Lene Levi
Nordwest Bestial
Ein Fall für Kommissar Rieken
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Inhaltsverzeichnis
Titel Lene Levi Nordwest Bestial Ein Fall für Kommissar Rieken Dieses ebook wurde erstellt bei
Prolog
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Epilog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Impressum neobooks
Südoldenburg ist flach, die Wiesen feucht und die Dörfer gepflegt. Aber hinter den unauffälligen Hausfassaden verbergen sich erst die eigentlichen Wahrzeichen der Region: langgezogene Stallbaracken mit winzigen Fensteröffnungen und Belüftungskaminen. Die Menschen hier gelten als bodenständig, katholisch und geschäftstüchtig. Durch Massentierhaltung haben es einige von ihnen zu beachtlichem Reichtum gebracht. Nirgendwo sonst sind die Fleischproduzenten so unumschränkte Herrscher über Wasser, Boden und Luft wie hier. Im Oldenburger Münsterland scheint die Welt noch in Ordnung, bis sich eines Tages herausstellt, das Geld doch stinkt!
An einem regnerischen Dezembertag kommt es zu einem Zwischenfall. Ein niederländisches Agrarunternehmerehepaar wird tot in einem mit Jauche gefüllten Whirlpool aufgefunden. Dies ruft den Oldenburger Kriminalhauptkommissar Robert Rieken auf den Plan. Die Ermittler stoßen am Tatort auf Indizien, die auf einen möglichen Rachemord einer militanten Tierbefreiungsorganisation hindeuten. Dennoch trifft Kommissar Rieken bei seinen weiteren Ermittlungen auf eine Mauer des Schweigens. Selbst der Chef des Vechtaer Polizeikommissariats zeigt dem Kollegen aus der Diaspora zunächst die kalte Schulter, bis kurz darauf auch ein katholischer Offizialatsrat von mutmaßlichen Tierrechtsaktivisten bedroht wird. Nicht nur ein heftiger Wintersturm drängt die Polizisten zur Eile, sondern bald auch der nächste bestialisch ausgeführte Mord.
„Nordwest Bestial“ ist der zweite Fall des Oldenburger Kriminalisten-Teams um Robert Rieken, Jan Onken und der Rechtsmedizinerin Dr. Lin Quan. Der erste Band dieser Reihe „Tödlicher Nordwestwind“ avancierte schnell nach seinem Erscheinen zum Bestseller und wurde von vielen LeserInnen mit positiven Rezensionen bewertet.
Der Menschensohn wird seine Engel aussenden,
und sie werden aus seinem Reich alle zusammenholen,
die andere verführt und Gottes Gesetz übertreten haben,
und werden sie in den Ofen werfen,
in dem das Feuer brennt.
- Matthäus 13,42
Der Augenblick an dem sich sein bewegliches Ziel nur einen kurzen Moment lang zeigte, musste ihm wie eine glückliche Fügung erschienen sein. Ein maskierter Schütze hatte Ende Oktober mit einem PSG1-Gewehr vom gegenüberliegenden Bahndamm aus auf ein geöffnetes Bürofenster der Oldenburger Polizeiinspektion gezielt. Mit nur einem einzigen Präzisionsschuss aus etwa 60 Meter Entfernung hatte das Projektil den Kopf Peter Selbys auseinandergefetzt. Das Attentat geschah direkt vor den Augen der Polizeibeamten. Natürlich lag der Verdacht nahe, dass es sich bei dem unbekannten Gewehrschützen um einen Berufskiller handeln könnte, der im Auftrag einer kriminellen Organisation tätig geworden war. Sein Job war es, einen geständigen Mörder rechtzeitig zum Schweigen zu bringen, noch bevor dieser eine belastende Aussage zu Protokoll geben könnte.
Hauptkommissar Robert Rieken bewegte sich mit seiner Hypothese auf unsicherem Terrain, aber er hatte im Augenblick keine andere Wahl. Es gab nur Wahrscheinlichkeiten, Annahmen und Spekulationen, mit denen er sich befassen konnte. Es existierte kein einziger Zeuge, der den Schützen vor, während oder nach der Tat gesehen hatte. Auch die aufgefundenen Beweismittel waren für gesicherte Erkenntnisse viel zu mickrig, nahezu unbrauchbar. Nicht einmal Indizien gab es, auf die er seine hypothetischen Erklärungsversuche hätte aufbauen, geschweige denn stützen könnte. Allein die eigene Intuition sagte ihm, dass sich dahinter das Organisierte Verbrechen verbarg.
