Aber natürlich bin ich immer noch nicht tot. Das heißt nun Mal so - toter Mann eben. Aber natürlich ist man dann nicht tot. Und auch nicht töter als tot, wie meine Enkelin immer behauptet, obwohl ich ihr schon ausführlich erklärt habe, dass das nun Mal nicht geht. Tot ist nun Mal tot. Eine Steigerung ist nicht möglich. Jedenfalls denke ich das. Ganz sicher bin ich aber nicht. Schließlich war ich noch nicht tot. Oder vielleicht doch und weiß es nur nicht mehr? Egal, denke ich und bleibe dabei, dass toter Mann jedenfalls nicht heißt, dass der Mann im Meer tot ist. Ich weiß das und eigentlich weiß das jeder. Nur die beiden Mädel in ihren Kajaks aus Plastik wissen das nicht. Kann ja sein, dass die Leiche eben gar nicht geschwommen ist, sondern nur so getan hat. Jedenfalls umkreisen mich die Beiden wieder. Sie sind zwar ganz leise jetzt, aber ich merke es trotzdem. Wie soll ich unter solchen Umständen bloß die nötige Ruhe finden, um mir Gedanken darüber zu machen, wie ich eine lustige und schöne Geschichte schreiben kann? Ich denke mir, es wird das Beste sein, ich bleibe einfach auf dem Rücken liegen und stelle mich tot. Irgendwann werden die beiden Kajaknixen schon merken, dass ich mich nicht rühre und gelangweilt von dannen ziehen. Irgendwann mag ja stimmen, aber wann ist irgendwann? Im Moment sieht es jedenfalls nicht danach aus, dass den Beiden in ihren Kajaks aus Plastik langweilig wird. Jedenfalls kurven die weiter um mich herum. Leise zwar, damit ich nichts höre, aber ich merke es immer noch. Schließlich bin ich ja gar nicht tot, sondern spiele nur toter Mann. Aber die beiden Nixen können sich das anscheinend nicht vorstellen und kurven weiter um mich herum. Was soll ich bloß machen, damit sie mich in Ruhe lassen?! Ich könnte ja wieder ein wenig schwimmen, aber das hat ja schon beim ersten Mal nicht funktioniert. Vielleicht besser einfach tauchen?! Ich merke, wie ich anfange, ein wenig genervt zu sein. Vielleicht sollte ich das tatsächlich machen, tauchen. Am besten direkt unter das Plastikboot von einer dieser Nixen und sie einfach aus dem Boot kippen. Dann wären sie jedenfalls beschäftigt und ich hätte wieder meine Ruhe und könnte nachdenken. Irgendwie lustig wäre das schon. Nur weiß ich nicht, ob meine Tochter das auch so lustig finden würde. Aber ich fände das lustig, sehr sogar. Aber ich lasse es trotzdem. Was sollen schließlich die Leute denken. Stellen Sie sich das Mal praktisch vor, ein alter Mann spielt im Meer toter Mann nur damit die armen kleinen Nixen angelockt werden. Kaum sind sie nahe genug heran, da werden sie aus dem Boot gekippt. Gar nicht auszudenken, was sich die Leute denken würden. Also ziehe ich es vor, mich aus dem Meer zu verziehen und woanders nachzudenken. Ich könnte ja auch einfach spazieren gehen, denke ich mir. Der Strand ist schließlich lang hier im Norden von Dänemark. Da wird sich schon irgendwo ein ruhiges Plätzchen finden lassen, wo ich nachdenken kann.
