Freitag, 21. Februar 2014
Jacques Verrier nutzte die Tage bis zu Elaines Rückkehr nach Monaco, um sich mit der Struktur der Vatikanbank und den rechtlichen Rahmenbedingungen zu beschäftigten. Je tiefer er in die Materie eindrang, desto besorgter wurde er. Mittlerweile sah er mit Bangen dem Treffen entgegen.
Elaine erwartete ihren Anwalt im privaten Teil ihres Büros, der wie ein Salon mit Sofas und einem Sessel in harmonierenden weiß-beigen Farbtönen, Glastisch, Teppich und moderner Kunst an den Wänden eingerichtet war. Jacques gefiel die familiäre Atmosphäre hier, und er bewunderte jedes Mal die kleine Giacometti-Skulptur, die als einziges Schmuckstück auf der grau lackierten Kommode stand.
Am Morgen hatte Elaine ihre Sekretärin gebeten, Petits Fours mit Schokolade einzukaufen. Sie kannte Jacques’ Vorliebe für Süßes zum Espresso und wusste, wie sehr er solche Aufmerksamkeiten schätzte.
Jacques Verrier überließ Elaine den Sessel und setzte sich auf das Sofa. Zu gerne hätte er gewusst, warum sie ihm nicht von dem Verlust der 3 Milliarden und den Problemen mit Kardinal Bretone erzählt hatte. Doch er hielt sich respektvoll zurück, denn nur selten hatte Elaine in den letzten Jahrzehnten unbedacht gehandelt. Sie plauderten ein wenig, und er naschte von den kleinen Köstlichkeiten. Als ihm auffiel, dass Elaine Kräutertee statt Espresso trank, fragte er, ob es ihr gut gehe. Sie nickte, und er begann daraufhin von seinem Treffen mit Kardinal Bretone in Rom zu berichten.
Elaine hörte ihm konzentriert zu. Erst als ihr Anwalt die Worte von Kardinal Bretone wiederholte, der eine Verbindung zwischen Dr. Schachtmann und versteckten Nazigeldern herstellte, unterbrach sie ihn empört.
»Nazigelder? Welche Frechheit, mir das ohne Beweis zu unterstellen!«, regte sie sich auf. »Kardinal Bretone versucht hinter meinem Rücken Informationen zu bekommen, die ich ihm angeblich vorenthalten habe? Was denkt er sich eigentlich dabei?«
»Ich heiße sein Verhalten auf gar keinen Fall gut, aber der Kardinal will oder muss das Problem irgendwie lösen. Also versucht er, um jeden Preis die nötigen Angaben zu bekommen.«
»Hätten sie die Gelder nicht veruntreut, bräuchte er die nicht. Eine schwache Ausrede.«
Jacques nickte. »Da hast du natürlich recht.«
»Welche Bank in Monaco will meine Immobilien refinanzieren?«
»Die Banca Nazionale di Roma.«
Schweigend schauten sie sich an.
»Ich sorge mich um dich, Elaine. Warum hast du bei einem so schwerwiegenden Problem nicht angerufen?«
»Ach Jacques, die letzten Wochen waren schwierig.«
Da der Anwalt seit vielen Jahren mehr als nur Sympathie für Elaine hegte, vermied er es, sie zu kritisieren. Ihr Wohl lag ihm im wahrsten Sinne des Wortes am Herzen. Wenn sie gelegentlich zusammen zum Essen gingen, sich über die Geschehnisse in Monaco und der Welt austauschten oder private Sorgen teilten, war er glücklich. Zu gern hätte Jacques Verrier die Beziehung zu Elaine vertieft, war aber erfahren genug, sich zu gedulden. Nach dem Schlaganfall von Alessandro und dem Tod von Marcel erschien ihm der Zeitpunkt ungünstiger denn je – leider.
»Warst du deswegen in der Schweiz?«
»Vielleicht will man mich unter Umständen auch einfach nur erpressen?«, antwortete Elaine mit einer Gegenfrage, die den Anwalt überraschte.
»Wieso sollte der Kardinal das versuchen?«
»Weil unsere Familie Geheimnisse mit dem Vatikan teilt.«
»Um deine Frage zu beantworten, müsste ich wissen, wovon du redest. Wieso hast du die Geheimnisse nie erwähnt?« Ihm war unbehaglich zumute.
