»Sprich mit deinem Vater. Und wenn er dich lässt, bist du bei uns herzlich willkommen.« Laura fragte ihn noch nach seiner Schwester und was er sonst in New York machte. Ethan berichtete über seinen Alltag. Von Emy und vom Winterball sagte er nichts. Er versprach, in der nächsten Woche wieder anzurufen. Laura blieb, nachdem Ethan aufgelegt hatte, noch eine Weile mit dem Hörer in der Hand stehen und dachte über das Gespräch nach.
Emy war früh in der Schule. Sie sortierte ihren Schrank, als Linda vor ihr aufbaute. Linda war für diese Zeit sehr gut, zu gut gelaunt.
»Na Emylein. Machst du klar Schiff in deinem Bunker?«
»Ach, ich räume nur etwas auf.« Linda grinste schon wieder.
»Was ist mit Sweety? Ich muss ihm langsam die Details für unser Date schreiben. Der arme Junge muss doch eine Chance haben, sich auf seinen großen Abend mit mir vorzubereiten. Ich bin jedenfalls schon aufgeregt, mit Sweety durch die Nacht zu feiern.« Linda stellte sich vor Emy wie eine Opernsängerin hin, breitete ihre Arme aus und machte eine tiefe Stimme. »Wenn zum Beginn der Nacht die Lichter gehen, wird Ethan wie Mephisto, sich mit Linda im Rausch der Liebe drehen.« Emy schaute ihre Freundin besorgt an.
»Mephisto? Damit kannst du ja wohl nicht Ethan meinen. Lass ihn doch einfach in Ruhe. Alle Jungs aus unserer Schule würden doch gerne dein Mephisto sein. Du kannst dir doch wirklich jeden aussuchen, warum gerade Ethan?«
»Weil ich mir es aussuchen kann. Und Ethan hat mich von allen, die für mich relevant waren, als Einziger nicht gefragt. Ich möchte an diesem Abend mit dem bestaussehenden Jungen zum Ball. Und, kleine Emy, wer ist das?« Ohne die Antwort abzuwarten, fuhr Linda fort. »Stell dir doch Sweety nur mal im Anzug vor. Und wenn der Partygott gnädig mit mir ist, kann ich dir am Montag auch sagen, wie Sweety ohne Anzug, naja du weißt schon, was ich meine.« Emy musste sich zusammenreißen. Sie spürte, wie in ihr die Wut hochstieg. In dem Moment kam Lucas zu den Mädchen.
»Na, ihr beiden.« Linda setzte jetzt ihr breitestes Grinsen auf und fragte übertrieben freundlich:
»Hi, Lucas. Klappt das mit der Limousine deines Vaters?« Lucas erklärte den beiden Mädchen, dass alles wie besprochen stattfinden würde. »Sag mal, Lucas, wäre es ein Problem, wenn du, bevor du uns abholst, bei meinem Date vorbeifahren würdest und ihn mitnimmst? Ich glaube, er wohnt auch auf der Upper West. Oder?« Bei der Frage schaute Linda Emy mit großen Augen an.
»Das ist überhaupt kein Problem, das mache ich. Schreib mir bloß, wo wir deinen Ball-Boy abholen sollen.« Linda wog ihren Kopf hin und her. Sie überlegte, ob sie Emy einfach vor Lucas nach der Adresse fragen sollte, beschloss aber, keinen erneuten Versuch zu starten. Nachdem Lucas die erste Anspielung auf die Adresse von Ethan nicht verstanden hatte.
»Lucas, du bist ein richtiger Ritter. Nein, kein Ritter, eher ein Point Rider.« Linda drehte sich um und ließ die beiden stehen.
»Wollen wir heute Nachmittag etwas machen?« Lucas nahm sie in den Arm.
»Ja, warum nicht? Ich melde mich bei dir und sage dir Bescheid.« Nach einem oberflächlichen Wangenkuss drehte Emy ab und ging in ihre Klasse. Im Unterricht hörte sie nicht mit einem, nicht einmal mit einem halben Ohr zu. Sie konnte Linda von der Seite beobachten und das tat sie auch. Linda war eine wirklich gute Freundin. Und was kann sie ihr denn vorwerfen? Linda hatte gefragt, ob es ein Problem wegen Ethan gäbe. Sie wusste, dass Emy einen Freund hatt. Also, freie Fahrt für Lindas Partyexpress. Über jedes andere Date von Linda hätte sich Emy gefreut. Und wenn sich die Gelegenheit bietet und Ethan ein Date mit ihr haben möchte, welches Mädchen würde da nein sagen?