Er hatte immer wieder versucht den Tathergang aus der Position des Schützen durchzuspielen, sowohl in seiner Phantasie als auch am Tatort selbst.
Robert stellte jede seiner Bewegungen nach. Er hob den Arm, als hätte er selbst ein Gewehr im Anschlag, legte seinen Finger an den imaginären Abzug, nahm sein Ziel ins Visier, krümmte seinen rechten Zeigefinger und drückte dann ab. Jedes Mal blickte er nach dieser Versuchsanordnung hinüber zum Fenster seines eigenen Büros. Die Jalousien waren herabgelassen; schon seit Wochen. Anschließend sah er sich jedes Mal um, ging ein paar Schritte neben dem Gleisbett entlang, blieb dann vor dem wildgewachsenen Gebüsch stehen und verharrte erneut davor, regungslos.
Die Deckung war nahezu ideal, von anderen möglichen Beobachtungspositionen aus nicht einsehbar. Aus diesem Versteck hatte der Schütze durch die Zieleinrichtung seines Gewehrs das Geschehen im Polizeigebäude im Auge behalten. Bis sich ihm diese einmalige Chance bot. Und die hatte er genutzt.
Am Ende war Robert immer wieder am gleichen Punkt angelangt. Die gesammelten Erkenntnisse konnten ihm nicht die Frage nach der Identität des Scharfschützen beantworten. Er warf erneut einen Blick hinüber zum Polizeigebäude.
Noch bevor damals die Beamten an diesem regnerischen Oktobertag die steile Böschung der Bahnanlage erklimmen konnten, war der Sniper längst von den Gleisen verschwunden und hatte nicht einmal die Patronenhülse zurückgelassen.
Er hatte sich nach dem Attentat zunächst für vierzehn Tage beurlauben lassen. Aber aus den vierzehn Tagen wurden drei Wochen, dann vier. Er fühlte sich irgendwie mitschuldig, obwohl er die Umstände der Vernehmung in seinem Büro gar nicht zu verantworten hatte.
All das hatte sich tief in sein Unterbewusstsein eingegraben und ließ ihn seitdem keine einzige Minute mehr los. Sein psychischer Zustand war einige Wochen lang angeschlagen gewesen und er hatte bereits ernsthaft darüber nachgedacht, den Dienst bei der Kripo zu quittieren. Aber einfach so alles hinschmeißen, war eigentlich nie sein Ding gewesen. Er hoffte, die Zeit würde ihm darüber hinweghelfen, über seine berufliche Zukunft mitentscheiden, aber diese Hoffnung stellte sich als Trugschluss heraus. Jetzt neigte sich das Jahr seinem Ende entgegen und er wollte wieder in den Dienst zurück, das war ihm soweit klar.
Robert stand am Küchenfenster und blickte gedankenversunken hinaus in den Garten. Er erinnerte sich an das, was sein alter Schulfreund Jülf ihm erzählt hatte. Dass sein Großvater, als er noch ein junger und völlig unbekannter Künstler gewesen war, einmal bei Ebbe eine Rolle mit bemalten Leinwänden hinaus ins Dangaster Tief geworfen haben soll, weil er sie für misslungene Werke gehalten hatte. Aber mit der nächsten Flut wurde alles wieder an den Strand zurückgespült. Er hatte es noch einmal versucht, aber mit dem gleichen Ergebnis. Die Bilder kamen zurück.
So ähnlich erging es ihm jetzt selbst. Er versuchte die Erinnerungen aus seinem Gedächtnis zu tilgen, mit denen er glaubte, nicht fertig zu werden, aber sie tauchten, wie damals die Gemälde, immer wieder auf. Sogar jetzt in diesem Augenblick als er am Fenster stand und in den Garten sah, tauchten sie vor seinem inneren Auge auf.
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