Die Straße schraubt sich den Berg hinauf durch den Wald. Flirrendes Licht fällt durch das Laub der Bäume, deren Schatten Kühle spenden an diesem heißen Sommertag. Hier ist Elisabeth schon oft entlang gefahren. Zusammen mit Lene, als diese noch keinen Führerschein hatte. Zum Reitstall, weil Lene ihr Pferd versorgen musste. Täglich nach der Schule 30 dreißig Kilometer.
Und weil nur der Reitlehrer dort in Frage kam. Später hat Lene bei der Stallarbeit geholfen. Dafür erhielt sie Reitunterricht. Kostenlos. Elisabeth liebte diese Strecke, vor allem an Sonntagen im Sommer, um 4 Uhr morgens, wenn sie Lene zum Turnier fuhr. Nie wieder hat sie solche Sonnenaufgänge gesehen.
An diesem Sommerabend ist sie alleine unterwegs zum Lehrergrillen in einer Grillhütte mitten im Wald, ganz in der Nähe von Lenes ehemaligem Reitstall.
Solche Kontakte müssen sein, sich einlassen, kommunizieren. Das ist Schmierstoff im Schulgetriebe.
Zuerst ein Vortrag in der Grillhütte.
Benni, der Musik- und EDV-Lehrer, lächelt freundlich in Elisabeths Richtung. Da setzt sie sich jetzt mal hin.
Das Thema: Rauchen in der Schule. Ein vergeblicher Kampf. „Be smart, don’t start“, ob dieser Slogan die rauchentschlossenen Jugendlichen beeindruckt? Den rauchfreien Klassen winkt eine Belohnung: Eine Tagesfahrt in die Stadt, in den Zirkus, ins Kino, oder sonst wohin.
Frage: „Wann rauchen Schüler?“ Antwort: „Wenn aus den Schulklokabinen Rauch aufsteigt, haben Schüler darin geraucht.“ Bernd und Karl, der Konrektor, produzieren sich mit Ppower -Ppoint, projizieren einen ausgeklügelten Sanktionsplan an die weiße Leinwand vor der ziegelsteinroten Grillhüttenmauer.
Das sind doch Lehrergrillen! Dass man sich auf diese Art für das Thema engagiert ist vergebliche Liebesmüh. Verbotenes wird erst interessant. Ein Thema, an dem sich die Schüler abarbeiten können. Ein Nebenkriegsschauplatz, der seinen Wert erst durch die Lehrenden erhält.
Anna und Lene haben in ihren Zimmern gekifft. Elisabeth hat Annas CKannabispflanzen toleriert. Besser so, als durch Verbieten den Anschluss zur Drogenszene bahnen, dachte sie sich und hat recht behalten. Das Thema hat sich von selbst erledigt.
Nachdem die Raucherei abgehandelt ist, wird gegrillt. Nicht nur Schnitzel und Würstchen…
Die Lehrer strömen nach draußen in die warme Abendsonne, holen Bier und verteilen sich auf die Bänke vor der Hütte. Sie haben sich viel zu erzählen. Die meisten kennen sich seit Jahren, sehen sich täglich im Lehrerzimmer, aber da ist jeder stets in Eile, nur die wichtigsten Informationen können zwischen zwei Unterrichtsstunden ausgetauscht werden. An diesem Sommerabend im Wald oberhalb des Tals mit dem See ist Zeit für Gespräche ohne Zeitdruck.
Zusammen mit ihren neuen Kolleginnen und Kollegen putzt Elisabeth Gemüse und schält Zwiebeln. Dann lässt sie sich treiben durch Bankreihen, besetzt mit schwatzenden Lehrern. Holt sich ein Bier, eins geht, trotz Auto. Das braucht sie jetzt, um locker zu werden. Da sitzt Herr Stein, den sie vertreten wird. Er hat Krebs. Soll sie ihn ansprechen, sich vorstellen? Wirkt das aufdringlich und störend?
„Hallo, ich bin der Carlo, gefällt es dir hier?“ Carlo hält eine Flasche Bier in der Hand. Lächelt freundlich. Elisabeth schätzt ihn auf 45fünfundvierzig. Orangefarbene
Worker-Jeans, ein selbst gebatiktes blaues Shirt. Die langen blonden Haare hat er zusammengebunden. Typ ewiger Junge.
„Ich bin Elisabeth Schmied-Behrendsen, die neue Krankheitsvertretung für Herrn Stein.“
„Ich mache das schon ziemlich lange, na ja. Musik, Sport und Englisch.“ Musik, das ist ein brandaktueller Anhaltspunkt, denn Anna soll auch Musiklehrerin werden.
