Jennings rollte auf mich zu und stoppte dann etwa zwei Meter von mir entfernt.
"Ich hoffe, Sie nehmen es mir nicht übel, daß unsere letzten Termine geplatzt sind. Aber ich arbeite sehr hart."
"Ihr Manager sagte mir bereits etwas ähnliches!" erwiderte ich. "Woran arbeiten Sie im Moment?"
Jennings hob die Hand und schüttelte den Kopf. Ich begriff. Er wollte nicht darüber reden und ich hätte mich in diesem Moment dafür ohrfeigen können, so ungestüm vorgeprescht zu sein. John Jennings war ein scheuer Mann, der sich nicht gleich jedem offenbarte. Wenn er es überhaupt tat, dann nur nach einer eingehenden Prüfung. Und dieser wurde ich offenbar gerade unterzogen.
"Sie sind noch recht jung für Ihren Job, Miss McGraw", sagte er. "Ich hatte Sie mir älter vorgestellt."
"Enttäuscht?"
"Nein. Vielleicht haben Sie dadurch weniger Vorurteile."
"Vorurteile? Wogegen? Gegen schwarze Magie und Okkultismus?"
Zum ersten Mal sah ich in diesem Moment, das sich sein Gesichtsausdruck veränderte. Die Ahnung eines Lächelns huschte über seine Lippen und in den dunklen Augen blitzte es kurz auf.
Vielleicht würde es mir ja doch gelingen, mit ihm eine gemeinsame Wellenlänge zu finden.
Ich hoffte es jedenfalls.
"Sie glauben an die Macht der Magie, nicht wahr?" sagte ich. "Jedenfalls konnte man das überall lesen." Jennings nickte.
"Es ist für mich keine Frage des Glaubens, Miss McGraw, auch wenn Sie das vielleicht überraschen mag. Ich weiß, welche Kräfte durch Magie kontrolliert werden können!" Er ballte die rechte Hand zu einer Faust, so als würde er etwas darin zerquetschen. Sein Tonfall wurde klirrend.
"Was meinen Sie genau damit, Mr. Jennings?" hakte ich nach. Und wieder hatte ich kurz das Bild einer Kette vor Augen, die wie eine Schlinge um den Hals eines Menschen gelegt worden war.
"Schwarze Magie kann beispielsweise auf große Entfernung töten, Miss McGraw! Wußten Sie das?"
Die Art und Weise, in der er das sagte, trieb mir einen Schauder über den Rücken.
"Wie kommen Sie gerade darauf?" fragte ich.
"Es ist ein Beispiel, weiter nichts. Es gibt Mächte, von deren Existenz die meisten Menschen nichts wissen wollen. Aber sie sind wirksam... Nennen Sie es Okkultismus oder Magie oder übersinnliche Beeinflussung... Zu verschiedenen Zeiten haben die Menschen diesen Phänomenen unterschiedliche Namen gegeben. Aber im Kern läuft es immer auf dasselbe hinaus: Auf die Macht des menschlichen Geistes, die bis jetzt kaum ausgeschöpft wurde! Diese Macht freizusetzen - das ist Magie, Miss McGraw!"
"Ein interessanter Gedanke!"
Jennings' Gesichtsausdruck wurde etwas weicher. "Ich weiß
nicht, ob Sie wirklich verstehen, was ich Ihnen gesagt habe. Wahrscheinlich rede ich in Ihren Augen nur Unsinn..."
"Habe ich das gesagt?" wich ich aus.
Er zuckte die Achseln. "Die meisten denken das. Und tatsächlich tummeln sich auf dem Gebiet ja auch eine Menge Scharlatane und Verrückte, die versuchen, unerklärliche Dinge für ihre eigenen Zwecke auszunutzen. Aber der Kern ist ein sehr altes Wissen, das bereits Jahrtausende im Besitz des Menschen ist..."
"Ich weiß, wovon Sie reden", behauptete ich. Jennings hob die Augenbrauen.
"Wirklich?"
"Meine Eltern verstarben früh und so wurde ich von meiner Großtante Margaret aufgezogen. Sie hat sich immer sehr stark mit diesem Gebiet beschäftigt und eine Art Privatarchiv dafür angelegt."
"Interessant", murmelte Jennings. Seine Züge wurden etwas weicher und weniger melancholisch. Eigentlich war ich hier, um etwas über ihn zu erfahren und nicht umgekehrt. Aber es schien, als müßte ich erst etwas von mir preisgeben, bevor er ebenfalls dazu bereit war, sich etwas mehr zu öffnen. John Jennings rollte zu einem Schrank hinüber, zog eine der Schubladen heraus und kam einen Moment später mit etwa einem Dutzend Zeitungsausschnitten zurück. Er legte sie vor mir auf ein niedriges Glastischchen. Ich erkannte die Ausschnitte sofort wieder und mußte unwillkürlich lächeln.
