1 ...7 8 9 11 12 13 ...26 »Weil du nie eine zu sein brauchtest. Du stammst aus einer reichen Familie, was dich schon vorneweg überlegen macht.«
»Wie meinst du das?«, fragte Elaine.
»Andere räumen dir ein angeborenes Privileg auf eine bevorzugte Behandlung ein.«
»Und du glaubst, das macht mein Leben einfacher? Jeder hat sein Päckchen zu tragen. Es sind nur andere Sorgen.« Elaine schüttelte schmunzelnd den Kopf, genoss noch einen Trüffel und versuchte ihrerseits, der Freundin ein Kompliment zu machen. »Schau dich an! Du hattest drei Ehemänner, hast vier Kinder großgezogen, gemodelt, dich als Designerin probiert, mit dem verrückten Antonio zusammen im Duett gesungen. Wie oft hast du dich neu erfunden?«
»Das war der Lauf meines Lebens und nicht immer lustig.«
»Ich wollte dich doch nicht kritisieren, im Gegenteil«, beschwichtigte Elaine die Freundin sofort. »Ich bewundere dich!«
Als Béatrice sie forschend anschaute, ergänzte sie: »Was ich sagen wollte: Für mich lebst du authentisch. Du scherst dich wenig darum, was andere denken.«
»Du etwa?«
Elaine wiegte nachdenklich den Kopf. »Wie man’s nimmt. Wer hat nach deinen Finanzen geschaut?«
»Was soll denn diese Frage?«
»Keine Ahnung, wie du alles geregelt hast. Als Freundin habe ich mir öfter Sorgen gemacht.«
»Worüber?«
»Dass dein, entschuldige den Ausdruck, von außen chaotisch wirkendes Leben kippen könnte.«
Béatrice schluckte.
Hatte sie wieder etwas Falsches gesagt? Elaine war angespannt und müde. Im Hinterkopf dachte sie über den Streit mit Claudia nach, sorgte sich um Alessandro und versuchte den Verlust von 3 Milliarden Dollar zu verdauen. Béatrices Antwort, dass sie eben aus dem Vollen geschöpft oder sich eingeschränkt hätte, je nach Stand der Dinge, und außerdem immer der Maxime gefolgt sei, dass sich vom Breitreden nichts löse, überhörte sie. Erst als Béatrice die Hand auf ihren Arm legte und sagte: »Naja, und dann war ich in der glücklichen Situation, dass mir meine beste Freundin 100.000 Dollar geschenkt hat, als es wirklich schlimm war. Weißt du noch?«, kehrte sie wieder in die Wirklichkeit zurück.
»Nein, das habe ich in dem Moment vergessen, als ich es dir gegeben habe«, antwortete Elaine und riss sich zusammen, um der Freundin wirklich zuzuhören.
»Das Leben geht vorwärts, solange du vorwärts gehst. Ich habe dich selten so verkrampft erlebt. Magst du noch einen Tee?«
»Gern.« Elaine war erleichtert, als Béatrice von ihrem letzten Mann zu schwärmen begann.
»Ich hatte solches Glück mit meinem Benedict. Er war gebildet, ein feiner Mensch …«
Plötzlich fragte sich Elaine, ob sie im nächsten Februar überhaupt noch leben würde. Wann würden die Schmerzen einsetzen und die letzte Phase der Krankheit beginnen? Ob sie doch endlich mit der vorgeschlagenen Therapie anfangen sollte?
»Seinen wundervollen Namen du Marignac trage ich jeden Tag mit Stolz.«
Erneut ertappte sich Elaine, wie sie abgeschweift war und warf geschickt ein, dass sie Béatrice um diese große Liebe im Alter beneidet hatte.
»Weißt du, ich vermisse Benedict und sehne mich in seine Arme zurück. Selbst wenn es wie ein Klischee klingt, ich bedauere, ihn erst spät im Leben getroffen zu haben.«
»Ihr hattet zehn Jahre, oder?«
»Dreizehn wundervolle Jahre. Ich weiß noch genau, wie schockiert du warst, als ich Benedict mit Sechsundsechzig geheiratet habe, nachdem wir gerade mal drei Jahre zusammen waren.«
»Jesus Maria, du warst vielleicht ein verrücktes Huhn. In dem Alter mit einem weißen Kleid aufs Standesamt zu gehen!«
»Für Benedict war es die erste Hochzeit.«
»Ich sehe es wie heute vor mir: Er mit seiner roten Rose im Revers, dazu der schwarze Royce-Rolls voller Blumen, die verschlungenen B&B für eure Vornamen auf der Kühlerhaube, und wie er dich angehimmelt hat«, erinnerte sich Elaine und zauberte mit diesen Worten ein Lächeln in das Gesicht von Béatrice.
