Hochachtungsvoll
„Wie Sie sehen, Frau Marx“, wirft Riethmüller ein, „dieser Hotelier aus Fischen war so sehr hinter der Museumskonzession her, dass er sogar vor Bestechung nicht zurückschreckte.“
„Ach, und die 20000 hat Vasiljevs an Frau Biedermann von der Renommee-Consulting gezahlt.“
„Diese Summe hat Frau Biedermann laut Nachfrage bei der Bank zumindest erhalten.,“ bestätigt der Hauptkommissar. „Ich erinnere mich, als ich Frau Biedermann in Lindau befragen wollte, waren einige Aktenordner in ihrem Büro auf den Boden geworfen worden.“
„Vasiljevs konnte der jungen Frau nicht verzeihen, dass sie einer anderen die Konzession zugesprochen hat. Er wollte bestimmt sein Geld zurück und hat Frau Biedermann entführt und umgebracht. Um keinen Verdacht auf sich lenken zu wollen, hat er sein „nettes“ Schreiben wieder an sich genommen.“
„Aber hat er die Frau auch getötet?“, fragt Marx jetzt wiederum skeptisch. „Und wenn, war es Mord, oder vielleicht ein Unglück.“
„Um das sicher abklären zu können, werden wir im Umfeld des Toten weitere Ermittlungen anstellen. Das Personal in Fischen und seine letzte Lebensabschnittsgefährtin Dr. Bettina Ziebach aus Oberstdorf werden uns dabei sicherlich helfen.“
Maximilian Riethmüller nickt zufrieden: „Das ist dann vorerst eine Aufgabe unserer Landpolizei. Christina, fax noch heute nach Oberstdorf und mach ein bisschen Druck, dass die da in die Pötte kommen!“
Kapitel 3 - Danzig, Häckertor 24.04. 19:06
Er fliegt und fliegt. Robert ist vierzehn, er weilt mit seiner Familie zur Beerdigung irgendeiner Tante in Bogen an der Donau. Sie haben Quartier im Nebengebäude am Stadtplatz bezogen.
Vom Sohn des Sohnes der Toten hat er sich ein Zehn-Gang-Rennrad geliehen. Zu Hause in Bielefeld hatte er nur das gebrauchte, zwanzig Jahre alte Hercules-Fahrrad seines Vaters geerbt. Die Chance war günstig, das Wetter in diesen Frühlingstagen mild und sonnig. Folglich klettert er mit dem neuen Rennrad im Stile eines „Bergflohs” bei der Tour de France den 110 m hohen Bogenberg, den „Heiligen Berg Niederbayerns”, hinauf und rast mit höchstem Gang anschließend mit vollem Tempo, vielleicht siebzig Stundenkilometer, die steile Abfahrt wieder hinunter. Viel zu schnell und plötzlich taucht vor seinen Augen in einer engen Kurve das Stopp-Schild auf. Robert zieht so kräftig er kann an den beiden Handbremsen, doch die greifen nicht. Er ist noch viel zu schnell, als er links in die Kreisstraße St2139 einbiegen will, kommt auf die Gegenfahrbahn. Der von der Donau kommende Traktor kann ebenfalls nicht mehr ausweichen. Robert prallt mit dem Lenker an das Jauchefässchen, wird in die Luft katapultiert, kracht mit der linken Hüfte auf das Fass und fliegt über den zerbeulten Anhänger. Er fliegt und fliegt. Immer noch. Endlich kommt der Graben näher. Er knallt mit der Stirn an den Kilometerstein, den man ausgerechnet hier einzementiert hat. Ganz schnell wird es dunkel, und immer dunkler, Alles um ihn herum wird still, alle Geräusche ersterben.
„Robert!”
Hat ihn jemand gerufen? Die Stille war so schön, so beruhigend, so friedlich. Er versucht sich auf die Seite zu drehen. Vergeblich. Er dreht den Kopf und versucht langsam die Augen zu öffnen. Alles geschieht in Superzeitlupe. Wird es da nicht heller? Doch eine rote Welle schwabt über seine Pupille. Das Gesicht, das sich über ihn beugt, verschwindet.
„Robert! Was ist mit dir?” Björn Ringhut kauert vor dem Ex-Hauptkommissar. Er ist, so schnell er konnte, die hundert Meter zum Häckertor gesprintet. Nur im Unterbewusstsein nimmt er die Passanten wahr, die sich auf die Straße geworfen haben, nachdem się den Knall der Gewehrkugel realisiert haben.
Robert Schibulsky liegt auf dem Bauch. Unter seinem Kopf fließt eine Blutlache über das Kopfsteinpflaster. Endlich bewegt er zumindestens seinen Kopf. Ein Blutstrahl spritzt aus seiner linken Stirn. Durch seinen Aufprall an der Steinmauer des Tores muss die Hauptschlagader des Pensionärs geplatzt sein.
