"Verkaufen wir uns so teuer wie möglich!" zischte er.
Edwards hatte eine Winchester und mit der holte er zwei Feinde von ihren Stellungen herunter. Wenn die Kugeln sie nicht umbrachten, dann mit Sicherheit der Sturz die Steilwände hinunter.
"Ist das die Bande dieses sagenhaften El Tigre?" fragte Edwards zwischendurch.
Reilly zollte ihm dafür ein heiseres, freudloses Lachen.
"Wer sonst? Wer sonst würde es wagen, sich mit der Armee anzulegen! Und wer sonst wäre so gut bewaffnet!"
"Verdammtes Pack!"
"Kann man wohl sagen, Edwards! Und das Schlimmste an der ganzen Sache ist, daß man die Kerle wahrscheinlich auch diesmal nicht kriegen wird! Sie reiten einfach über die Grenze nach Mexiko!"
*
Es brach über sie herein, wie ein wütender Gewittersturm.
Ein Hagel von Blei ging in ihre Richtung nieder und es blieb ihnen nichts anderes übrig, als sich so klein wie möglich zu machen, die Hände vor das Gesicht zu nehmen und zu hoffen, daß sie noch am Leben waren, wenn es vorbei war.
Die Banditen hatten offensichtlich ganz gezielt den Wagen und seine Umgebung unter Feuer genommen, um den letzten Widerstand zu brechen.
Die Kugeln durchsiebten den Wagen förmlich. Das Holz splitterte. Die Schüsse gingen bis in den Boden und wirbelten Staub auf.
Dann ebbte der Hagel ab und als Reilly wieder den Blick zu heben wagte, da sah er ein weit aufgerissenes Augenpaar, daß ihn ungläubig anstarrte.
"Edwards!"
Aber da war nichts mehr zu machen.
Edwards war tot.
Es dauerte nur wenige Augenblicke, da wurde Reillys Aufmerksamkeit von etwas anderem abgelenkt.
Er hörte das Geräusch von herannahenden Pferdehufen.
Mindestens zehn Reiter, so schätzte er. Eher mehr, als weniger.
Sie kamen schnell heran und er konnte ihre Stimmen hören.
Es war ein Gemisch aus Spanisch und Englisch.
"Hey, Burnett! Der Kerl hier lebt noch!"
Dann war ein Schuß zu hören.
"Was soll das, Marquez?" Diese Stimme war rauh und befehlsgewohnt. Am Akzent konnte man hören, daß es sich unzweifelhaft um einen Amerikaner handelte.
"Ich möchte nicht erleben, daß irgendwann einmal jemand auf mich zeigt und sagt: Jawohl, der war auch dabei!"
rechtfertigte sich jener, der Marquez hieß. In seinem Tonfall lag deutliches Mißbehagen darüber, sich von einem Gringo Befehle geben lassen zu müssen!
"Er hätte ohnehin die nächsten zwei Stunden nicht überlebt!" versetzte Burnett kühl.
In Reillys Gehirn arbeitete es.
Wenn diese Kerle auf mich aufmerksam werden und merken, daß ich noch lebe, dann bin ich geliefert! dachte er.
Er hörte, wie sich einige der Männer aus den Sätteln gleiten ließen.
Dann sah er ihre Stiefel.
Es gab nichts, was er tun konnte, außer abzuwarten und sich tot zu stellen.
Einige der Männer sprangen auf den Wagen.
"Hey, da haben wir einen guten Fang gemacht!" rief jemand.
"Der Boss wird zufrieden sein!"
"Ja, das wird er!" war die Stimme von Burnett zu vernehmen.
"Bei solch einer Beute ist doch wohl ein Zuschlag für jeden von uns drin, was, Burnett?"
Die Antwort war eher zurückhaltend.
"Ich werde mit El Tigre darüber sprechen..."
"Mach das, Burnett! Sollen wir die Pferde auch mitnehmen?"
"Natürlich! Wäre doch schade drum!"
Die Säcke, in denen das Geld war, wurden heruntergenommen und verteilt. Dann zog die Meute so schnell ab, wie sie gekommen war.
*
Als Reilly glaubte, daß die Luft rein war, kroch er unter dem Wagen hervor.
Die Banditen waren auf und davon und ehe auch nur irgendjemand in Fort Deming von dem Überfall erfahren hatte, würden El Tigres Leute über die Grenze nach Mexiko verschwunden sein.
Und dahin konnte ihnen kein Sternträger und schon gar kein Blaurock folgen. Das konnte ernsthafte diplomatische Verwicklungen nach sich ziehen und an denen war gegenwärtig niemand interessiert.
