Selbst Ursa war gekommen und schien sich wohl zu fühlen. Mit einem Glas in der Hand stand sie bei zwei Paaren aus der Nachbarschaft, schaute unter ihrer sahneblonden Mähne hervor von einem zum anderen und schien interessiert zuzuhören. Als sie sah, dass Anita gekommen war, kam sie herüber und die beiden schlossen sich für lange Sekunden in die Arme.
Anne, die Gastgeberin, war wie immer die Ruhe selbst. Nachdem sie sich am Nachmittag in der Küche fast übertroffen und alles hübsch arrangiert hatte, rief sie selbstbewusst, nachdem alle Gäste eingetroffen waren, in die Runde, dass sich jeder selbst bedienen solle. Alle schienen sich wohl zu fühlen, und die Party dauerte bis spät in den Abend hinein.
Die Gäste waren fast alle gegangen, nur die sechs Freundinnen saßen noch bei Kerzenlicht im Garten. Die Luft war angenehm warm für diesen Spätsommerabend, und man hörte nur ein leichtes Rascheln des Windes in den Blättern der Bäume.
"Ah, ist das eine schöne Nacht", seufzte Anita und streckte sich wie eine schnurrende Katze. Inge nahm einen Schluck aus ihrem Glas und meinte an Anne gewandt: "Hattest du nicht gesagt, du wolltest mit uns reden?"
"Ja." Anne richtete sich in ihrem Stuhl auf. Sie überlegte, wie sie die richtigen Worte finden könnte. "Ihr wisst ja selbst", begann sie nach einer Weile, "dass wir alle nicht jünger werden."
Ursa stöhnte und wandte den Blick ab. Sie schlang die Finger ineinander und knetete sie.
"Ja und?" meinte Lisa, "das ist ja nun wirklich nichts Neues." Sie mochte nicht gern daran erinnert werden, dass auch sie nicht mehr die Jüngste war und langsam die Kräfte schwanden. Sie tat alles, um dem Älterwerden Einhalt zu gebieten: anstatt Auto zu fahren, erledigte sie fast alles mit dem Fahrrad. Dreimal in der Woche ging sie zum Sport, wo sie sich völlig verausgabte. Sie aß gesund mit wenig Fleisch und viel Gemüse. Und sie färbte ihre Haare pechschwarz. Trotzdem ging auch an ihr das Alter nicht spurlos vorüber.
Anne schaute sie nachdenklich an, bevor sie antwortete: "Was haltet ihr davon, wenn wir eine WG gründen?" Und als sie merkte, dass die anderen unruhig wurden und sich unsicher, aber auch neugierig ansahen, setzte sie hastig hinzu: "Wir könnten uns gegenseitig unterstützen."
"Wie stellst du dir das denn genau vor?" fragte Amelie.
"Nun, wir kaufen ein großes Anwesen, in dem wir alle genügend Platz hätten."
"Ein Anwesen", brachte Ursa gedehnt hervor. "Größer geht´s wohl nicht, oder?" Sie lachte, aber es hörte sich nicht fröhlich an. "Und wie sollen wir das bezahlen?" Voller Zweifel legte sich ihre Stirn in Falten.
"Na ja", meinte Anne, "ich habe mein kleines Reihenhaus und Lisa hat eine Eigentumswohnung."
"Und die soll ich jetzt verkaufen?" empörte sich Lisa aufgebracht.
"Nun, anders wird es nicht funktionieren", meinte Anne.
"Und wir beide finanzieren dann das Anwesen", spottete Lisa und schüttelte den Kopf. "Du spinnst wirklich."
"Nein, überleg doch mal. Mein Reihenhaus, deine Eigentumswohnung und Anitas Haus."
Anita streckte sich. "Mein Haus", sagte sie gedehnt, "ist mit Hypotheken hoch belastet. Da bleibt nicht viel übrig, wenn überhaupt." Sie überlegte. "Aber ich könnte den Oldtimer verkaufen, der meinem Mann gehörte. Soviel wie ein Haus bringt das zwar nicht, aber immerhin etwas."
"Das würdest du tun?" fragte Amelie. Und nach einem Augenblick: "Also, wenn das so ist: ich bekomme demnächst eine Lebensversicherung ausbezahlt, die würde ich in die Waagschale werfen."
Auch Ursa schien langsam Gefallen an dieser Idee zu bekommen, denn sie meinte: "Auch ich bekomme eine Lebensversicherung, allerdings erst nächstes Jahr."
"Und wie hoch wird die sein?" fragte Anne neugierig.
"So ungefähr neunzigtausend Euro, schätze ich."
"Klasse", strahlte Anne. "Damit können wir doch schon etwas anfangen."
Lisa, die immer noch nicht überzeugt war, meinte: "Du bist so still, Inge. Was könntest du denn beisteuern?"