Björn zieht ein Tempo-Taschentuch aus seiner Jacke und presst es auf Schibulskys Schläfe.
In dreißig Metern Entfernung steht ein Krankenwagen vor dem mittelalterlichen Archäologischen Museum (Muzeum Archeologiczne w Gdańsku) in der Mariacka 25. Die beiden Sanitäter, die eigentlich einen älteren Herren abholen sollten, der plötzlich über Kreislaufbeschwerden geklagt hatte, haben die Situation im Häckertor blitzschnell erfasst und eilen zum Verletzten.
„Robert,” schreit Ringhut erneut, „wach auf!” Er holt aus, um den Alten mit leichten Schlägen auf die Backe zu Bewusstsein zu bringen. Aber die beiden Sanitäter sind schneller. „Nix schlagen! Nix machen!”
Ringhut nickt und steht langsam auf. Vom Schock gelähmt lehnt er sich an der Flussseite ans Tor. Die Sanitäter drehen inzwischen den verletzten Kommissar vorsichtig auf die Seite. Er scheint langsam wieder zu sich zu kommen. „Ist das Rennrad noch in Ordnung?” Schibulsky wischt sich selbst das Blut aus den Augenlidern.
„Nix Rennrad! Loch in Kopf von Mauer!” radebricht der ältere der beiden. „Müssen schnell Hospital, Kopfverband!”
Ringhut atmet tief durch. „Was haben Sie gerade gesagt?” Er wartet die Antwort nicht ab, stürzt auf Schibulsky zu und kniet sich wieder vor ihn hin. „Tatsächlich”, konstatiert er mit einem breiten Lächeln. „Kein Einschuss, kein Einschuss!”
Die beiden Sanitäter schauen sich verständnislos an. „Verrückt diese Deutschen!”, flüstert er seinem Partner zu. „Typowy niemiecki!!”
„Można powiedzieć, że znowu!” (Das kannst du laut sagen)”. Der jüngere reicht Schibulsky seine Hand. Der versteht und greift nach ihr. Doch diese Bewegung lässt einen starken Schmerz durch seinen Schädel schließen, und er zuckt zusammen.
„Wir müssen ihn sofort ins Krankenhaus bringen!”, brüllt Ringhut nun die Sanitäter an.
Kapitel 4 - Oberstdorf, Klinik 24.04. 19:25
Die Sonne ist gerade hinter dem Gipfel des 1791 m hohen Himmelsschrofen untergegangen. Der frisch beförderte Polizeihauptmeister Peter Endras, in ganz Oberstdorf jetzt nur noch als „Dorfsheriff“ bekannt, hat sich nach seinem Dienst zu Hause geduscht und eine frische Uniform angezogen. Im dringenden Auftrag seitens der Kriminalpolizei Kempten muss er jetzt Frau Dr. Bettina Ziebach über die Polizeiaktion der vergangenen Nacht informieren. Er hat daher mit ihr telefonisch vereinbart, dass er kurz vor Ende ihrer Dienstzeit in der Klinik in der Trettachstraße vorbeikommt.
Ein letzter prüfender Blick in den Spiegel, noch etwas Paco Rabanne“ Rasierwasser und Parfum aufgelegt, ein Überbleibsel von einem Angebot im Mallorca-Flieger. Er streift sich noch die dunkelgrüne Ausgehjacke über und eilt in den Flur seines Hauses in Reute. Hier kommt ihm gerade sein Vater Toni,, sein Vorgänger als Dorfpolizist, auf der Treppe aus dessen Einliegerwohnung im ersten Stock entgegen.
„Na, Bub, bist du auf Freiers Füßen?“
Peter stoppt wie vom Blitz getroffen seinen Gang. „Hallo, Vater, wie kommst du denn auf diese wahnwitzige Idee?“
„Na, du stinkst ja wie ein Iltis. Und das habe ich bei dir zuletzt vor fünf Jahren gerochen, als du die Bürgermeistertochter Zenzi umgarnen wolltest.“
„Nun hör aber mal auf zu spinnen. Die Geschichte ist doch lange vorbei.“
„Warum hast du dich denn so fein gemacht? Na?“
„Ich habe doch heute Nacht den Mörder gefasst, als er eine wichtige Zeugin zum Schweigen bringen wollte. Das muss ich dem Opfer jetzt sehr schonend beibringen.“
„Ich verstehe schon, Bub, neue Polizeitaktik, immer schön nett und höflich sein: die Polizei, dein Freund und Helfer.“
„Du kannst mich mal.“
„Du mich aber auch.“
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