»Also, ich soll in der Schule Klavier spielen und dann für dich, während der Stunde, deine Angebetete heimlich fotografieren?«
»Nein. Du sollst Klavier spielen. Und dich dürfte ich fotografieren, da du ja kein Schüler bist. Verstehst du, was ich meine?«
»Natürlich nicht. Wenn du ein Foto von mir machen willst, kannst du das auch gerne hier tun. Ich würde mich vorher aber gerne kämmen.« Mathis atmete schwer aus.
»Alter, wenn du dort spielst, hätte ich einen Vorwand, nämlich dich, in den Balletträumen zu fotografieren.« Ethan grinste Mathis an.
»Gut, dann frage ich gleich im Sekretariat nach, ob ich eine Schulbefreiung bekomme, da ich als Pianist beim Ballettunterricht anfangen will. Wie lange soll ich spielen? Oder glaubst du, die stellen mich gleich fest ein?« Mathis wollte schon aufgeben.
»Ja, ist ja schon gut. Du denkst, ich habe eine Macke. Ich wollte eine Serie über den Ballettunterricht machen. Schwarz-Weiß. Die Fotos sollten der klassische Teil für meine Bewerbung sein. Die Ballettschule hätte es auch gerne zugelassen, aber prinzipiell geht das so nicht. Die eine Lehrerin hat mir grsgat, wenn sie einen Pianisten bei der Arbeit porträtieren würden, und bei dieser Arbeit Tänzerinnen abgebildet wären, sei das rechtlich OK.« Jetzt erst bemerkte Ethan, dass es Mathis wohl doch Ernst war bei dieser Geschichte.
»Ich weiß nicht. Ich meine, es gibt doch so viele gute Pianisten in dieser Stadt. Die warten doch da nicht auf mich. Und ich kann doch nicht die Schule schwänzen, um Klavier zu spielen.« In Mathis entfachte die Flamme der Begeisterung.
»Das brauchst du auch nicht. Es geht, dass du nur die Nachmittagsstunden in der Schule spielst. Und natürlich gibt es Geld dafür. Du spielst. Ich mache die Fotos für meine Bewerbung und komme an das Mädchen ran.« Ethan schüttelte die ganze Zeit den Kopf.
»Ich habe noch nie so eine absurde Geschichte gehört. Wenn nicht gleich die Auflösung kommt, glaube ich wirklich, dass du einen Schuss hast. Wie heißt die Schule eigentlich?« Mathis zögerte kurz.
»Das Juilliard.«
»Das Juilliard?«, wiederholte Ethan. »Das Juilliard im Lincoln Center?« Mathis nickte, ohne ein Wort zu sagen. Ethan grinste über sein ganzes Gesicht. »Auf dem Juilliard studieren die besten Pianisten der ganzen Welt. Aus sechstausend Bewerbern suchen die sich sechs raus und lassen die dort studieren. Und du erzählst mir, die haben keinen, der beim Ballettunterricht spielen kann?« Er schaute Emys Bruder an.
»Das war auch genau das, was ich die Lehrerin gefragt habe. Die Schüler dürfen dort nicht spielen. Die Professoren verbieten das. Der Übungsplan von den Studenten ist so voll, die hätten gar keine Zeit, dort zu spielen. Die sollen auch nur das üben, was gerade im Lehrplan dran ist. Und die Lehrer sind der Meinung, die würden sich bei dem unkontrollierten Spiel leicht den Stil verderben.« Ethan glaubte zum ersten Mal, was Mathis erzählte. Es war absolut logisch, was er sagte. Er konnte sich auch nicht vorstellen, dass sich Mathis das ausgedacht hatte.
»Also, ich weiß nicht. Ich glaube, ich kann dir da nicht helfen. Frag doch einfach, einen der Pianisten, die dort arbeiten, ob du sie fotografieren kannst.«
»Das geht nicht. Da müsste ich ja genau wissen, welcher Pianist wann in der Klasse spielt. Aber wenn du dort spielen würdest, könntest du mich ja anrufen, wenn du sie siehst.« Ethan schüttelte immer noch seinen Kopf.
»Hast du dir das alles alleine ausgedacht?«, wollte er von Emys Bruder wissen.
»Ich denke schon eine ganze Weile über das Projekt nach.«
»Das Projekt? Mathis, vielleicht solltest du dich bei der CIA bewerben. Die suchen Leute mit deinem Talent. Und dort kannst du sicher den ganzen Tag fotografieren.« Mathis machte eine beruhigende Handbewegung.
