Robert kracht mit voller Wucht mit seinem Schädel an die Innenkante des Backsteintorbogens. Schlagartig verdunkelt sich die Umgebung. Auch die Umweltgeräusche entfernen sich immer weiter. Alles wird rot, dann schwarz, alles verstummt. Grabesstille. Die Zeit scheint stehen geblieben zu sein.
* * * * *
Björn Ringhut springt athletisch aus dem Schatten des Krantors auf die Długie Pobrzeże, als der Knall der Gewehrkugel an sein Ohr gelangt. Gerade war der Sicherheitschef der CHAT Medical noch entspannt und wartet geduldig auf das Erscheinen seines Partners. Mit größter Zuversicht glaubt er an eine erfolgreiche Mission. Sie würden den entführten Gregor-Maria zu Hohenstein ausfindig machen und schnell wieder in seine Heimat zurückbringen. Und er wird eine unverschämt hohe Belohnung von der Gräfin im Allgäu einkassieren.
Jetzt wird ihm in einer Hundertstelsekunde klar, der Job wird schwerer, viel, viel schwerer. Denn wie es scheint, ist der Gegner gut gewappnet und im Bilde, dass ihm Verfolger auf den Fersen sind.
Genau auf der anderen Seite des Flusses erspähen seine Adleraugen eine Bewegung auf dem Schiff, das vor dem Schifffahrtsmuseum vor Anker liegt. Dort verschwindet ganz langsam gerade der Lauf eines Jagdgewehres hinter dem schwarzen Schornstein des Museumsschiffs „Sołdek“.
Sofort wirft der Sicherheitschef seinen Kopf herum und blickt in Richtung Robert Schibulsky, den er gerade noch am Häckertor gesichtet hatte. „Warum bleibt der Ex-Hauptkommissar denn dort stehen?“, hat Ringhut sich gerade noch gefragt. Doch der liegt jetzt auf dem Asphalt, der Oberkörper dreht sich unter den Torbogen und bleibt regungslos auf dem Rücken liegen.
Ringhut greift unbewusst zu seinem Smartphone und drückt die eingegebene Telefonnummer. Maya Rohwedder ist sofort am Apparat. „Ja, Björn, ich bin ja gleich da. Ich hänge hier noch am „Brama Stągiewna“ im Stau. Aber ich bin bestimmt gleich bei euch am „Krantor“.“
„Stopp erst mal, Maya. Hier gibt es Probleme. Ich glaube, es wurde hier gerade auf Schibulsky geschossen. Der Schütze befindet sich noch am Marinemuseum. Auf der anderen Flussseite. Versuche ihm den Weg abzuschneiden! Ich muss mich jetzt um Schibulsky kümmern!“ Ringhuts Stimme überschlägt sich. Er vergisst, das Handy auszuschalten. Maya vernimmt daher eindeutig, dass ihr Chef nun mit schnellen Schritten läuft.
„Marinemuseum?“, fragt sich Maya, ohne eine Antwort von ihrem Spiegelbild im Rückspiegel des „VARIOmobils“ zu erwarten. Blitzschnell gibt sie in ihr Navi den gesuchten Ort ein. Eine sonore Männerstimme erklärt augenblicklich: „Sie erreichen ihr Fahrziel in dreihundertsechzig Metern.“
„Was für ein Glück!“, ruft Maya und kann kaum glauben, dass sie nur noch rechts in diese Straße einbiegen muss. Sie schert aus der Autoschlange aus, überholt zwei Pkw und biegt mit quietschenden Reifen in die „Szafarnia“- zu Deutsch „Speisekammer“ - ein. Sie rast am Pier des Sportboothafens entlang.
Kurz vor der Brücke zur kleinen Insel „Ołowianka“ („Bleihof“) steigt Maya in die Eisen. Die Räder ihres Trucks blockieren. Das Gefährt kommt gerade zehn Zentimeter vor der Wand des Hotels Üodewils zum Stehen.
Sie hat auf der anderen Seite neben dem Marinemuseum einen Mann erspäht, der mit Jogging-Kleidung und großer Sporttasche gerade in ein Motorboot springt, das neben der kleinen Personenfähre am Ufer liegt.
Der Mann ist mindestens zwei Meter groß, wiegt bestimmt zweieinhalb Zentner, ist aber bei aller Wucht äußerst beweglich und sportlich. Er wirft die Tasche in den Bug des offenen Konsolenboots der Marke „Quicksilver Active 505“. Er startet den Außenbootsmotor der ca. fünf Meter langen Yacht.
