Kardinal Bretone nickte.
»Und ihr gehören die Immobilien, abgesehen davon, was sie noch alles in und außerhalb von Monaco besitzt. Vielleicht löst sie das Problem aus der Familienkasse? Die ist mit Bestimmtheit reichlich gefüllt.«
»Ausgeschlossen. Die Dame hat Haare auf den Zähnen, und das meine ich mit allem Respekt.«
»Was dann, Kardinal?«
Jetzt kamen sie endlich zum Knackpunkt. Kardinal Bretone senkte die Stimme bedeutungsvoll. »Elaine Volante weiß, dass 20 Prozent der Einnahmen an das Fürstenhaus fließen. Wollen Sie den Skandal riskieren, dass die Vatikanbank unter Umständen fragwürdige Gelder verwaltet hat, während mit dem anderen Teil des Geldes Monacos Luxuswohnungen gebaut wurden« – er ergänzte, nun seinerseits sarkastisch – »und die Nummer Eins im Gegenzug kräftig für die Baugenehmigung kassiert hat? Das finanzielle Problem liegt auf meiner Seite, das moralische Dilemma und die Gefahr eines politischen Skandals genauso auf der des amtierenden Fürsten.«
Thierry Louron verschlug es zunächst die Sprache, dann konterte er: »Jetzt verstehe ich, warum Sie so weit ausgeholt haben. Diplomatisch eingefädelt, Kardinal. Hinter dem Begriff Vatikanbank verstecken Sie Misswirtschaft und Korruption, ohne jemanden persönlich verantwortlich zu machen. Gleichzeitig steht der Vatikan für die machtvollste religiöse Institution, die man besser nicht angreift. Zusätzlich schüren Sie geschickt die Möglichkeit skandalöser Enthüllungen rund um das Fürstentum. Und nun soll der kleine Anwalt seine Kontakte nutzen und die anrüchige Detektivarbeit erledigen? Im Namen des Heiligen Vaters, der seine Hände in Unschuld wäscht?«
Das anfängliche Geplauder war harten Worten gewichen, Thierrys Gesicht war rot vor Wut.
»Lassen Sie den Zynismus. Muss ich Sie wirklich daran erinnern, dass wir damit Ihrem Klienten helfen, das Ansehen seines Kleinstaats zu schützen? Stellen Sie sich die Schlagzeilen vor, wenn die Presse davon erfahren sollte. Das Problem muss irgendwie gelöst werden.«
»Ein reichlich hypokritischer Ansatz für meinen Geschmack, nachdem vom ›Treuhänder‹ 3 Milliarden Dollar veruntreut wurden. Und Sie fordern obendrein, dass die Opfer ausschließlich von anderen gebracht werden, vor allem von den Volantes.« Thierry Louron, der immer noch stand, stützte die Arme auf den Tisch und beugte sich zu Kardinal Bretone. »Nach Monacos Gesetzgebung kann der Fürst ohne öffentliche Ausschreibung über Bauprojekte entscheiden.« Dann lächelte er süffisant. »Aber ich stimme Ihnen zu, dass diese Details nie an die Öffentlichkeit gelangen dürfen.«
»Danke, Thierry.« Der Kardinal schenkte noch einmal Wein nach. Er hatte geschickt den Rahmen vorgegeben, inzwischen ging es bereits um Feinheiten, und das hatte der Anwalt verstanden.
»Was wissen Sie über die Hierarchie in der Familie Volante? Wer trifft Entscheidungen? Wie können wir gezielt Druck auszuüben?«
»Bewundernswert, wie rasch Ihre Kompetenz und Ihr hoch gelobtes Verhandlungsgeschick aufscheinen«, unterbrach ihn Kardinal Bretone. »Leider kann ich keine der Fragen beantworten. Vielleicht können Sie über Elaine Volantes Anwalt, Jacques Verrier, Einzelheiten in Erfahrung bringen, sozusagen unter Kollegen?«
»Schwierig, Dr. Verrier ist für seine absolute Diskretion bekannt.«
»Dann bleibt mir keine Wahl, als beim nächsten Treffen mit Elaine das Terrain zu sondieren.«
»Auf keinen Fall! Wir müssen uns sofort um die Familie kümmern.«
Der Kardinal schwieg. Er hatte die Eitelkeit des Anwalts durch Komplimente angestachelt, und die Androhung eines Skandals für das Fürstentum hatte das Übrige getan.
