Dem Kardinal war bewusst, dass Elaine sich intuitiv sträubte, seine Nachricht wirklich zu verstehen. Er ließ sie reden.
»Ich wollte endlich ein langes Kapitel abschließen. Die Zahlungen an den Fürsten kann man weiter unter ›Monacos Sondersteuer‹ verbuchen. Wie soll das jetzt laufen? Und wer entschädigt uns?«
Kaum hatte Elaine die Frage ausgesprochen, wurde ihr schlagartig heiß. Sie schien ins Bodenlose zu stürzen, schwitzte, und die weiße Seidenbluse klebte an ihrem Rücken. Gleichzeitig fröstelte sie am ganzen Körper, und ihre Hände verkrampften, sodass sie unfähig war, den obersten Knopf der Bluse zu öffnen. Selbst ihr tapferes Lächeln, das sie in schwierigsten Situationen aufsetzen konnte, war erloschen.
»3 Milliarden Dollar sind einfach verschwunden? Kardinal, Sie enthüllen das erst wenige Wochen vor der Rückzahlung und in meiner schwierigen Situation?«, fragte sie entsetzt. »Sie wissen doch sicher schon länger davon?«
Der Kardinal duckte sich tief in den Sessel, versank noch ein Stückchen weiter in sein Schweigen und schien sich darin verstecken zu wollen.
»Wie feige Sie sind«, sagte Elaine ruhig, bevor sie ihrem aufbrodelnden Temperament freien Lauf ließ. »Das lasse ich mir nicht bieten! Auch die Vatikanbank hat weltliche Verpflichtungen, und ich werde keine Mühe scheuen, den Schleier über dieser Misswirtschaft zu lüften! Wer hat sich mit unserem Vermögen die Taschen gefüllt?«
»Von Entschädigung kann keine Rede sein. Meine Abteilung hat das Geld nicht, und wir können es niemals verdienen.« Mit seinem Beschwichtigungsversuch schüttete der Kardinal noch Öl ins Feuer.
»Lächerlich! Der Vatikan ist unermesslich reich.« Elaine scherte sich nicht mehr um Etikette. »Hören Sie auf, mir solchen Quatsch aufzutischen!«
Kardinal Bretone vermied es tunlichst, ihr in die Augen zu schauen. Lautstarke Auseinandersetzungen war er nicht gewohnt, schon gar nicht mit einer Frau. Krampfhaft suchte er nach Argumenten. »Lassen Sie uns das diskret regeln, Madame Volante, bitte.«
»Ich soll den guten Ruf meiner Familie und 3 Milliarden Dollar diskret opfern?«, echauffierte sie sich. »Im Namen des Heiligen Vaters?« Danach stockte sie. Der ›Heilige Vater‹ hallte wie ein Echo durch das Büro, bevor eine bedrückende Stille einsetzte. Plötzlich beugte Elaine sich aufgebracht über den Tisch und schaute dem Kardinal wütend in die Augen. »Ich bestehe darauf, sofort die echten Unterlagen einzusehen! Fünfzig Jahre meines Lebens habe ich …«
Jählings fasste sich Elaine an den Hals, rang um Luft und fiel erschöpft in den Sessel zurück.
Der Kardinal lief um den ovalen Schreibtisch, denn ihr Gesicht sah plötzlich grau aus und wirkte ganz eingefallen.
»Madame, beruhigen Sie sich. Brauchen Sie einen Arzt?« Er reichte ihr ein Wasserglas.
Während sie mit beiden Händen danach griff, flüsterte sie: »Mir wurde auf einmal schwarz vor Augen und übel. Wahrscheinlich rebelliert mein Magen wieder.«
Kardinal Bretone hörte nicht genau hin, legte aber seinen Arm scheinbar fürsorglich um ihre Schulter. Dann stellte er eiskalt die Frage, die ihm seit Monaten unter den Nägeln brannte. »Wer ist Ihr Gläubiger? Es gibt für alles im Leben eine Lösung.«
Elaines Herz hämmerte. Sie konzentrierte sich darauf, tief ein und aus zu atmen. Dreimal. Viermal. Bis sie wieder logisch denken konnte. »Sie wissen es nicht?«, stellte sie wie nebenbei fest, trank das Wasser aus und wischte sich den leichten Schweißfilm mit einem Taschentuch von der Stirn. »Können Sie bitte das Fenster öffnen?«
»Natürlich.«
Der kurze Moment ihrer Erschöpfung ermutigte den Kardinal. »Der Vatikan kennt nur den Teil des Vertrags, der unsere Einbindung in die Verwaltung regelt. Besteht eine Verhandlungsmöglichkeit?«
»Nein«, antwortete Elaine bestimmt. »Ich muss pünktlich zahlen, das hat mein Vater immer wieder betont.«
»Madame Volante, wenn Sie etwas Geld zuschießen, können wir die Hälfte bezahlen. Das ist nicht wenig.«
»Wir, Kardinal? Und die Hälfte ist nicht genug.« Frustriert klappte sie den Ordner zu und legte die Brille wieder ins Etui zurück. »Ich verschwende meine Zeit nicht länger mit manipulierten Dokumenten. Verstehen Sie eigentlich, wie viel Geld 3 Milliarden Dollar wirklich sind?«
»Madame, lassen Sie mich doch die Verhandlungen übernehmen. Der Vatikan kann Angelegenheiten auf spezielle Art regeln.« In diesem Moment ging Kardinal Bretone durch den Kopf, dass sie die echten Abrechnungen auf gar keinen Fall zu Gesicht bekommen durfte. Wie konnte er sie bloß davon abbringen?
