„Vielleicht ist schlechtes Wetter im Augenblick unser bester Verbündeter!“, meinte Haller.
Ridge lachte kurz auf.
„Sagen Sie das noch einmal, wenn Sie frierend im Biwak sitzen, Ihnen der Magen knurrt und Sie auf einem zähen Stück Speck herumkauen, Lieutenant!“
*
Stunden krochen dahin, in denen die Mitglieder des OFO-Teams beinahe wortlos durch die öde, weißgraue Landschaft stapften.
Der Wind wurde heftiger, Schneefall setzte ein. Der Himmel verdüsterte sich. In dem zerklüfteten Gebiet, das sie zu durchqueren hatten, kamen sie nicht besonders schnell voran.
Die Temperatur sank auf unter minus 20 Grad und schien sich in einer Art freien Fall zu befinden.
„Für die Touristen-Saison sind wir wohl etwas spät dran“, meinte Alberto Russo. Der Italiener war der letzte im Team, der auch seine Gesichtsmaske angelegt hatte. Die OFO-Soldaten waren daher äußerlich kaum unterscheidbar, lediglich die Statur und Einzelheiten der Ausrüstung konnten einem Hinweise darauf geben, mit wem er es zu tun hatte.
Die einzige Reaktion, die auf Russos Bemerkung erfolgte, war die wegwerfende Handbewegung, die eines der beiden weiblichen Mitglieder des Teams vollführte.
„Dachte ich mir doch, dass Sie die Ski-Saison bevorzugen, Marisa“, meinte der Italiener.
„Mit Skifahren kenne ich mich nicht besonders aus“, kam die Erwiderung. „Bei uns in den Niederlanden gibt es nämlich kaum Berge.“
Damit war klar, dass er Dr. Van Karres angesprochen hatte.
Ein Geräusch ließ alle aufhorchen. Russos Flachsereien waren auf einmal Nebensache.
„Das ist ein Helikopter“, stellte Haller fest.
Sie starrten in die graue Wolkenwand hinein. Die Maschine näherte sich genau aus jener Richtung, in der das Ziel von Ridge und seinen Leuten lag: X-Point, die mysteriöse Station mitten in der Eisebene.
„In Deckung!“, rief Ridge.
Die Teammitglieder hechteten zwischen die Felsen, warfen sich zu Boden. Ihre Bekleidung war ohnehin in weißer Wintertarnfarbe gehalten, ganz im Gegensatz zu gewöhnlichen Polarexpeditionen, deren Kleidung in der Regel in Signalfarbe gehalten war, um im Notfall eine Rettung zu ermöglichen.
Die Männer und Frauen der Omega Force One kauerten in ihrer Deckung. Die Waffen waren im Anschlag.
Russo und Gomez bestückten ihre Spezialgewehre mit panzerbrechender Explosivmunition. Mit gezielten Treffern in die Rotoraufhängung konnte man damit auch gegen Helikopter notfalls etwas ausrichten. Vorausgesetzt man kam überhaupt noch zum Schuss und es handelte sich nicht um einen schwer bewaffneten Kampfhubschrauber, dessen Granatwerferbatterien Dauerfeuer spuckten.
Ein dunkler Punkt bildete sich in der grauen Wand, wurde langsam größer.
„Ein Apache-Kampfhubschrauber“, murmelte Haller.
„Ja, aber ohne die US-Kennung“, stellte Ridge fest, der ganz in Hallers Nähe kauerte.
Ein zweiter Apache-Helikopter kam aus der grauen Wolkenwand heraus und zog im Tiefflug einen Bogen.
„Sind Sie wirklich sicher, dass die Kameraden von der US Navy uns informiert hätten, wenn sie irgendeine Aufklärungsaktion im Zielgebiet geplant hätten?“, fragte Haller an Ridge gewandt. Er schrie es fast und versuchte dabei den Lärm der Rotoren zu übertönen. Schnee wirbelte auf. Aber der trug ironischerweise zu ihrer Tarnung bei.
Beide Helikopter flogen in einem weiten Bogen zurück und verschwanden wenig später hinter den nächsten Anhöhen.
„Das sind nicht unsere Leute“, meinte Ridge an Haller gerichtet, nachdem die Maschinen verschwunden waren. „Dann wüssten wir davon. Außerdem würde es auch keinen Sinn machen, Kampfhubschrauber in das Gebiet um X-Point zu schicken.
Luftaufnahmen gibt es ja inzwischen genug von der Station!“
„Nur das man auf ihnen leider nicht das sieht, was wirklich dort geschieht!“, ergänzte Laroche.
„Wenn unsere Gegner über Apaches verfügen, dann sind sie ziemlich gut ausgerüstet“, stellte Haller fest.