"Sie haben meine Reportagen gesammelt?" stellte ich etwas überrascht fest.
"Nur die der letzten Zeit. Schließlich wollte ich wissen, mit wem ich es zu tun habe! Ihren Artikeln nach scheinen Sie das Interesse Ihrer Großtante für das Übernatürliche zu teilen. Sie beschäftigen sich oft damit."
"Ja, das interessiert mich sehr, Mr. Jennings." Er kam etwas näher. "Nennen Sie mich John." Ich zuckte die Schultern.
"Meinetwegen, John."
"Ich gebe morgen ein Fest. Nur für ein paar Freunde und Bekannte. Einige Leute vom Kunstmarkt sind auch dabei. Aber es bleibt eine geschlossene Gesellschaft. Haben Sie Interesse?"
"Ich werde kommen", kündigte ich an.
"Gut. Um 20.00 Uhr. Aber lassen Sie Ihren windigen Fotografen in der Redaktion. Ich möchte nicht, daß Bilder gemacht werden und auch einigen meiner anderen Gäste wäre das vielleicht unangenehm. Schließlich findet das ganze in einem fast privaten Rahmen statt."
Es blieb mir nichts anderes übrig, als diese Bedingung zu akzeptieren.
Jennings reichte mir die Hand. "Es hat mich sehr gefreut Sie kennenzulernen, Dana!"
*
Die Villa meiner Großtante Margaret Sandford ist eine Mischung aus archäologischem Museum und einer
Kuriositätensammlung. Dazu kommt dann noch ihr Privatarchiv über den Bereich Okkultismus und Übersinnliches. Margarets Mann Frank war Archäologe gewesen und galt als
verschollen, seit er von einer Forschungsreise nicht zurückgekehrt war. Von ihm stammte die Mehrzahl der archäologischen Fundstücke und fremdartigen Artefakte aus aller Welt, die hier zusammengetragen waren.
Seit dem Tod meiner Eltern wohnte ich hier und daher war diese für manche Betrachter sicher etwas eigenartige Umgebung nichts Ungewöhnliches für mich.
Als ich nach Hause kam, setzte Margaret mir eine Tasse Tee vor.
"Danke sehr", murmelte ich, während ich mich in einen der altmodischen Sessel fallenließ. Margaret setzte sich zu mir, ebenfalls mit einer Tasse Tee.
Sie erzählte mir von einem Buch in dem sie gerade las. Es handelte sich um eine alte Schrift über einen recht abseitigen magischen Zirkel, der im neunzehnten Jahrhundert in London und Umgebung bestanden hatte und dann ziemlich plötzlich von der Bildfläche verschwunden war.
"Einflußreiche Persönlichkeiten sollen diesem Kult angehört haben", erklärte sie. "Darunter sogar ein Minister Königin Victorias..."
Ich nahm einen Schluck Tee und hatte einen Moment später plötzlich wieder das Bild einer Kette vor meinem inneren Auge, die um einen Hals geschlungen wurde. Ich sah ein paar feingliedriger Männerhände, die die Kette zu einer Schlinge zusammenzogen. Ich faßte mir unwillkürlich an den Hals und schluckte. Ein beklemmendes Gefühl hatte sich in mir breitgemacht und ich atmete tief durch, so als brauchte ich dringend frische Luft.
"Dana!" hörte ich Margarets Stimme. Ich wandte den Kopf zu ihr hin.
"Entschuldige, Tante Marge", murmelte ich.
"Na, kein Wunder, mein Kind! Du hattest vermutlich einen anstrengenden Tag in der Redaktion, mußtest dich gegen deinen griesgrämigen Chefredakteur behaupten und ich erzähle dir etwas über eine seit hundert Jahren angestaubte Schrift!"
"Ich war heute bei diesem Künstler - John Jennings." Margaret lächelte.
"Hat er diesmal den Termin also nicht platzen lassen."
"Nein..."
Sie sah mich an. Ihre Augenbrauen zogen sich ein wenig zusammen und ihr Blick wurde prüfend. Mir war sehr wohl bewußt, wie schlecht ich etwas vor ihr verbergen konnte. Darum versuchte ich es zumeist auch gar nicht erst.
"Dieser Jennings scheint dich ja sehr beeindruckt zu haben", stellte Margaret fest.
Da hatte sie vermutlich sogar recht, obwohl ich noch nicht wußte, was es eigentlich war, das mich an diesem Künstler so fasziniert hatte.
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