»Benedict habe ich tief geliebt. Diese Ehe war kein Machtkampf. Nur wir zwei. Kinder, Beruf, Alltagsstress lagen hinter uns. Sex war selten, aber ausgesprochen befriedigend. La dolce vita vom Feinsten, herrlich unkompliziert. Ich vermisse unser gemeinsames Leben, die Konzertbesuche, Diskussionen bis in die Nacht hinein über Bücher und Filme, lange Spaziergänge, schöne Reisen ...«
Elaine nahm einen Keks vom Teller und knabberte nachdenklich daran.
»Sag nun, was liegt dir so schwer auf dem Herzen?«, fragte Béatrice noch einmal. »Du naschst selten so viel.«
»Ich bewundere, wie du Sachen ansprichst und anpackst, die dir wichtig erscheinen. Deine Geradlinigkeit hat mich als junge Mutter gerettet. Hattest du manchmal Bedenken?«
»Scherzt du jetzt? Jeder zweifelt ab und an. Du weißt doch, wie bei uns zu Hause die Fetzen geflogen sind! Eifersucht auf beiden Seiten. Den Kindern gegenüber hatte ich natürlich ein schlechtes Gewissen, aber das konnte ich nicht zeigen. Sie sollten so unbelastet wie möglich aufwachsen.«
»Wem sagst du das, Béatrice.«
»Du weichst schon wieder meiner Frage aus. Was ist los? Ist etwas mit Alessandro? Ich dachte, es geht ihm besser?«
»Geht es zum Glück auch. Ich habe dir schon am Telefon erzählt, dass er in die Reha-Abteilung überwiesen wurde. Gestern konnte ich eine ausgezeichnete Therapeutin für ihn engagieren. Sie werden an seiner Feinmotorik arbeiten. Ich hoffe, dass Alessandro in einigen Wochen wieder allein essen oder duschen kann. Nächste Woche kommen eine Logopädin und ein Krankengymnast dazu. Es wird langsam, aber Geduld ist nicht die Stärke meines Sohnes.«
Beide schwiegen und hingen ihren eigenen Gedanken nach. Bis Elaine endlich erzählte, dass diesmal das Vermächtnis der Familie auf dem Spiel stand. Und dass sie selbst eigentlich nur die Häuser und Wohnungen verwalte, die ihr Vater gebaut hatte, und nichts Eigenes erschaffen habe. Der Anspruch in Familiendynastien wie ihrer sei hoch, und Erfolg werde als selbstverständlich betrachtet.
»Unser Leben scheint auf den ersten Blick glamourös, und es stimmt, wenn du materiellen Wohlstand damit meinst, aber privat bleibt wenig Spielraum. Du bist ein Rad im Getriebe und musst geschäftlich und auf gesellschaftlichem Parkett perfekt funktionieren.«
»Du hast das Vermögen nicht durchgebracht, sondern es erhalten und vermehrt. Worauf willst du hinaus?«
»In den nächsten Monaten habe ich mein wichtigstes Versprechen zu erfüllen und muss vorher ein verzwicktes, zugleich hochbrisantes Problem lösen.«
»Und?«
»Ich zweifle, ob ich das schaffe.«
»Du hast doch bisher alles in deinem Leben geschafft, warum bist du plötzlich so verzagt?!«
Elaine wich dem Blick der Freundin aus. »Ich bin müde, und der Druck ist riesig.«
»Du führst jetzt die Familie. Das, zusammen mit deinem Erfolg, macht dich unantastbar. Befreie dich endlich vom Schatten deines Vaters. Die Zeiten haben sich geändert.«
»Ich wünschte, es wäre so einfach. Viele Dinge sind eng ineinander verflochten. Ich muss das Imperium erhalten und möchte es den Kindern möglichst unbelastet übergeben.«
»Mein Gott, Elaine, wenige Familien auf dieser Welt sind so vermögend wie ihr, und mit Geld kannst du bis auf Krankheiten doch alles regeln. Wer wird dein Nachfolger, Alessandro? Bist du wegen seiner labilen Gesundheit in Sorge?«
»Das auch, ja. Glaube mir, Béatrice, die Welt wird täglich verrückter, und jeder sucht eiskalt seinen Vorteil.«
»Diese Binsenweisheit ist nicht neu. Elaine, wenn du etwas loswerden willst, sprich darüber. Du weißt, ich helfe dir, wo ich kann. Redest du über Immobilien, Geld, den Vatikan, Männer oder hast du heute einfach deinen Moralischen?«
»Bist du sauer auf mich?«
»Natürlich nicht, aber lass dir nicht jedes Wort aus der Nase ziehen.«
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