"Bleibt wohl nur der illegale Markt", kommentierte Milo.
"Ja, aber auch die müssen ihr Material ja irgendwoher bekommen", gab Clive zu bedenken. "Die Kollegen der Militärpolizei ermitteln, ob vielleicht irgendeine Manipulation vorliegt. Außerdem überprüfen wir den Hersteller. Auch dort könnte so ein System abgezweigt worden sein. Aber das ist im Moment auch nicht so wichtig. Wir haben nämlich die Firma, die den Helikopter umgebaut hat. Dazu sind nur eine Handvoll Unternehmen in der Lage."
"Und?", hakte ich nach.
"Clarkson Ltd., Chicago. Gegen die Firma wird jetzt wegen Verstoßes gegen verschiedene Waffengesetze ermittelt."
Unsere Kollegen vom zuständigen Field Office haben im übrigen herausgekriegt, wer den Auftrag gab. Es waren zwei Männer. George L. Torrence und Zeb Robbins. Beides ehemalige Elitesoldaten, die in einer Hubschrauberstaffel dienten, bevor sie wegen verschiedener Vergehen unehrenhaft entlassen wurden. Die beiden haben für einen Barbesitzer in Chicago als Rausschmeißer und Schuldeneintreiber gearbeitet, bis ein gewisser Sonny Martinez sie in den Big Apple holte."
"Sonny Martinez?", echote ich. "Der Name kommt mir bekannt vor..."
"Das ist der Besitzer eines Oben-ohne-Schuppens namens BUENA SUERTE", klärte Clive uns auf. "Gehört zum Syndikat der Exilkubaner."
"Jetzt wissen wir also, wo du dich in deiner Freizeit herumtreibst, Jesse!", stichelte Milo.
Ich hob die Augenbrauen. "Du meinst doch mit Freizeit nicht etwa die zwanzig Minuten, in denen ich mich morgens rasiere und frühstücke!"
"Wenn man dich so hört, könnte man ja denken, du hättest einen tollen Job als Galeerensklave - und nicht beim FBI", kommentierte Clive. Dann fuhr er fort: "Ich muss das noch mit Mister McKee absprechen, aber ich denke, wir werden uns Sonny Martinez mal vorknöpfen und ihm einige Fragen stellen."
Ich atmete tief durch.
"Da werde ich ja leider außen vor bleiben müssen, wenn ich meine Rolle als Brent Atkinson nochmal spielen möchte!"
Clive nickte.
"Was würde Atkinson jetzt tun, Jesse? Allein auf sich gestellt, ohne das geringste Vertrauen zum FBI, zur Staatsanwaltschaft oder zu sonstwen..."
"Er würde versuchen, sich selbst eine neue Identität zu besorgen", meinte ich.
"Wie wäre es, wenn du das jetzt auch tust? AUTONOMY hat Verbindung zur Unterwelt und wenn 'Atkinson' sich einen neuen Pass besorgen will, wird sich das herumsprechen! Blitzschnell! Einen so heißen Kunden dürften die Fälscher von New York lange nicht gehabt haben!"
"Ein guter Vorschlag!", meinte ich. "Wenn wir Glück haben, hat AUTONOMY eine Art Kopfgeld auf Atkinson ausgesetzt."
"Dann würde sein Auftauchen unsere Freunde vielleicht so aufschrecken, wir wir das gerne hätten!", vermutete Milo.
"Ich brauche genügend Kleingeld, das ich für eine Anzahlung auf den Tisch legen kann", sagte ich. "Schließlich sind Passfälscher keine Sozialarbeiter. Die machen keinen Handschlag umsonst."
"Gehen wir zu Mister McKee", forderte Clive. "Ich wollte vorher eigentlich nur wissen, ob du noch im Spiel bist!"
"Bin ich", antwortete ich. "An die Rolle des Köders habe ich mich schon richtig gewöhnt!"
MISTER MCKEE ENTSCHIED, dass die Strip-Bar von Sonny Martinez zunächst nur beobachtet wurde, in der Hoffnung, dass Zeb Robbins oder sein Partner dort auftauchten.
Außerdem wurden Martinez' Telefonanschlüsse abgehört. Seit der Einführung der neuen Anti-Terror-Gesetze, galt eine entsprechende richterliche Genehmigung jeweils für sämtliche Telefon-, Email- und Fax-Verbindungen einer bestimmten Person. Das erleichterte unseren Job in diesem Fall erheblich.