Strandspaziergang - die Vorbereitung
Zum Glück für mich scheint heute die Sonne. Da brauche ich nicht so lange, um zu trocknen, wenn ich aus dem Wasser komme, denke ich so bei mir und liege damit absolut richtig, wie sich wenig später zeigen wird. Dass ich mich von der Sonne trocknen lassen muss, das liegt nun wieder daran, dass ich etwas zu spontan auf die Idee gekommen bin, mich auf dem Wasser liegend um eine Idee für eine lustige und schöne Geschichte umzutun. Dabei ist mir unglücklicherweise ein kleiner Fehler unterlaufen. Ich habe vergessen, mir ein Handtuch mitzunehmen. Meine Badehose habe ich auch vergessen. Aber das war nicht so schlimm. Wozu gibt es Unterhosen. Früher sahen die genauso aus wie Badehosen. Also merkt das sowieso keiner, habe ich mir gedacht und es einfach dabei belassen und bin unauffällig ins Wasser hinein und genauso auch wieder heraus gehüpft. Für meinen Strandspaziergang ist das allerdings nicht ganz so toll, denke ich mir und entschließe mich dazu, kurzentschlossen in Hose und Hemd zu schlüpfen. Also in umgekehrter Reihenfolge natürlich. Schließlich bin ich ein bisschen schüchtern und finde es unangemessen, mich einfach meiner Badehose zu entledigen, ohne zuvor meine Blößen zu verdecken. Dazu verwende ich in der Regel dann mein Handtuch. Aber da ich das ja nun dummerweise vergessen habe, muss mein Hemd herhalten, um mich zumindest notdürftig zu bedecken. Da ich ja auch meine Badehose nicht dabei habe, hat das den Vorteil, dass ich nun einfach gleich in meine Strandhose schlüpfen kann, sobald ich mich meiner Unterhose entledigt habe. Da ja nun einmal zum Glück die Sonne scheint, ist auch nicht damit zu rechnen, dass sich während des Strandspaziergangs irgendwelche wichtigen Körperteile unterkühlen. Leider passiert mir bei der Umsetzung dieses ausgeklügelten Vorhabens denn doch noch ein leichtes Missgeschick. Das liegt daran, dass ich bei meinen Überlegungen die Neugier der beiden Hunde nicht berücksichtigt habe, die den beiden Frauen gehören, die ebenfalls die Gunst der Stunde nutzen wollen, um sich am Strand liegend zu bräunen. Was soll ich lange um den heißen Brei herumreden? Ausgerechnet in dem Moment, als ich mich mehr oder weniger elegant meiner Unterhose entledigt hatte, haben die beiden Sonnenhungrigen für einen Augenblick ihre Hunde aus den Augen verloren. Einer ist ziemlich groß, der andere eher klein. So ganz genau habe ich nicht hingeschaut. Jedenfalls haben die natürlich nichts Besseres zu tun, als sich meiner Unterhose zu bemächtigen, sobald diese den Boden berührt hat. Ich hätte ohne mit der Wimper zu zucken natürlich den Verlust dieses Kleidungsstückes einfach abhaken und so tun können, als ob mich das alles nichts angeht. Sollen die Köter doch mit so einer blöden Unterhose herumtollen, wenn ihnen danach ist. Was geht mich das an? Aber natürlich fällt mir diese Lösung in genau diesem Augenblick nicht ein. Statt dessen versuche ich also auf meinem rechten Bein balancierend, dass sich bereits in meiner Strandhose befindet, mit einem schnellen Griff meiner linken Hand nach meiner Unterhose, diese den Hunden zu entreißen. Es kommt, wie es kommen muss. Ich lege mich der Länge nach hin. Die Hunde eilen mit meiner Unterhose davon und ich habe die ungeteilte Aufmerksamkeit der beiden Sonnenhungrigen, die sich bräunen wollen. Denen ist das Benehmen ihrer Hunde offensichtlich äußerst unangenehm. Sie rufen und pfeifen den Hunden hinterher. Nur leider lassen die sich dadurch nicht beeindrucken und balgen sich weiter um meine Unterhose. Die beiden Sonnenhungrigen wenden sich nunmehr dem alten Mann zu, der mit seinem einen Bein in der Hose im Sand liegt und verzweifelt versucht, wieder aufzustehen, bevor die beiden Damen ihm dabei behilflich sein können. Der alte Mann bin übrigens ich und ich möchte zu meiner Ehrenrettung hier festhalten, dass es mir trotzdem gelungen ist. Zwar nur ganz knapp, aber immerhin rechtzeitig. Nur kann das nicht verhindern, dass die beiden Damen meine nur unvollkommen bedeckte Blöße wahrnehmen und sich davon erschreckt abwenden. Mir ist das absolut peinlich. Trotzdem gelingt es mir nicht, unerkannt im Erdboden zu versinken. Also nutze ich die Gelegenheit, einigermaßen unerkannt zu entkommen und suche das Weite. Auf der Flucht gelingt es mir mit Mühe immerhin die Hose so zu verschließen, dass kein weiteres Malheur zu befürchten ist.
