Ridge nickte.
Er kaute auf einem Stück Speck herum.
„Hoffen wir, dass es profitgierige Gangster sind“, meinte er. „Von mir aus Handlanger von NEXUS - das ist mir allemal lieber, als wenn wir es mit Terroristen zu tun haben, die sich fanatisch einer Idee verschrieben haben und denen das eigene Leben nichts bedeutet.“
„Mit Gangstern kann man immerhin verhandeln“, stimmte Haller zu.
Eine Weile schwiegen sie.
Plötzlich meldete sich Laroche zu Wort.
„J'ai trouvé quelque chose!“, rief er. „Ich habe etwas gefunden!“
„Dann schießen Sie mal los, Lieutenant!“, gab Ridge zurück.
„Ich habe Funkkontakt von einem der Apaches aufgeschnappt. Sie kommunizieren auf Englisch mit ihrer Basis.“ Der Franzose nahm den Kopfhörer ab und reichte ihn Ridge. „Hören Sie mal rein, ob es sich um die in den Streitkräften der USA übliche Kommunikation handelt. Ich glaube nicht…“
Ridge nahm den Hörer, setzte ihn auf und lauschte einige Augenblicke angestrengt.
Dann riss er ihn sich förmlich vom Kopf.
„Möglich, dass das Amerikaner waren“, meinte er grimmig. „Aber ganz gewiss keine Angehörigen irgendwelcher Verbände unserer Streitkräfte.“
„Also doch - wie wir vermutet haben“, mischte sich Haller ein. „Es ist eine Söldnertruppe.“
„Anhand einiger typischer Befehle könnte man vielleicht herausfinden, wo sie ausgebildet wurden und eventuell sogar, wer diese Leute angeheuert hat!“
„Und Sie glauben, jemand hat sich die Mühe gemacht, die unterschiedlichen BefehlOFOrmen aller Söldnertruppen dieser Welt aufzuzeichnen und uns zum Vergleich anzubieten?“, höhnte Ridge.
„Pour-quoi non?“, fragte Laroche zurück. „Es wäre doch möglich, dass die Geheimdienste über derartige Informationen verfügen, vielleicht sogar das FBI!“
„Wäre zu schön um wahr zu sein. Auf jeden Fall werden wir nichts riskieren, nur um des ungewissen Erfolgs einer solchen Anfrage willen“, bestimmte Ridge.
Laroche bemühte sich, kein beleidigtes Gesicht zu machen.
„C'est domage!“, fand er.
„Möglicherweise kommen wir in eine Lage, in der wir gezwungen sind, Kontakt aufzunehmen“, sagte Haller. „In dem Fall sollten wir die Gelegenheit nutzen und eine entsprechende Anfrage abschicken.“
„Guter Vorschlag“, lobte Ridge. „Nur bis dahin werden Sie sich noch gedulden müssen, Laroche!“
*
Es dauerte fast 24 Stunden, ehe der Sturm nachließ. Ein voller Tag, den sie jetzt im Rückstand waren. Aber sich gegen die Naturgewalten dieses weißen Kontinents stemmen zu wollen hatte keinen Sinn.
So blieb ihnen nur die Möglichkeit abzuwarten.
Stunden angespannter Langeweile folgten, die jedem Mitglied des Teams ein Höchstmaß an psychischer Stabilität abverlangte. Schließlich waren sie auf die wenigen Quadratmeter im Inneren der Biwaks zusammengedrängt und hatten gerade Platz genug, um sich lang auf dem Boden ausstrecken zu können.
Allen im Team war die Erleichterung anzumerken, als es endlich weiter ging.
„Immerhin sind wir vor unserer nächsten Etappe gut ausgeruht“, meinte Haller.
Sie bauten die Biwaks ab.
Jeder Handgriff saß. Im Kühlhaus hatten sie das alles oft genug geübt. Die Bewegungen gingen fast automatisch von der Hand.
Wenige Minuten später setzten sie ihren Weg fort. Es hatte viel Neuschnee gegeben, was das Fortkommen behinderte. An manchen Stellen, wo der Wind den Schnee verweht hatte, sanken sie bis zu den Knien in die weiße Pracht ein.
Schließlich erreichten sie den Kamm jener Kette von Anhöhen und Felsen, hinter dem die Eisebene begann, unter der sich der verborgene See befand. Begraben unter einem Panzer aus Kilometer dickem Eis.
Das Wetter wurde zunehmend besser. Die Sonne sandte ihre Strahlen sogar hin und wieder zwischen den grauen Wolkentürmen hindurch. An manchen Stellen riss der Himmel regelrecht auf und das leuchtend blaue Firmament wurde sichtbar.
