Als ich wieder auf meinem Zimmer war und mich zu Bett legen wollte, fand ich in meiner Nachtmütze einen Zettel mit folgenden Worten:
„Entweder kommen Sie als Mädchen verkleidet mit mir auf den Ball oder Sie sollen etwas sehen, worüber Sie weinen werden.“
Ich wartete, bis der Doktor eingeschlafen war, und schrieb dann meine Antwort an sie nieder:
„Ich werde nicht auf den Ball gehen, denn ich bin fest entschlossen, jede Gelegenheit zu vermeiden, wobei ich mit Ihnen allein sein könnte. Sie drohen mir, ich solle etwas Furchtbares sehen; ich traue Ihnen wohl zu, daß Sie Ihr Wort halten werden; aber ich bitte Sie: schonen Sie meines Herzens, denn ich liebe Sie, wie wenn Sie meine Schwester wären. Ich habe Ihnen verziehen, liebe Bettina, und ich will alles vergessen. Anbei ein Brief, den Sie gewiß mit Freuden wieder in Ihren Händen sehen werden. Sie sehen, welcher Gefahr Sie sich ausgesetzt haben, indem Sie ihn in Ihrer Tasche auf dem Bett liegen ließen. Daß ich ihn Ihnen zurückgebe, muß Sie von meiner Freundschaft überzeugen.“
Bettina wird für wahnsinnig gehalten. – Vater Mancia – Die Pocken – Meine Abreise von Padua
Bettina mußte in Verzweiflung sein, da sie nicht wußte, in welche Hände ihr Brief gefallen sein konnte; indem ich sie aus ihrer Unruhe erlöste, gab ich ihr also einen sehr hohen Freundschaftsbeweis.
Aber mein Edelmut, der sie von einer bitteren Sorge befreite, mußte ihr eine neue, ebenso bittere bereiten: sie wußte jetzt, daß ich Herr über ihr Geheimnis war. Cordianis Brief war ganz unzweideutig; er lieferte den Augenschein, daß sie ihn allnächtlich empfing, und damit wurde das Märchen hinfällig, das sie vielleicht sich zurechtgelegt hatte, um mich auf eine falsche Spur zu lenken. Ich fühlte dies, und da ich sie gerne nach Möglichkeit beruhigen wollte, ging ich am Morgen an ihr Bett und übergab ihr den Brief und meine Antwort.
Die Klugheit des Mädchens hatte ihr meine Achtung gewonnen, ich konnte sie nicht mehr verachten. Ich sah in ihr nur noch ein Geschöpf, das durch sein Temperament verführt worden war. Sie war mannstoll, und man konnte sie darum nur beklagen, soweit die Folgen in Betracht kamen. Da ich die ganze Sache jetzt im richtigen Licht zu sehen glaubte, hatte ich mich als vernünftiger Junge und nicht als gekränkter Liebhaber damit abgefunden. Sie hatte zu erröten, nicht ich. Ich hatte nur noch einen Wunsch, nämlich den, herauszubringen, ob die beiden Feltrini, Cordianis Freunde, ebenfalls Anteil an ihren Huldbeweisen gehabt hätten.
Bettina trug den ganzen Tag eine sehr lustige Stimmung zur Schau. Am Abend kleidete sie sich an, um auf den Ball zu gehen; plötzlich aber nötigte ein wirkliches oder erheucheltes Unwohlsein sie, sich zu Bett zu legen; das ganze Haus geriet darob in Aufregung. Ich, der ich von allem Bescheid wußte, machte mich auf neue und noch traurigere Auftritte gefaßt; denn ich hatte ein Übergewicht über sie gewonnen, das ihrer Eitelkeit unerträglich war. Ich muß jedoch hier bekennen, daß ich trotz dieser ausgezeichneten Schule, die ich schon vor meinen Jünglingsjahren durchmachte und die mir zur Agide für die Zukunft hätte dienen sollen, mein ganzes Leben lang von den Frauen genasführt worden bin. Vor zwölf Jahren würde ich in Wien, hätte mich nicht mein Schutzengel davor bewahrt, ein junges Brauseköpfchen geheiratet haben, in das ich mich verliebt hatte. Jetzt, da ich zweiundsiebzig Jahre alt bin, glaube ich mich vor derartigen Tollheiten sicher; aber leider ist gerade das mein Kummer.
Am andern Morgen war die ganze Familie untröstlich; denn der Teufel, von dem Bettina besessen war, hatte sich ihrer Vernunft bemächtigt. Der Doktor sagte mir, sie müsse doch wohl besessen sein, denn allem Anschein nach hätte sie als Wahnsinnige den Vater Prospero nicht so schlecht behandeln können. Er entschloß sich, sie dem Vater Mancia anzuvertrauen.