Meinen ruhigen Strandspaziergang habe ich mir anders vorgestellt. Aber was nicht ist kann ja noch kommen. Also überlasse ich meine Unterhose den beiden Kötern und sehe zu, meine innere Ruhe wieder zu erlangen. Was könnte dabei besser helfen, als den Blick über das weite Meer schweifen zu lassen - denke ich mir. Leider falsch gedacht. Denn kaum ist der Gedanke gefasst, da muss ich bereits erleben, wie es sich anfühlt, wenn man mit einem Fuß in einer Sandburg landet. Unbeabsichtigt versteht sich. Das hindert deren stolzen Besitzer jedoch nicht daran, ein solch jämmerliches Geheul anzustimmen, dass es mir fast das Herz vor Mitgefühl zerrissen hätte. Aber noch während ich mich dem kleinen Fratz mit der Absicht zuwenden, ihm Trost zu zuzusprechen und ihm klar zu machen, dass die Welt wegen eines solch kleinen Fehltritts nun wirklich nicht untergeht und sein Geheul die Burg sowieso auch nicht wieder heile machen wird, da kommt mir doch tatsächlich ein fauchender Tiger in Gestalt einer gar nicht einmal so schlecht aussehenden Frau in die Quere, die wohl davon ausgeht, dass ich die Absicht habe ihren Filius zu fressen. Jedenfalls reißt sie das arme Kind mit einem solchen Ruck von mir weg, dass der Kleine vor Schreck noch herzzerreizender zu schreien beginnt. Das nun wieder ruft den Herrn Papa auf den Plan. Ich habe keine Ahnung, aus welcher Ecke er so plötzlich hervorgeschossen ist. Aber dass er nicht gewillt war, tatenlos mit anzusehen, wie ich alter Esel Burg, Kind und Frau Gewalt antue, das mir klarzumachen war er offenkundig fest entschlossen. Und zwar eindeutig. Um jeden möglichen Zweifel meinerseits daran bereits im Keine zu ersticken, plustert sich der mindestens zehn Köpfe größere Mensch mit der Statur einer Mischung aus Klitschko und Tysson direkt vor mir derartig auf, dass ich die Sonne nicht mehr sehen kann. Dazu nimmt er die Haltung eines Wildtierdompteurs an, geht offenkundig davon aus, dass allein das nicht reichen wird, um den Unhold vor ihm in die Schranken zu weisen. Allen Beschwichtigungsversuchen meinerseits eisern trotzend glaubt er offenkundig die Ehre seiner Familie nur dadurch wieder herstellen zu können, dass er mich zum Zweikampf herausfordert. Vielleicht sollte ich das so erklären, dass ich mit Chance so gerade einmal einen Meter und siebzig Messe und mit etwa siebzig Kilo Gewicht auch nicht wirklich die Voraussetzung für die Aufnahme in die Gewichtsklasse der Schwergewichtsboxer erfülle. Allein der Versuch, meinem Kontrahenten das mit sanften Worten klar zu machen, versteht der jedoch als hinterhältige List, auf die es nur eine Antwort geben kann. Zwar gelingt es mir ohne große Mühe, dem ersten Schlag geschickt auszuweichen, doch erwischt mich der Decke gleich darauf mit seiner Linken. Sicher unnötig zu erwähnen, dass ich im gleichen Moment ohne lange Diskussion zu Boden gehe. Dummerweise lande ich ausgerechnet auf dem noch nicht zertretenen Teil der Sandburg. Das abermals anschwellende Geheul des Kleinen trägt vermutlich dazu bei, dass ich der ersten Eingebung widerstehe und nicht gleich das Bewusstsein verliere. Ganz weit weg höre ich so noch die Stimme einer mir unbekannten Frau, die den Retter der Familienehre energisch dazu auffordert, damit aufzuhören den alten Mann zu schlagen. Es braucht einen Moment, bis ich begreife, dass ich mit dem alten Mann gemeint war. Immerhin hat die Ansage gewirkt. Obwohl es mir gelingt, mich noch einmal, angezählt zwar aber immerhin, aufzuraffen, bleibt der endgültige Knock Out aus. Statt dessen fühle ich, wie mir jemand, vermutlich die Frau, unter den Arm greift und mich aus der Gefahrenzone zieht. Ansatzweise wieder zu bei Sinnen stotterte ich so etwas wie ein danke sehr heraus und versuche zugleich wieder auf meinen eigenen Beinen zu stehen. Es bleibt bei dem Versuch. Jedenfalls beim ersten Mal. Dafür ist die Fürsorge der Frau, die mich aus den Fängen des Boxers befreit hat, denn für meinen Geschmack ein wenig zu professionell. Jedenfalls dafür, dass wir uns ja kaum kennen.
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