Von nun an stand das Team so gut wie deckungslos da. Die Eisfläche hatte nur wenige Unebenheiten. Sie war ziemlich gleichmäßig mit hart gefrorenem Schnee bedeckt.
Der einzige Trumpf, den Ridge und seine Leute bei ihrem Heranpirschen an die Station X-Point auf ihrer Seite hatten, war die ungeheure Weite und Eintönigkeit dieser Landschaft. Hier einen Menschen zu finden - noch dazu in weißer Tarnkleidung - glich der Suche nach der berühmten Nadel im Heuhaufen.
Fragt sich nur, wie gut der Sucher ausgestattet ist! , ging es Haller durch den Kopf, während er den Blick über die Weite schweifen ließ.
Wenn er Infrarotkameras hat, wie man sie in einen Apache-Kampfhubschrauber optional einbauen kann...
Mit Infrarotkameras wurden Wärmebilder erzeugt. Je nach Empfindlichkeit ließen sich schon kleinste Temperaturunterschiede deutlich abbilden.
Und ein Mensch mit seiner Körpertemperatur von 37 Grad war nun einmal deutlich wärmer als seine Umgebung in der eisigen Antarktis, selbst wenn ein ausgedehntes Sommerhoch an der Küste mal eine Hitzewelle mit einstelligen Minustemperaturen brachte.
Allerdings war die Fläche, die ein mit Infrarotsucher ausgestatteter Helikopter zu kontrollieren hatte immer noch sehr groß.
Unsere Chance ist die Überraschung, dachte Haller. Die andere Seite weiß nicht, dass wir kommen. Und darum werden sie uns auch nicht finden…
Pierre Laroche hatte die ganze Zeit über das Funkgerät aktiviert, um mitzuhören, was im Äther so los war. Hin und wieder bekam er ein paar Forschungsstationen herein, die sich an der McMurdo Bay und direkt am Südpol konzentrierten.
Hier waren sie weit von beiden Punkten entfernt.
Die Betreiber von X-Point hatten schon genau gewusst, wo sie ihren finsteren Plan in die Tat umsetzten.
Ab und zu fing Laroche auch Fetzen von Funksprüchen auf, die möglicherweise mit X-Point in Zusammenhang standen. Aber da war er sich nicht sicher.
Nach einigen Stunden Marsch legten sie eine kurze Pause ein. Eine Positionsbestimmung mit Hilfe des Navigationssystems war unerlässlich, auch wenn das Risiko bestand, dass sie angepeilt wurden.
Aber in dieser gleichförmigen Landschaft konnte man andererseits sehr schnell die Orientierung verlieren und dann womöglich in die falsche Richtung marschieren.
Nach einer kurzen Mahlzeit und einer Verschnaufpause setzen sie den Weg fort.
Es wurde kaum noch gesprochen.
Selbst Russo und Gomez hatten ihren ständigen verbalen Kleinkrieg eingestellt.
Haller ging voran. Ihm folgten Ridge und Chrobak, der ohnehin nicht besonders redselig war. Anschließend marschierten Van Karres und Laroche.
Gomez und Russo bildeten die Nachhut.
Haller hatte zunächst ein recht flottes Marschtempo vorgelegt, aber Ridge hatte den ehrgeizigen Deutschen etwas gezügelt. „Wir müssen unsere Kraft einteilen, Lieutenant“, warnte er, ohne dass einer der anderen Teammitglieder davon etwas mitbekam.
Haller zuckte die Achseln.
„Sie wissen doch, wie launisch das Wetter hier ist!“, meinte Haller.
„Da dachte ich…“
„Schon gut, Lieutenant.“
Der Wind ließ in den folgenden Stunden noch einmal spürbar nach.
Die Wolkendecke löste sich auf. Die letzten düsteren Flecken verschwanden hinter der Felsenkette. Die Sonne brannte den Männern und Frauen der Spezial Force One grell ins Gesicht.
Aber es war eine Sonne ohne Kraft, wie ein flüchtiger Blick auf das Thermometer zeigte.
Als orangeroter Glutball hing sie nur wenige Grad über dem Horizont. So tief, dass man glauben konnte, sie würde jeden Augenblick versinken.
Plötzlich hielt Haller an.
Er lauschte.
Mit einem Handzeichen bedeutete er den anderen, ebenfalls genau hinzuhören.
Ein leises, sehr entferntes Brummen drang zu ihnen herüber.
Im nächsten Moment hob sich ein schwarzer Punkt gegen das Sonnenlicht ab.
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