Thierry Louron überlegte, zog das Nikotin tief in die Lungen. »Der Fürst entscheidet gerade über die Auftragsvergabe für die Erweiterung von Port Hercule. Es wird die letzte Landaufschüttung im Meer vor Monaco sein. Große internationale Firmen, private Konsortien und die Familie Volante kämpfen hart um diesen lukrativen Auftrag.« Er drückte die Zigarette aus, trank einen Schluck Wein und taxierte den Kardinal ungeniert. »Hier könnte man ansetzen. Eine komplizierte Angelegenheit, aber ich werde versuchen, etwas zu arrangieren. Versprechen kann ich allerdings nichts.«
Kardinal Bretone atmete auf. Sein Informant hatte nicht übertrieben. Thierry Louron liebte politische Pokerspiele und hatte längst durchschaut, dass bei den schwindelerregenden Summen auch für ihn garantiert etwas herausspringen würde. Ein Intrigant par excellence. Aber die Geschichte kam in seinem Sinne ins Rollen ...
3
Siebenundsiebzig
11. Januar 2014
»Oma, du musst über den Bildschirm wischen und die Figur durch das Labyrinth rollen lassen«, feixte der fünfjährige Luca. »Schau, das ist doch ganz einfach.« Er hielt sein iPad hoch, damit Elaine das Display besser sehen konnte, und spielte sich geschickt in die nächsthöhere Ebene. Dabei folgten seine Augen konzentriert den Bewegungen der drolligen Figur, während seine kleinen Finger geschickt über den Screen flogen. »Wieso verstehst du das nicht?«
»Ach, Luca, das geht mir zu schnell. Aber ich freue mich, dass du Spaß damit hast.« Elaine drückte ihren Enkel liebevoll. »Wie heißt das Spiel?«
»Thinkroll. Was war dein Lieblingsspiel, Oma?«
»Als ich so alt wie du war, gab es noch nicht mal einen Fernseher, ein iPad war unvorstellbar.«
»Das hat Papa auch erzählt. Womit hast du denn gespielt?«
Elaine erzählte Luca von ihrer Puppe, die sie von ihrem Großvater als kleines Mädchen zum Geburtstag geschenkt bekommen hatte. »Greta bedeutete damals die Welt für mich und sitzt heute noch in meinem Schlafzimmer.«
»Was, du hast nur mit einer Puppe gespielt?« Er verdrehte die Augen und kicherte: »Das verstehen nur Mädchen.«
Elaine streichelte über seinen dunklen Lockenschopf. »Ich habe mit Greta gekocht, ihr Kleidung ausgesucht oder Einkaufen gespielt. Hat diese runde Figur mit dem Schnauzbart einen Namen?«
»Der blaue Avokiddo heißt Benny.«
»Avokiddo?«
»Na, ein Avatar-Kid, Oma.«
Lucas Erwiderung, als wäre sie begriffsstutzig, ließ Elaine schmunzeln. Die freudige Erregung, mit der er spielte, seine ehrlichen Reaktionen und sein grenzenloses Vertrauen ins Leben rührten sie. Wie wundervoll musste sich das anfühlen? Sie konnte sich an ihrem jüngsten Enkel nicht sattsehen. Die dichten und lang geschwungenen Wimpern über den braunen Augen, seine samtweiche Haut, die noch unschuldig duftete, und die frappierende Ähnlichkeit mit seinem Vater berührten ihr Herz jedes Mal wieder. Sie würde alles tun, um diesen lieben, klugen Jungen mit seiner unschuldigen Seele vor den Schlechtigkeiten dieser Welt zu beschützen. Natürlich war dies illusorisch, trotzdem inspirierte Luca sie und Elaine wünschte sich sehnsüchtig, seinen Weg noch so lange wie möglich begleiten zu dürfen.
Luca, der nichts von den schwermütigen Gedanken seiner Großmutter ahnte, war schon wieder ins Spiel versunken. »Puh, das Wurmloch-Level ist schwer.« Er schaute sich um. »Papa, hilfst du mir?«
Alessandro unterbrach die Unterhaltung mit Elaines Freundin und nahm seinen Sohn auf den Schoß. Glücklich beobachtete Elaine die beiden und wünschte, sie könnte die Zeit anhalten.
»Zeig mal her«, sagte Alessandro. Gemeinsam schafften sie es im dritten Versuch, den Wurmlöchern auszuweichen, den Avokiddo durch das Labyrinth zu rollen und den Ausgang zu erreichen. Sie gaben sich High-five. Glücklich lief Luca zu seiner älteren Schwester.
Elaine nutzte den günstigen Moment, als sie mit Alessandro allein war, und bat ihn, am Montag in ihr Büro zu kommen.
»Da bin ich ziemlich voll mit Terminen. Wir müssten uns schon um 8 Uhr treffen.«
»Das passt. Du solltest eine Stunde einplanen.«
Читать дальше