt waren wie ein berühmtes Gemälde!
Erik Lang ließ sich Zeit mit der Antwort. Es war nicht das Zögern eines Menschen, der es nicht wusste und nun versuchte, eine Erklärung zu finden. Das Verstreichen der Zeit glich mehr dem Magma eines Vulkanes, das immer höher im Schlot aus der Tiefe der Erde emporstieg. „Sehr reiche Leute, die sich mit ihrem Geld alles kaufen können. Alles. Und die nicht davor zurückschrecken ihr Geld für ihre Ziele und Wünsche einzusetzen.“
Brown stand auf, um sich zu verabschieden. Er wollte den Mann nicht weiter befragen, sondern erst einmal seine Eindrücke verarbeiten. Er war hier in einer anderen Welt. „Eine letzte Frage noch, bevor ich gehe,“ sagte er. „Spekulieren Sie noch an der Börse?“
„Nein. Ich habe genug Geld und es reicht für alles, was ich brauche. Ich brauche wirklich nicht mehr. Von keinem Geld der Welt kann ich meine Frau, meine Tochter, meinen Freund Franco und die Bodyguards, die uns beschützen wollten, wieder lebendig machen.“
Der ESS-Agent glaubte ihm die Antwort. Daran hatte er keinen Zweifel.
Am nächsten Nachmittag wurde Anthony Brown wieder von seiner hübschen spanischen Kollegin abgeholt und zum Flughafen gebracht. Rizzardi hatte ihn angewiesen, nach Wien zurückzukommen. Brown hatte noch viele Fragen, die er Erik Lang stellen wollte. Er fand den Mann faszinierend. Trotz seines schlimmen Schicksals hatte er eine besondere Ausstrahlung. Der ESS-Agent war sich sicher, dass Lang vielleicht doch den einen oder anderen Hinweis geben konnte, warum aus den Menschen, mit denen er zu tun hatte, Terroristen wurden.
Brown wusste nicht, dass Rizzardi längst ein Team zur Überwachung des Anwesens eingesetzt hatte. Sie hatten längst unauffällig ihre Arbeit aufgenommen und auch den Besuch von ihrem eigenen Agenten in Wort und Bild aufgenommen. Teilweise zumindest. Denn das einzige, was sie nicht konnten, waren drahtlose Abhöranlagen im Gebäude selbst zu verwenden. Der Eigentümer hatte offiziell aufgrund der empfindlichen Vogelzucht eine Sondergenehmigung erhalten, um mit Hilfe einer komplizierten technischen Einrichtung das Eindringen von Funkwellen in seinen palastartigen Komplex zu verhindern. Der wahre inoffizielle Grund war jedoch die Bereitschaft von Erik Lang, sein Gebäude für erneute geheime, politisch sensible Konferenzen zur Verfügung zu stellen.
Als die Linienmaschine gerade die Pyrenäen überquerte, tippte Brown auf seinem Laptop eine Liste mit Fragen, die er Erik Lang noch stellen wollte. Oder zumindest, was er über ihn in Erfahrung bringen wollte. Zehntausend Meter unter ihm türmte sich das Gebirge zwischen Frankreich und Spanien auf, das jedoch im Dunkel der Nacht lag. Seit über einer halben Stunde wurde das Flugzeug bereits von Turbulenzen durchgerüttelt. Der erste große Herbststurm Europas gewann über dem Europäischen Festland an Stärke.
„Meine Damen und Herren. Hier spricht der Kapitän. Aufgrund des Herbststurmes mit orkanartigen Geschwindigkeiten über Mitteleuropa und dem Alpenraum müssen wir notgedrungen in Mailand landen. Wir bitten um Ihr Verständnis. Selbstverständlich wird für Ihren umgehenden Weitertransport zum ursprünglichen Zielflughafen Wien gesorgt. Im Namen der Fluggesellschaft danke ich für Ihr Verständnis!“ Wie als Bestätigung wurde das Flugzeug besonders heftig durchgerüttelt. Spätestens jetzt schloss jeder Passagier seinen Sicherheitsgurt und zog ihn straffer an.
Читать дальше