Der Doktor sagte uns, er werde am nächsten Tage wiederkommen und habe sich anheischig gemacht, sie in drei Stunden zu erlösen, wenn sie besessen sei; wenn sie aber wahnsinnig sei, so könne er nichts versprechen. Die Mutter rief, sie sei gewiß, daß er Bettina erlösen werde, und sie danke Gott für die Gnade, vor ihrem Tode einen Heiligen gesehen zu haben.
Am nächsten Tage war Bettinas Verrücktheit wirklich prachtvoll. Sie hielt die verrücktesten Reden, wie kein Dichter sie je ersinnen könnte, und hörte damit auch nicht auf, als der schöne Teufelsbanner hereinkam; er gönnte sich den Genuß eine Viertelstunde lang, dann legte er seinen vollen Ornat an und bat uns hinauszugehen. Wir gehorchten augenblicklich, und die Tür blieb offen. Aber was sollte das besagen? Wer hätte die Kühnheit besessen, hineinzugehend?
Drei volle Stunden lang hörten wir keinen Ton. Totenstille! Um zwölf Ubr rief der Mönch, und wir traten ein. Bettina lag traurig und ganz ruhig da, während der Mönch seine Sachen zusammenpackte. Als er ging, sagte er, er habe Hoffnung, und bat den Doktor, ihm Nachricht zukommen zu lassen. Bettina speiste zu Mittag in ihrem Bett, aß abends mit uns am Tisch und war am nächsten Tage ganz vernünftig. Da geschah aber etwas, was mich in meinem Glauben bestärkte, daß sie weder wahnsinnig noch besessen sei.
Es war am Tage vor Mariä Reinigung (Lichtmeß). Der Doktor ließ uns gewöhnlich in der Pfarrkirche das Abendmahl nehmen; zur Beichte aber führte er uns in die Augustinerkirche, wo der Gottesdienst von den Jacobinern von Padua abgehalten wird. Bei Tisch sagte er uns, wir sollten uns darauf einrichten, am anderen Tage hinzugehen. Da sagte seine Mutter: „Ihr solltet alle beim Vater Mancia zur Beichte gehen, damit ihr von diesem heiligen Mann eurer Sünden ledig gesprochen werdet; ich gedenke auch zu ihm zu gehen.“ – Cordiani und die beiden Feltrini erklärten sich bereit; mir aber mißfiel der Vorschlag. Ich sagte zwar nichts, aber ich war fest entschlossen, die Ausführung desselben zu verhindern.
Ich glaubte an das Beichtsiegel und war nicht imstande, ein falsches Bekenntnis abzulegen; da ich aber wußte, daß es mir freistand, mir meinen Beichtiger zu wählen, so wäre ich sicherlich niemals so naiv gewesen, dem Pater Mancia zu sagen, was zwischen mir und einem Mädchen vorgefallen wäre; denn er hätte mühelos erraten müssen, daß dieses Mädchen nur Bettina sein konnte. Übrigens war ich sicher, daß Cordiani ihm alles sagen würde, und dies ärgerte mich gewaltig.
Am anderen Morgen in aller Frühe brachte Bettina mir einen Halskragen und übergab mir einen Brief, worin es hieß:
„Hassen Sie mein Leben, aber schonen Sie meine Ehre und gönnen Sie mir das bißchen Frieden, wonach ich mich sehne. Niemand von Euch darf morgen beim Vater Mancia beichten. Sie sind der einzige, der die bestehende Absicht zum Scheitern bringen kann, und ich brauche Ihnen das Mittel dazu nicht erst anzudeuten. Ich werde sehen, ob es wahr ist, daß Sie Freundschaft für mich hegen!“
Das arme Mädchen tat mir unbeschreiblich leid, als ich dieses Briefchen las. Trotzdem antwortete ich ihr folgendes:
„Ich begreife, daß trotz der Unverletzbarkeit des Beichtsiegels das Vorhaben Ihrer Mutter Sie beunruhigen muß; aber ich begreife nicht, warum Sie, um dies Vorhaben zu vereiteln, sich an mich wenden und nicht lieber an Cordiani, der es laut und offen gebilligt hat. Ich kann Ihnen weiter nichts versprechen, als daß ich nicht mitmachen werde; aber auf Ihren Liebhaber habe ich keinen Einfluß; mit dem müssen Sie selber sprechen.“
Hierauf übergab sie mir folgende Erwiderung:
„Ich habe seit der verhängnisvollen Nacht, die mich unglücklich gemacht hat, mit Cordiani kein Wort mehr gesprochen. Ich werde auch niemals mehr mit ihm sprechen, selbst wenn ich um diesen Preis das verlorene Glück wiederfände. Nur Ihnen allein will ich Leben und Ehre zu verdanken haben.“
Das Mädchen schien mir erstaunlicher als alle Heldinnen, die in den von mir gelesenen Romanen mir als Wunder hingestellt worden waren! Mir kam es vor, als würde ich von ihr mit einer Frechheit sondergleichen gefoppt. Ich glaubte, sie wollte mich von neuem in ihre Ketten schmieden, und obgleich ich mir daraus nichts machte, beschloß ich doch, die edle Handlung zu vollbringen, die sie von mir erwartete und deren sie nur mich allein für fähig hielt. Sie fühlte sich ihres Erfolges sicher. Aber in welcher Schule hatte sie das Menschenherz kennengelernt? Durch Romanlesen! Es gibt vielleicht etliche, deren Lesen viele junge Leute zugrunde richtet; aber ganz gewiß lernen sie durch das Lesen guter Romane angenehme Manieren und gesellige Tugenden.