Man wäre auf die Zusammenarbeit mit den mexikanischen Behörden angewiesen gewesen, aber die zeigten sich seltsam passiv, gerade so, als hätten sie gar kein Interesse daran, die Verbrecher zu verfolgen...
Aber im Augenblick hatte Reilly andere Sorgen. Er richtete sich unter unsäglichen Schmerzen auf und drohte kurz darauf wieder zu Boden zu sinken. Er mußte sich zunächst am Wagen festhalten.
Der Anblick, der sich ihm bot, war furchtbar.
Der Boden war übersäht mit toten Blauröcken, von Steinen erschlagen oder von Kugeln durchsiebt. Pferde lagen mit gebrochen Gliedmaßen in ihrem Blut, manche waren noch am leben und strampelten etwas, über anderen sammelten sich bereits die Fliegen und hoch über der Schlucht kreiste auch schon der erste Geier.
Diese verdammten Hunde! durchfuhr es Reilly grimmig.
Sie hatten alle Pferde, die noch zu verwenden waren, mitgenommen! Wahrscheinlich würde man sie bald auf den Märkten von San Pedro oder Magdalena wiederfinden können.
Reilly verfluchte sie innerlich, aber es gab nichts, was er im Moment dagegen tun konnte.
Er fühlte sich schwach, so unsäglich schwach...
Die Wunde am Bein würde hinderlich beim Gehen sein, aber eine flüchtige Untersuchung sagte ihm, daß es ein Streifschuß war. Schmerzhaft, aber verhältnismäßig harmlos.
Anders war das mit seiner Schulter...
Ein langer Fußmarsch lag vor ihm.
Schon ein gesunder Mann hätte es kaum lebend bis Fort Deming schaffen können. Für Reilly war die Lage entsprechend aussichtsloser.
Der Major beugte sich nieder und nahm Edwards' Gewehr an sich, das er dann als eine Art notdürftige Krücke benutzte.
Dann lief er über das trostlose Schlachtfeld und suchte nach einer gefüllten Feldflasche.
Er fand eine.
Bevor er dann aufbrach, versorgte er seine Schulter noch mit einem notdürftigen Verband, den er aus dem Hemd eines ermordeten Kameraden fertigte.
Dann humpelte er davon, ohne viel Aussicht, sein Ziel auch zu erreichen. Aber was blieb ihm anderes, als es dennoch zu versuchen?
Er war keiner, der bereit war, sich einfach niederzulegen und aufzugeben.
Er dachte an Wheeler, an Edwards und an all die anderen Männer, die jetzt tot im Staub lagen.
Er hatte für seine Leute die Verantwortung getragen, und jetzt war nichts von ihnen geblieben, als eine Mahlzeit für Geier und Coyoten.
Mit manchen von ihnen - mit Wheeler, dem Corporal zum Beispiel, war er befreundet gewesen.
Diese Teufel hatten ihnen nicht den Hauch einer Chance gelassen!
Es wird Zeit, daß jemand diesem Gesindel endlich das Handwerk legt! durchfuhr es Reilly. Schritt für Schritt setzte er einen Schritt vor den anderen. Ihm war schwindelig und seine Wunden schmerzten, aber er versuchte, so wenig wie möglich darauf zu achten.
Er mußte weiter, immer weiter...
Soweit ihn seine Beine noch trugen.
Er sah sich selbst bereits vor seinem geistigen Auge in den Sand sinken und die Augen endgültig schließen. Aber Reilly versuchte mit aller Kraft, solche Gedanken aus seinem Kopf zu verbannen.
Noch atmete er, noch war ein Rest seiner Kraft in ihm, noch konnte Meter um Meter, Schritt um Schritt hinter sich bringen...
Er verlor das Gefühl für Zeit.
Wie automatisch bewegte er sich vorwärts und bald nahm er kaum noch etwas anderes wahr, als die Beine, die ihn trugen
- und seine Wunden.
Er hörte den Wind durch die Felsen pfeifen und das klang in seinen Ohren wie ein gespenstisches Totenlied.
Irgendwann hatte er die langezogene Schlucht hinter sich gelassen, was sich für ihn vor allem dadurch bemerkbar machte, daß es jetzt nirgends mehr Schatten gab.
Er blinzelte.
Vor ihm befand sich eine weite, menschenfeindliche und von der Sonne verbrannte Ödnis. Reilly hielt einen Moment lang an und nahm einen Schluck aus der Feldflasche.
Wie weit mochte das nächste Wasserloch entfernt sein?
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