Wir waren überzeugt davon, dass Robbins und Torrence in dem Helikopter gesessen hatten, von dem aus der Anschlag auf Atkinson verübt worden war.
Und wenn wir Glück hatten, hatten sie ihren alten Arbeitgeber noch nicht ganz vergessen.
Ich machte mich inzwischen auf den Weg zu Jack Anselmo in Yonkers, von dem wir durch Informanten wussten, dass er unter anderem Geschäfte mit falschen Pässen vermittelte.
Leider war ihm das bislang zu beweisen gewesen.
Anselmo betrieb eine Reihe von Coffee Shops, in die er das Geld, dass er mit seinen illegalen Geschäften verdient hatte, investierte.
Seine Zentrale befand sich in der Richmond Street in Yonkers.
Ich parkte den unscheinbaren metallicgrauen Ford unserer Fahrbereitschaft vor dem Laden, stieg aus und betrat ein paar Augenblicke später das Innere des Coffee Shops.
Milo war mir mit ein paar Kollegen auf den Fersen.
Allerdings in gebührendem Abstand. Schließlich sollte niemand bemerken, dass mir jemand gefolgt war. Sie warteten darauf, dass ich ihnen über das Mikro an meinem Hemdkragen das Signal zum Eingreifen gab.
Eine Sicherheitsmaßnahme, auf der Mister McKee bestanden hatte.
Der Coffee Shop war gut besucht.
Stimmengewirr erfüllte den Raum.
Ich ging zum Tresen und sprach den Mann dahinter an, der eine Art Uniform mit Namensschild trug. George Bruno stand darauf. Ein Mitvierziger mit dunklem Teint und graudurchwirktem Vollbart.
"Was wollen Sie? Am besten Sie setzen sich, ich komme schon zu Ihnen, Sir!"
"Ich will Mister Anselmo sprechen", sagte ich.
"Mister Anselmo ist nicht hier. Bedaure."
Ich packte George Bruno am Kragen, zog ihn über den Tresen zu mir heran. Einige der Gäste waren bereits verstummt und blickten zu uns herüber. Mir war das nur recht. Schließlich wollte ich keineswegs unbemerkt bleiben.
"Sie rufen jetzt sofort Mister Anselmo!", forderte ich.
Bruno schluckte.
"Und was soll ich ihm bitte sagen?"
"Sagen Sie ihm, dass ein gewisser Brent Atkinson in Schwierigkeiten ist und seine Hilfe braucht!"
Bruno nickte. "Okay, das werde ich ihm sagen", murmelte er.
Ich ließ ihn los. Er ging zum Telefon, nahm ab und betätigte eine Kurzwahltaste. Wahrscheinlich eine hausinterne Verbindung.
Zweimal kurz hintereinander sagte er "In Ordnung!", dann legte er auf und wandte sich wieder mir zu.
"Mister Anselmo ist in seinem Büro."
"Wo finde ich das?"
"Sie werden abgeholt!"
Bruno grinste dreckig.
Er deutete auf einen Nebenausgang, aus dem jetzt ein breitschultriger Kerl trat, der mich mindestens um anderthalb Köpfe überragte.
Der kobaltblaue Anzug, den er trug musste eine Sonderanfertigung sein. Das dunkle Haar war so kurzgeschoren, dass man die Kopfhaut sehen konnte. Links trug er einen Ohrring, der zu seinem ansonsten sehr konservativen Outfit nicht recht passte.
Der Koloss trat neben mich, wandte sich an Bruno.
"Ist er das?"
"Ja."
Er sah mich an. "Folgen Sie mir!"
Wir verließen durch den Nebeneingang den Raum, durchschritten dann einen schmalen Korridor.
Nach kaum einem Dutzend Schritten wirbelte der Kerl plötzlich herum, packte mich und drückte mich brutal gegen die Wand. Er hatte enorme Kräfte und einen Griff, der mich an einen Schraubstock erinnerte.
Er tastete mich nach Waffen ab.
Aber damit hatte ich gerechnet.
Meine SIG steckte ausnahmsweise mal nicht am Gürtel, sondern in einem Spezialholster, das ich an der Wade trug.
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