»Was ist denn schon dabei? Du spielst ein, zwei Stunden Klavier und das für ein paar Tage, bis ich der Kleinen nähergekommen bin. Dabei mache ich die Fotos für meine Bewerbung und dann rücken wir da wieder ab. Was soll passieren?«
»Was passieren soll? Wir werden beide wegen Hochstapelei verhaftet und fliegen vom Juilliard und von unserer Schule. Die ganze Welt wird sich über uns totlachen und ich brauche über ein Vorspielen am Juilliard nicht mehr nachdenken.« Er stockte. Ich brauche über ein Vorspielen am Juilliard nicht mehr nachdenken, wiederholte er seinen Satz im Kopf. Er wusste doch genau, dass sein Vater ihn unbedingt am Juilliard sehen möchte. Seine Mum hatte sich das auch immer für ihn vorgestellt. Er selber wollte das auch. Aber als seine Mutter starb, war alles anders. Er wollte und konnte es sich nicht mehr vorstellen, an dieser Schule zu studieren. Er hasste den Gedanken an den ersten Studientag am Juilliard, ohne dass es seine Mum erleben konnte. »Ich glaube nicht, dass ich dir helfen kann. Aber ich werde darüber nachdenken. Eine Bedingung habe ich von Anfang an. Deine Schwester darf niemals etwas davon erfahren.« Mathis lächelte.
»Keiner wird jemals davon etwas erfahren.« Beide Jungs zuckten zusammen, als sie Lindas Stimme hörten.
»Na, ihr zwei Schmuckberts. Plant ihr schon, wie ihr eure Ballbegleitungen am Samstag glücklich macht?«
»Äh, also, wir, ich meine wir haben uns nicht über den Ball unterhalten.« Ethan war unsicher. Mathis sah das und ging dazwischen.
»Linda, lass uns mal schön in Ruhe. Geh zu meiner Schwester und unterhaltet euch über Gesichter anmalen oder Hochsteckfrisuren. Geh uns aber nicht auf den Zünder. Wir haben keinen Nerv für euren blöden Balltratsch. Husch, husch.« Mathis machte mit seiner Hand eine Bewegung, als wolle er Fliegen von sich wegscheuchen. Linda machte eine schnippische Bemerkung und ließ die beiden alleine am Tisch zurück. »Linda ist schon ein scharfes Ding. Aber meine Schwester hat mir den Umgang mit ihr verboten. Sie ist ihre beste Freundin und gehört vor so etwas wie mir geschützt. Aber Alter, du gehst mit ihr auf den Ball. Du hast gute Chancen, bei ihr einen Nachtflug zu landen. Du weißt, was ich meine?« Ethan ging nicht auf das Thema ein.
»Ich denke über dein Problem nach, ob ich dir helfen kann.« Er stand auf. Mathis klatschte mit einem High Five ab, was Ethan überraschte, da diese Art der Verabschiedung überhaupt nicht seinen Vorstellungen entsprach, wie Menschen miteinander kommunizieren sollten. Genau in diesem Moment schaute Emy zu den beiden. Ethan ging aus der Cafeteria. Emy passte ihren Bruder ab, bevor er den Essensaal verlassen konnte.
»Kannst du mir mal verraten, was du mit Ethan so lange zu besprechen hattest?« Mathis schaute sie an.
»Kann ich, tue ich aber nicht.« Sie stand, von ihrem Bruder alleine gelassen, da und schaute ihm hinterher.
»Ethan!« Dr. Bishop rief laut nach seinem Sohn. Er stand mit Marcia und Frau Korn im Flur und hatte eine Videokamera in der Hand. Ethan kam aus seinem Zimmer. Er trug einen dunklen Anzug, den er auch mit seiner Mutter in München gekauft hatte. Er war froh, nicht nur den schwarzen Anzug zu besitzen, den er auf der Beerdigung getragen hatte. »Wow, schau dir deinen Bruder an.« Dr. Bishop hatte die Videokamera im Anschlag und die rote Lampe leuchtete. »Marcia, schau dir deinen Bruder an. Er sieht aus wie der Hauptdarsteller in einem James-Bond-Film.« Frau Korn hatte ihre Hände zusammengelegt.
»Du siehst aus wie ein Filmstar. Wie der junge Alain Delon, nur mit langen Haaren.«
»Dad, mach doch die Kamera aus.«
»Warum? Du gehst zu deinem ersten Ball in New York. Das kann ich später deinen Kindern zeigen. Und sie werden begeistert sein, was für einen hübschen Vater sie haben.« Marcia strahlte ihren Bruder an.
»Ethan, du siehst wie ein richtiger Mann aus. Als wenn du ein eigenes Büro hättest und zur Arbeit gehst.«
»Gut, also, also ich gehe dann mal los. Frau Korn, können Sie mir die Blumen geben?«
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