„Musik – interessant, dann spielst du ja Klavier!“
„Nee, Perkussionsinstrumente. Da braucht man kein Klavier. Ich habe fünf Kinder. Vier hat meine Frau mit in die Ehe gebracht. Das jüngste, da bin ich der Vater. Gehen alle in die Waldorfschule.“
„Ach, du als Lehrer an einer Staatsschule schickst deine Kinder in eine Privatschule?“
„Das ging eigentlich von meiner Frau aus. Die hatte ihre vier Kinder schon da, als ich sie kennenlernte. Mittlerweile bin ich überzeugt, dass es die richtige Entscheidung war.“
„Meine beiden Töchter waren auch Waldorfschülerinnen. Beide haben dort Abitur gemacht. Bei mir war mein Mann die treibende Kraft. Wir haben vor unserer Entscheidung Seminare in der Waldorfschule besucht. Das hat mich befremdet, diese verblasenen und abgehobenen Theorien. Aber die praktische Arbeit, die hat mich überzeugt. Das Engagement der Lehrer, der nicht nur intellektuell ansprechende Unterricht, die Theateraufführungen, das Schulgebäude, die Gestaltung der Unterrichtsräume. Alles ansprechend, durchdacht und wertig.“
„Na, hier in der Dorfschule habe ich ja das ultimative Kontrastprogramm zur Schule meiner Kinder.
Ich bin noch nicht angekommen im Alltag. Wir waren fünf Wochen auf Jamaika – paradiesisch.“
„Ich wäre auch gerne länger in Spanien geblieben.“ Die leise Stimme gehört zu einer kleinen Frau. Elisabeth hat sie vorher noch nicht bemerkt.
„Relaxen auf einer Finca, ab und zu baden im Meer. Das könnte ich auch wieder mal gebrauchen.“
„Ich war in der Nähe von Madrid, habe mir natürlich den Prado angesehen. Übrigens, ich bin Monika Bäker-Schulz. Ich unterrichte Deutsch und Kunst.“
„Elisabeth Schmied-Behrendsen. Ich bin die Krankheitsvertretung.“
„Die meiste Zeit habe ich im Escorial verbracht. Die Kunstschätze, die Bibliothek, die Deckengemälde, dafür reicht ein Urlaub nicht.“
„Ist das nicht die riesige Klosteranlage in der Nähe von Madrid? Sie wurde von Philipp II. erbaut zu Ehren des Heiligen Laurentius. Der Grundriss hat die Form eines Gitters wie der Feuerrost, den der Heilige Laurentius angeblich freudig bestiegen hat, um sich für seinen Glauben grillen zu lassen.“ Komisch, dass Elisabeth das jetzt einfällt. Frau Bäker-Schulz jedenfalls ist Feuer und Flamme für die Kunst.
Und Carlo? So recht scheint er nicht an diese Schule zu passen. Ob er sich hier wohlfühlt? Ist Carlo gerne Lehrer? Vielleicht ist er auf der Suche nach dem passenden Lebensentwurf in der Schule hängen geblieben. Und hier kann er Musik machen. Sport liegt ihm auch, das geht ohne lange Vorbereitungszeit. Dann die langen Ferien.
Am Freitag mit dem Auto ins Dorf zur Konferenz, denn am Montag beginnt der Unterricht nach den Sommerferien. Elisabeth ist sehr früh aufgebrochen, möchte nicht zu spät kommen. Jetzt ist sie zu früh. Wahrscheinlich sind alle beschäftigt und haben sich viel zu erzählen nach den Ferien.
Elisabeth fährt auf den Aldi-Parkplatz. In diesen Ferien hat sie oft an die Schule gedacht. Elisabeth hat sich gut vorbereitet. Am Gartentisch im Schatten eines Baumes hat sie Schulbücher durchgesehen und viel gelesen.
Interessante Themen finden, überlegen, welcher Stoff zu welcher Jahrgangsgruppe passt und wie man ihn am besten vermittelt, da ist sie in ihrem Element, das gefällt ihr.
„Du hast jetzt Deutsch in meiner neunten Klasse. Am besten reden wir gleich. Die sind schwierig. Schwierig aber leistungsstark. Nicht einfach im Umgang, sehr unruhig. Ständige Unruhe. Die Jungen sind harmlos, noch sehr kindlich. Einige Mädchen sind tonangebend, wortgewandt, provozierend, die können einem ganz schön zusetzen. Du wirst schnell merken, wen ich meine. Ich habe sie rechts und links vorne plaziert, damit ich sie stets im Auge habe. Die Klasse hatte es in den letzten Jahren nicht leicht, ständiger Lehrerwechsel. Ihre jetzige Deutschlehrerin ist im Mutterschaftsurlaub. Während der Schwangerschaft war sie dauernd krank.“
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