Dies war ein als Teufelsbeschwörer berühmter Jacobiner (also vom Dominikanerorden), der im Rufe stand, daß seine Kraft noch niemals bei einem behexten Mädchen versagt hätte.
Es war Sonntag. Bettina hatte gut gegessen und war den ganzen Tag verrückt gewesen. Gegen Mitternacht kam ihr Vater nach Hause, nach seiner Gewohnheit den Tasso singend und so betrunken, daß er nicht mehr grade stehen konnte. Er trat an Bettinas Bett, umarmte sie zärtlich und sagte: „Du bist nicht verrückt, mein Kind.“
Sie antwortete ihm: „Du bist nicht betrunken.“
„Du bist besessen, mein liebes Kind.“
„Ja, Vater; und Ihr seid der einzige, der mich heilen kann.“
„Gut; ich bin dazu bereit.“
Hierauf beginnt unser Schuster wie ein Theologe zu sprechen, er redet über die Kraft des Glaubens und des Vatersegens. Er wirft seinen Mantel ab, nimmt ein Kruzifix in die eine Hand, legt die andere seiner Tochter auf den Kopf und beginnt so komisch mit dem Teufel zu reden, daß sogar seine dumme, sonst immer traurige und zänkische Frau vor Lachen sich den Bauch halten muß. Die einzigen, die nicht lachten, waren die beiden Handelnden, und grade ihr Ernst machte die Szene noch spaßhafter. Ich bewunderte Bettina, die sonst überaus lachlustig war und doch jetzt die Selbstüberwindung besaß, ganz ruhig zu bleiben. Doktor Gozzi lachte auch, wünschte aber doch, daß die Posse ein Ende nehme, denn ihm schien, der Unsinn, den sein Vater redete, wäre zugleich eine Verhöhnung der heiligen Teufelsbeschwörung. Der Teufelsbanner wurde wohl schließlich müde; er ging zu Bett, indem er sagte, er sei gewiß, daß der Teufel seine Tochter die ganze Nacht in Ruhe lassen würde.
Am andern Tage kam in dem Augenblick, wo wir vom Tisch aufstanden, Pater Mancia. Der Doktor und die ganze Familie führten ihn ans Bett der Kranken. Ich hatte so viel zu tun, den Mönch anzuschauen, daß ich gewissermaßen ganz außer mir war. Hier sein Porträt:
Von Wuchs war er groß und majestätisch, sein Alter mochte etwa dreißig Jahre sein, er hatte blonde Haare und blaue Augen. Seine Gesichtszüge glichen denen des Apollo von Belvedere, nur fehlten die Merkzeichen des Siegesbewußtseins und der Anmaßung. Seine Haut war blendend weiß, und er war daher sehr blaß; aber diese Blässe schien nur dazu da zu sein, um das Korallenrot seiner Lippen zu heben, die, wenn sie sich öffneten, zwei Perlenreihen sehen ließen. Er war weder mager noch fett, und die Traurigkeit seiner Miene erhöhte noch deren Sanftheit. Er ging langsam, sein Gesichtsausdruck war schüchtern, was darauf schließen ließ, daß er bescheidenen Geistes sei.
Als wir eintraten, schlief Bettina oder tat wenigstens so. Vater Mancia nahm zunächst einen Weihwedel und besprengte sie mit Wasser. Sie öffnete die Augen, sah den Mönch an und schloß sie sofort wieder; bald aber schlug sie sie wieder auf, sah ihn etwas genauer an, legte sich auf den Rücken, ließ ihre Arme herabsinken, neigte lieblich das Köpfchen zur Seite und überließ sich einem Schlummer, der allem Anschein nach überaus süß war.
Der Teufelsbeschwörer zog aus der Tasche Ritual und Stola, die er sich um den Hals hing; hierauf legte er der Schlafenden eine Reliquie auf die Brust und bat uns mit der Miene eines Heiligen, wir möchten alle niederknien, um Gott zu bitten, daß er ihm offenbare, ob die Kranke besessen oder von einer natürlichen Krankheit befallen sei. In dieser Stellung ließ er uns eine halbe Stunde verharren, wobei er ununterbrochen mit leiser Stimme las. Bettina rührte sich nicht.
Schließlich wurde er, glaube ich, müde, diese Rolle zu spielen; er bat den Doktor, ihn unter vier Augen anzuhören. Sie traten in die Kammer, aus der sie eine Viertelstunde später wieder zum Vorschein kamen, als die Tolle ein lautes Gelächter ausstieß. Sobald sie sie eintreten sah, drehte sie ihnen den Rücken zu. Vater Mancia lächelte, tauchte den Wedel zu wiederholten Malen in den Weihwasserkessel, besprengte uns alle reichlich mit dem heiligen Naß und ging.
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