"Tja, ich bin dann wohl raus", seufzte diese. "Ich habe weder Eigentum noch Geld aus einer Versicherung. Ich habe immer alles für meine Reisen ausgegeben. Ich besitze keine Rücklagen." Und nach kurzem Zögern: "Ich habe nur mein Auto, und das ist nicht mehr viel wert."
Amelie mischte sich ein: "Vielleicht brauchen wir auch gar nichts von dir. Vielleicht reicht es ja auch so."
Lisa zog entrüstet die Luft ein: "So geht das aber nicht. Einige von uns sollen mehrere Hunderttausend geben und du gar nichts?!"
"Wenn sie nichts hat, hat sie nichts", stellte Anne lakonisch fest. "Unsere Freundin ist sie trotzdem."
"Lasst uns doch erst einmal schauen, wie viel wir insgesamt zusammen bekommen würden", gähnte Anita. "Vorher können wir sowieso keine konkreten Pläne machen."
"Außerdem sollte jede ihre Wünsche äußern", fügte Ursa, jetzt ganz munter bei der Sache, hinzu. "Was hättest du denn für Vorstellungen, Lisa?"
"Ich habe überhaupt noch keine Vorstellungen", maulte Lisa.
"Und du?" versuchte Ursa die anderen bei der Stange zu halten und erhaschte dafür einen anerkennenden Blick von Anne.
"Ich", meinte Anita mit einem süffisanten Lächeln auf den Lippen, "möchte nicht allzu weit von Hamburg entfernt leben. Ich habe gerade einen netten Mann kennen gelernt. Ich kenne ihn zwar erst ein paar Tage, aber er ist ein Traummann."
Amelie verdrehte die Augen. "Bei dir ist jeder, mit dem du schläfst, ein Traummann."
Anita zuckte nur die Schultern.
"Du hattest doch die Idee mit der WG", wandte sich Lisa an Anne. "Was stellst du dir denn so vor?"
Anne überlegte einen Augenblick. Sie beugte sich vor, stützte ihr Kinn in die Hände und schaute in den mittlerweile stockdunklen Garten. "Das Haus müsste so groß sein, dass jede mindestens ein großzügiges Zimmer hätte. Und ein großes Gemeinschaftszimmer dürfte natürlich nicht fehlen, in dem wir uns alle treffen und gemeinsam kochen und essen könnten. Ein großer Garten wäre schön. Vielleicht ein bisschen Land drumherum."
"Und Ställe und Tiere", warf Ursa begeistert ein.
"Moment mal", stoppte Lisa die Begeisterung. "Wer soll sich denn um die Tiere kümmern. Ihr vergesst wohl, dass wir nicht mehr die Jüngsten sind, oder? Und was für Tiere überhaupt."
"Ich würde mich kümmern", rief Ursa.
"Ich auch", lächelte Amelie zu ihr hinüber.
"Ich hätte auch Lust dazu", meinte Anita.
"Du hast doch genug mit deinen Liebschaften zu tun", stichelte Lisa. "Wie willst du dich da noch um Tiere kümmern? Also, an welche Tiere denkt ihr denn so?" wiederholte sie. "Anne bringt ja bereits ihre Katze mit, und Amelie hat ihren Hund."
"Was haltet ihr von einem Bauernhof? Einem kleinen", fügte Anne hinzu, als sie die skeptischen Gesichter der anderen sah. "Ich weiß, ich weiß, wir haben keinerlei Erfahrung in dieser Hinsicht, aber man kann alles lernen. Und das Ganze soll ja wirtschaftlich nichts abwerfen. Wir wollen uns nur daran freuen."
"Vor allem in unserem Alter", höhnte Lisa.
"Ach, sei doch nicht immer so negativ. Für die schweren Arbeiten stellen wir eben einen Mann ein", warf Amelie ein.
"Genau", bekräftigte Ursa. "Und das Leben mit Tieren bringt Spaß und hält gesund." Jetzt war sie nicht mehr zu stoppen. "Wir könnten Schafe, Ziegen und Geflügel halten."
"Nein, keine Schafe", meinte Anita, "die müssen regelmäßig geschoren werden, und das ist Schwerstarbeit. Aber zwei Ziegen fände ich schön. Und Gänse und Hühner. Dann hätten wir jeden Tag unsere Frühstückseier."
"Und vielleicht noch einen Esel", zählte Anne weiter auf. Sie liebte Esel.
Lisa unterbrach die Träumerei. "Also, ich habe keine Lust mich um Tiere zu kümmern." Mit ernstem Gesicht schaute sie Annes Katze nach, die mit erhobenem Schwanz am Rand der Terrasse stand und an den Ringelblumen schnüffelte.
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