Ina Van Karres konnte sich diesem Urteil nur anschließen. „Vor allem muss die Station dann Ausmaße haben, die weit über das hinausgehen, was bis jetzt vermutet wurde!“
Haller zuckte die Achseln. „Es ist viel leichter, einen Bunker ins Eis hineinzubauen als in felsigen Untergrund“, gab er zu Bedenken.
Ridge deutete Richtung Süden.
„Vorwärts“, befahl er.
Sie setzten ihren Weg fort.
Der Wind wurde immer heftiger. Ein Sturm kündigte sich an. Von den Helikoptern sahen sie nichts mehr. Wahrscheinlich waren sie längst zu ihrer Ausgangsbasis zurückgekehrt.
An einer geschützten Stelle schlugen die Männer und Frauen der Omega Force One ihr Lager auf.
Nachtlager war dafür nicht der richtige Ausdruck, schließlich blieb es die ganze Zeit über hell, sodass an diesem Einsatzort ein gewöhnlicher Tag/Nacht-Rhythmus nicht existierte. Aber erstens mussten Ridges Leute nach dem anstrengenden Marsch durch die Felsen ein paar Stunden regenerieren und zweitens war bei dem aufkommenden Sturm an ein schnelles Fortkommen ohnehin nicht zu denken. Der Wind kam ihnen direkt entgegen. Noch boten ihnen die umgebenden Berge und Felsen Schutz vor der Gewalt dieser Windstärken. Wenn sie das Hochland erst einmal hinter sich hatten, würde sich das ändern.
Gomez und Van Karres bewohnten ein Biwak zusammen, während Chrobak und Russo ebenfalls gemeinsam in einem Zelt schliefen. Das dritte Biwak war größer als die beiden anderen. In ihm kampierten Ridge, Chrobak und Haller. Das Aufstellen und verankern der Zelte hatten sie dutzendfach geübt. Jeder Handgriff saß. Es musste schnell gehen, denn niemand konnte sagen, ob das Wetter nicht noch schlechter werden würde.
Die Biwaks waren ebenso wie der Rest der Ausrüstung in weißer Wintertarnfarbe gehalten.
Wahrscheinlich dauerte es ohnehin kaum länger als eine halbe Stunde, ehe sich zudem eine Schneeschicht auf die Außenhaut gelegt hatte. Wurde sie zu schwer, musste eventuell einer der Insassen noch einmal hinaus.
Die OFO-Soldaten rollten sich in ihre Schlafsäcke. Allein die Körperwärme der Insassen heizte das Biwak schon mit der Zeit gegenüber der Umgebung erheblich auf. Zudem wurde der Wind durch die isolierende Spezialbeschichtung der Außenhaut fern gehalten.
Pierre Laroche kramte unruhig in seinen Sachen herum.
„Ihr Laptop lassen Sie einstweilen besser dort, wo es jetzt ist“, meinte Ridge dazu. „Erstens sollen wir Funkstille halten und zweitens bekämen Sie bei diesem Wetter wahrscheinlich ohnehin keinen Kontakt zum Satelliten.“
„Keine Sorge“, meinte Laroche. Er holte das Hochleistungsfunkgerät hervor. „Wir müssen zwar Funkstille halten - aber niemand kann etwas dagegen sagen, wenn wir mithören, was sich im Äther um uns herum so tut.“
Ridge zuckte die Achseln. „Wenn Sie sich davon etwas versprechen.“
„Alors, ich bin eben gerne gut informiert, mon Colonel!“
„Dann tun Sie, was Sie nicht lassen können!“
Laroche drehte an einem der Regler. Es quietschte und rauschte.
Der Franzose machte ein angestrengtes, konzentriertes Gesicht.
Ridge verdrehte die Augen. „Vielleicht nehmen Sie besser den Kopfhörer, sonst kriegt niemand ein Auge zu.“
„Ja, Sir!“, nickte Laroche.
„Es gefällt mir nicht, dass wir es mit einem Gegner zu tun haben, der über Apache-Hubschrauber verfügt“, meldete sich Haller zu Wort.
Ridge sah seinen Stellvertreter im Team einen Augenblick lang nachdenklich an und nickte schließlich. Er verstand Haller inzwischen gut genug, um zu wissen, worauf der Deutsche jetzt hinauswollte.
„Was wir gesehen haben war nur die Spitze des Eisbergs“, meinte er.
„Wer sich Apaches leisten kann, der hat noch ganz andere Sachen in petto.“
„Dieses miese Geschäft, das da mit geheimen Atomtests betrieben wird, ist ja wohl einträglich genug, um sich die teuerste Söldnertruppe der Welt zusammenzustellen“, sagte Haller bitter.
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