»Weil es sonst keine mehr wären.«
Eine gewisse Logik konnte Jacques der Antwort nicht absprechen, trotzdem verengten sich seine Augen. Er war enttäuscht. Um dies zu verbergen, versicherte er, dass Kardinal Bretone diese Gespräche keinesfalls führen würde, wäre er nicht ernsthaft um die Folgen des möglichen Skandals für die Vatikanbank und das Fürstentum besorgt. Dann griff er nach einem weiteren Gebäck und haderte innerlich mit sich. Wenn er Elaine nicht endlich seine Gefühle gestand, würde er sich immer wieder verletzt fühlen. Schließlich stand es ihm nicht auf die Stirn geschrieben, dass sich seine Gedanken fast nur um sie drehten … Eine Spur engagierter als sonst fügte er deshalb hinzu: »Elaine, ich sorge mich sehr um dich. Was wird da wirklich gespielt? Und warum zieht der Kardinal Thierry Louron in diese heikle Geschichte hinein? Kennst du ihn näher? Der spielt doch trotz seines Mandats weit unter dem Niveau des Kardinals.«
»Nur vom Hörensagen. Einer der privaten Anwälte des Fürsten, der sich um dessen verzwickte private Angelegenheiten kümmert. Da gab es in der Vergangenheit mehr als genug Frauen, Gerüchte um uneheliche Kinder und andere Geschichten.«
»Das soll uns heute nicht tangieren. Und welchen möglichen Skandal meinte der Kardinal?«
Elaine seufzte und winkte ab. »Dann kann ich meine letzten Hoffnungen begraben, dass sich alles irgendwie regeln lässt?«
»Die Gelder wurden definitiv veruntreut.«
»Weißt du, allein über den Verlust von 3 Milliarden Dollar nachzudenken, zieht mir die letzte Kraft aus dem Körper.«
»Das glaube ich dir sofort. Wie lange arbeitest du schon mit Kardinal Bretone? Es scheint immerhin eine komplizierte Geschichte zu sein, willst du mich nicht einweihen?«
Elaine stand auf und stellte sich vor das Sideboard. Sie fuhr mit dem Zeigefinger einige Male über die schmale Giacometti-Skulptur. Dann drehte sie sich wieder zu Jacques und erzählte ihm, dass sie für ihren jährlichen Routine-Check in die Schweiz gefahren sei. Um in Ruhe und mit Abstand vom Alltagsgeschäft bei Spaziergängen im Schnee und an der frischen Luft nachzudenken, hätte sie drei Tage angehängt. »Ich bin gezwungen, in den nächsten Wochen wichtige Entscheidungen zu treffen, weil ich keine andere Wahl habe, als den Kredit bis zum 20. Mai zurückzuzahlen. Die Frage ist, was ich in drei Monaten gegen den Vatikan unternehmen kann oder wo ich das Geld hernehme. Und ich muss dringend meine Nachfolge regeln.«
Jacques nickte verständnisvoll. »Eine Menge. Und, hast du dich erholt?«
»Nein. Ich konnte nicht abschalten«, antwortete Elaine und fügte schnell hinzu, dass der gigantische Betrug des Vatikans für sie als Katholikin unfassbar sei. »Wo bleiben die Werte, die von der Kirche beständig gepredigt werden?«
Jacques hatte natürlich bemerkt, dass sie seiner Frage ausgewichen war. Da er sich nicht in einer wenig zielführenden Diskussion verlieren wollte, kam er auf den Punkt zu sprechen, der ihn als Anwalt beschäftigte. »Ich habe den Sachverhalt gründlich geprüft, um deine rechtlichen Möglichkeiten abzuklären. Ohne den exakten Vertragsinhalt zu kennen, ist das allerdings schwierig.«
Er machte eine Pause in der Hoffnung, Elaine würde sich endlich erklären, doch die forderte nur ungeduldig: »Nun sag doch schon!«
»Es sieht nicht gut aus.« Jacques Verrier blätterte durch seine Notizen und legte dar, dass die Statuten und die zusätzlichen Abkommen mit dem italienischen Staat die Vatikanbank zu einem Offshore-Finanzplatz machten, der sich jeglicher Kontrolle entzog. Die Vatikanbank gebe den Mitarbeitern freie Hand bei allen Finanzaktivitäten, garantiere strengste Geheimhaltung und Straffreiheit. Die Angestellten der Bank könnten innerhalb ihrer Mauern nach Belieben schalten und walten.
»Und keiner kontrolliert sie? Schockierend!« Elaine setzte sich kopfschüttelnd wieder in den Sessel.
»Leider keine Übertreibung, sondern Realität. Nach der Interpretation des Kassationsgerichts können Mitarbeiter des Heiligen Stuhls in Italien weder festgenommen noch vor Gericht gestellt werden. Sie genießen strafrechtliche Immunität.«
»Ich habe also auf legalem Weg nicht die Spur einer Chance?«
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