»Ah ja?«, erwiderte Elaine spitzzüngig. »Es gibt keine Möglichkeit auszusteigen, nicht unmittelbar vor Vertragsende. Ich will nicht den Teufel an die Wand malen, schon gar nicht in diesen heiligen Hallen, aber die Situation könnte sich zu einem internationalen Konflikt ausweiten. Wie konnten Sie das nur zulassen?«
»Elaine, Sie müssen mir glauben. Ich habe das Geld nicht veruntreut!«, bat er und nannte sie beim Vornamen, um die geschäftliche Vertrautheit wieder herzustellen.
»Welchen Unterschied macht das für mich?«
»Für unsere Zusammenarbeit sehr wohl. Jeder muss im Leben irgendwann Zugeständnisse machen. Ihre Familie profitierte Jahrzehnte von diesem Vertrag. Ich versuche zu helfen, arbeiten Sie bitte mit mir zusammen«, appellierte Kardinal Bretone noch einmal inständig.
»Soll das ein Witz sein? Ich soll Ihnen helfen, nachdem Sie Unsummen veruntreut haben?«
Der Kardinal gewann seine Selbstsicherheit zurück, denn er hatte das Schlimmste hinter sich gebracht. Den lodernden Zorn in Elaines Augen ignorierte er. »Ich habe keinen Dollar unterschlagen und in den vergangenen zehn Jahren dafür gesorgt, dass heute zumindest 1,3 Milliarden auf dem Konto sind. Wo liegt das Problem, mir zu sagen, wer damals der Kreditgeber war? Haben Sie etwas zu verbergen?«
»Was erlauben Sie sich!« Elaine beharrte darauf, den Gläubiger nicht zu kennen. Ihr Vertrauen zu Kardinal Bretone hatte sich in den vergangenen Minuten in Luft aufgelöst. »Die Rückzahlung muss termingerecht über die Bühne gehen. Sehen Sie es als Schadenbegrenzung für unsere Familie, den Vatikan und Monaco.«
Der Kardinal versprach, mit dem Chef der Vatikanbank nochmals alle Möglichkeiten durchzusprechen, die fehlenden Milliarden aufzutreiben.
»Können Sie sich vorstellen, wie oft ich mich in den letzten Monaten verzweifelt gefragt habe, warum Gott nicht helfend eingreift? Warum erlitt mein Sohn einen schweren Schlaganfall? Mein kleiner Bruder Marcel starb, als sich die Dinge zu bessern schienen, und nun dieses finanzielle Desaster. Jedes Mal dachte ich, schlimmer kann es nicht mehr kommen, und doch gibt es immer noch eine Steigerung. Ich habe niemandem etwas getan.«
»Deswegen muss ich wissen, wer der Gläubiger ist, verstehen Sie das bitte«, wiederholte der Kardinal. Ihm war nicht entgangen, wie schnell sich Elaine wieder unter Kontrolle hatte und geschickt seinen männlichen Beschützerinstinkt beschwor.
»Wir drehen uns im Kreis.«
Beide schwiegen.
»Sie haben Angst, Kardinal Umberto Maria Emanuele Bretone«, sagte sie und betonte bewusst jede Silbe seines langen Namens.
»Das bestreite ich nicht«, gab er zu. »Lassen Sie uns bitte für heute diese schwierige Diskussion beenden. Wir sollten beide in Ruhe nochmals darüber nachdenken. Sie müssten noch die Dokumente der Geldanlagen der letzten Monate abzeichnen.«
»In Ruhe? Kardinal, mir bleiben nur wenige Wochen! Und jetzt, wo Sie Ihr Problem auf mich abgewälzt haben, soll ich noch Papiere unterschreiben?« Elaines Brust hob und senkte sich aufgeregt. »Welche Seilschaft greift dieses Mal in die Kasse?«, schrillte ihre Stimme erzürnt auf.
»Madame, bitte.« Kardinal Bretone suchte nach Worten, um die Wogen zu glätten, als sich Elaine plötzlich im Sessel nach vorn beugte und ihre Arme auf den Bauch drückte. Erneut sprang er auf, füllte das Wasserglas und reichte es ihr. Dann griff er mit fahrigen Händen nach dem Telefon. »Ich rufe jetzt den Arzt!«
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