Maya Rohwedder springt aus dem Caravan, erkennt aber sofort, dass sie den Hünen nicht aufhalten kann. Daher springt sie zurück in den Wagen, greift sich das lange Blasrohr, das sie sich von einer Abenteuertour am Amazonas als Andenken mitgebracht hat und als einziger persönlicher Gegenstand der Informatik-Studentin eher das Ambiente des Business-Trucks zerstört hatte. Sie schiebt eine Klebstoffpatrone ein und drückt den Peilsender in die weiche Masse, den ihr Chef gerade erst gestern von einem Freund erhalten hatte. Zum Glück hängt alles griffbereit unter dem Armaturenbrett.
Als sie wieder auf die Straße zurückspringt, braust das Motorboot mit dem flüchtenden Mann gerade an ihr vorbei in Richtung „Brama Stągiewna“ („Milchkannentor“).
Maya reißt ihr Blasrohr nach oben, zielt hinter dem Boot her und bläst mit voller Kraft. Trotz des lauten Motorgeräusches kann sie das Ploppen hören, mit dem der Sender am Heck des „Quicksilvers“ auftrifft.
An eine Verfolgung des Bootes ist im Moment wegen des starken Verkehrs nicht zu denken. Aber die Hoffnung bleibt, den Peilsender später wieder auffinden zu können.
Kapitel 2 - Kempten, Polizei 24.04. 19:05
Hauptkommissar Maximilian Riethmüller und seine Assistentin Christina Seitenbacher gehen mit der Staatsanwältin Dr. Angela Marx die Ergebnisse der Hausdurchsuchung in der Fiskina in Fischen und der zugehörigen Wohnung des Tatverdächtigen Herbert Vasiljevs durch, der sich am Nachmittag beim Versuch, sich der Verhaftung zu entziehen, beim vermeintlichen Sprung in die Freiheit tödlich verletzt hatte.
Riethmüller resümiert: „Meine Damen, die Mordfälle in Oberstdorf und Lindau sind meiner Meinung nach aufgeklärt. Folgende Beweisstücke sind zur Aufbewahrung gefunden worden:
Auf dem Dachboden des Kurzentrums wurde eine häufig gebrauchte Armbrust der Marke „Set Recurve Armbrust Desert Hawk® 225 lbs“ gefunden, die laut Eisenschildchen dem „Kantonalschützenverband St. Gallen“ in der benachbarten Schweiz gehörte. Der Vereinsvorsitzende Urs Fröhlichmann hat per Fax bestätigt, dass Herbert Vasiljevs seit fünfzehn Jahren Mitglied im KSV war und vor Jahren für den Verein bei den Schweizer Meisterschaften 2004 in Effretikon hinter dem mehrmaligen Weltmeister Peter Wohlgensinger Vizemeister. geworden ist.“
Angela Marx malt ein Häkchen hinter ihre Aufzeichnung. „Die Tatwaffe ist somit gefunden, Herr Riethmüller?“ Die Skepsis der Staatsanwältin ist berechtigt. Zu oft hat die Sonderkommission im Zuge der Ermittlungen zum Mord am Illersprung vom Februar daneben gelegen.
„Die Untersuchungen der Kriminaltechniker stehen natürlich noch aus, Frau Marx, aber der tödliche Pfeil wird sicherlich Aufschluss darüber geben, ob er von dieser Armbrust abgeschossen wurde.“ Riethmüller blickt zuversichtlich nickend zu seiner Kollegin hinüber.
Christina Seitenbacher ergreift ihre Notizen: „Dieses Schriftstück löst das Rätsel, warum der Sohn des „Dolde“-Wirts, also Maximilian Gruber getötet wurde.“ Sie reicht eine Kopie an Dr. Marx.
Ich, Michael Gruber, Hotelier und Gastwirt im Hotel „Dolde“ zu Oberstdorf, erkläre hiermit, dass ich zu Gunsten des Hoteliers Herbert Vasiljevs, Gastwirt der „Fiskina“ in Fischen auf die mir angetragene Konzession für die Bewirtung im neuen Museumsdorf „Hohenstein“ verzichte.
Auf dem Gesicht der Staatsanwältin zeigt sich endlich ein Anzeichen von Freude. „Und dieses Schreiben haben Sie bei Vasiljevs gefunden?“
„Es lag genauso im Tresor wie dieses Schreiben und ein Kuvert mit zwanzigtausend Euro.“ Seitenbacher reicht auch hierüber eine Kopie über den Schreibtisch.
Werte Frau Biedermann,
ich möchte mich mit dieser kleinen Spende am Aufbau Ihrer kleinen Firma beteiligen. Es ist schön, dass auch heute noch junge und dynamische Frauen wie Sie den großen Schritt in die Selbständigkeit wagen.
Beratungsbüros sind gerade in unserer schnelllebigen Zeit für Konzerne und Großunternehmen alternativlos.
Somit darf ich hoffen, dass Sie meinen bescheidenen Betrieb bei der Auswahl für das Museumsdorf „Hohenstein“ in Oberstdorf nicht vergessen werden.
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