Ich entschloß mich also, dem Mädchen die Gefälligkeit zu erweisen, die sie von mir erwartete, und benutzte beim Schlafengehen einen günstigen Augenblick, um dem Doktor zu sagen, mein Gewissen nötige mich zu der Bitte, von mir nicht zu verlangen, daß ich dem Vater Mancia beichte; ich möchte aber in dieser Beziehung nicht anders handeln als meine Kameraden. Der Doktor antwortete mir freundlich, er begreife meine Gründe und werde uns in die Kirche des heiligen Antonius führen; zum Zeichen der Dankbarkeit küßte ich ihm die Hand.
Da also am nächsten Tage alles nach Bettinas Wünschen ging, sah ich sie mit dem Ausdruck der Zufriedenheit auf ihren Zügen sich zu Tisch setzen.
Am Nachmittag mußte ich mich wegen einer Verletzung am Fuß zu Bett legen; der Doktor hatte seine Zöglinge in die Kirche begleitet; so war also Bettina allein. Sie benutzte den Augenblick, suchte mich in meinem Zimmer auf und setzte sich auf mein Bett. Ich hatte erwartet, daß sie kommen würde, und da ich nun sah, daß der Augenblick einer mir nicht unerwünschten großen Aussprache endlich da war, so empfing ich ihren Besuch mit Vergnügen.
Zuvörderst sagte sie mir, ich wäre hoffentlich nicht böse, daß sie die Gelegenheit ergriffe, mit mir zu sprechen.
„Nein“, antwortete ich, „denn Sie verschaffen mir dadurch die Gelegenheit, Ihnen zu sagen, daß die Gefühle, die ich für Sie hege, rein freundschaftliche sind; Sie können also sicher sein, daß Sie in Zukunft keinerlei Beunruhigung von mir zu befürchten haben. Machen Sie also, Bettina, was Sie wollen; denn um anders zu handeln, müßte ich verliebt in Sie sein, und ich bin es nicht mehr. Sie haben in einem Augenblick die schöne Leidenschaft, die Sie mir eingeflößt hatten, im Keim erstickt. Als ich nach der von Cordiani erlittenen Mißhandlung wieder in meinem Zimmer war, habe ich Sie zuerst gehaßt; bald aber verwandelte der Haß sich in Verachtung, und als ich allmählich ruhig wurde, entwickelte sich aus der Verachtung eine vollkommene Gleichgültigkeit; auch diese Gleichgültigkeit entschwand, als ich sah, wessen Ihr Geist fähig ist. Ich bin Ihr Freund geworden, ich verzeihe Ihnen Ihre Schwächen, und nachdem ich mich gewöhnt habe, Sie so zu sehen wie Sie sind, habe ich von Ihrer Klugheit die beste Meinung bekommen. Ich bin selber von ihr angeführt worden, aber das macht nichts; Ihre Klugheit ist nun einmal da, sie ist überraschend, göttlich; ich liebe sie, ich bewundere sie, und mich dünkt, ich bin Ihnen schuldig, Ihre Klugheit zu ehren, indem ich Ihnen selber die reinste Freundschaft weihe. Vergelten Sie mir diese: seien Sie wahr, aufrichtig und machen Sie keine Umschweife. Genug jetzt der Narrenpossen! Denn Sie haben bei mir bereits erreicht, was Sie nur erwarten konnten. Schon der Gedanke an Liebe widerstrebt mir; denn ich kann nur lieben, wenn ich sicher bin, daß ich allein geliebt werde. Mögen Sie dies dumme Zartgefühl meiner Jugend zuschreiben; es ist einmal so und kann nicht anders sein. Sie haben mir geschrieben, Sie sprächen nicht mehr mit Cordiani. Wenn ich an diesem Bruch schuld bin, so tut mir das leid, und Ihre Ehre verlangt, glaube ich, daß Sie sich wieder versöhnen; in Zukunft werde ich mich hüten, ihm auch nur im geringsten im Wege zu stehen. Und bedenken Sie noch eins: wenn Sie ihn durch dieselben Verführungskünste in sich verliebt gemacht haben, die Sie gegen mich anwandten, so haben Sie doppelt unrecht, denn wenn er Sie liebt, so haben Sie ihn vielleicht unglücklich gemacht.“
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