»Emy?« Sie schreckte hoch. Linda stand neben ihr und schaute sie fragend an. »Schläfst du wirklich mit offenen Augen? Oder hast du gerade von deinem Lucas geträumt?« Emy hatte das Ende der Stunde verpasst, weil sie das Klingeln überhört hatte. Sie stand zögerlich auf und folgte Linda zum nächsten Unterrichtsraum. Beide gingen am Musiksaal vorbei. Sie blieben zeitgleich stehen und schauten durch die einen Spalt weit offene Tür. Am Flügel saß Ethan. Er saß mit dem Rücken zur Tür in dem großen weißen Saal am Piano. Er hatte die Tür nicht richtig geschlossen. Er spielte ein klassisches Stück, ohne zu ahnen, dass er dabei beobachtet wurde. Da die beiden Mädchen den Gang etwas blockierten, dauerte es nicht lange und aus den beiden wurde eine kleine Gruppe Zuschauer. Linda kniff ihre Augen zusammen und flüsterte in Emys Richtung.
»Verdammtes Hackbrett. Ich gehe mit dem neuen Horowitz zum Winterball. Wusstest du, dass Sweety ein Wunderkind ist?« Emy versuchte, ihre Wut nicht zu zeigen.
»Naja, dass er Klavier spielt, wusste ich. Aber so?« Mittlerweile standen auch ein paar Lehrer in der kleinen Zuschauergruppe und lauschten dem nicht geplante Minikonzert von ihm an. Als er den letzten Takt gespielt hatte und er den Applaus der Zuhörerschaft mitbekam, erschrak er und ging zur Tür. Er entdeckte die Lehrer und fing nervös an, sich zu entschuldigen.
»Also, ich habe Zeit. Meine Stunde, ich meine, eine Stunde fällt aus. Also habe ich gedacht, ich könnte so lange etwas üben.« Die Lehrer waren sichtlich begeistert und hatten wahrscheinlich nicht geahnt, dass sie so einen guten Pianisten an der Schule hatten. Sie lobten sein Spiel und sagten ihm, er könne so lange üben, wie er möchte. Schön wäre es, wenn sie ihm einmal richtig zuhören könnten. »Ja, also, ja warum nicht. Ich kann, ich könnte ja für Sie etwas spielen. Oder so.« Die Zuschauergruppe löste sich auf. Linda war schon losgegangen, bemerkte aber, dass Emy stehenblieb. Sie ging die ein, zwei Meter zurück.
»Emy, was ist? Wartest du darauf, dass der Meister rauskommt um dir ein Autogramm zu geben? Oder kommst du mit zum Unterricht?«
»Ja, ja, ich komme.«
In der Pause saßen Linda, Emy, Lucas und Madison zusammen. Ethan hatte sich wieder einen Tisch gesucht, wo er alleine sitzen konnte. Mathis kam von der Essenausgabe und setzte sich nicht zu seiner Schwester. Er ging zu Ethan und fragte, ob er sich zu ihm setzen könne. Ethan zog seine Ohrhörer aus den Ohren, schaute Mathis an und nickte. Mathis beugte sich etwas zu ihm, damit er nicht so laut sprechen musste.
»Ethan, ich weiß von meiner Schwester, dass du Klavier spielst. Und ich brauche dringend jemanden, der genau das kann.« Ethan dachte im ersten Moment an einen Scherz der Emy-Clique und blickte zu dem Tisch hinüber, wo sie saß. Da aber keiner von denen zu ihm schaute, könnte es auch einen anderen Vorwand für Mathis geben.
»Für was brauchst du einen Klavierspieler?« Mathis legte einen Finger auf seinen Mund, um ihm zu zeigen, dass es sich um etwas Geheimnisvolles handelte.
»Gut, Alter. Du wirst vielleicht denken, dass ich nicht alle Leuchten in der Lampe habe. Es klingt etwas verrückt. Aber hör dir erst an, was ich dir erzähle.« Ethan legte seinen Löffel aus der Hand und nahm eine bequeme Sitzhaltung ein. Mit den Händen bedeutete er Mathis, dass er aufnahmebereit sei. »Pass auf. Wie du vielleicht weißt, mache ich Fotos. Ich habe vor Kurzem ein Mädchen kennengelernt.« Ethan beugte seinen ganzen Oberkörper nach vorne.
»Und ich soll Klavier spielen, während du sie fotografierst?«
»Nein.« Mathis flüsterte und schaute sich wie bei einem Geheimdiensttreffen immer wieder um. »Das Mädchen nimmt mich nicht so richtig für voll.« Ethan glaubte wieder an einen Scherz.
»Jetzt sag aber nicht, dass wir den Flügel aus dem Musiksaal nach Manhattan schieben, ihn dort vor ein Haus stellen und ich für deine, was auch immer, spielen soll. Oder willst du einen Lovesong aufnehmen?« Mathis wirkte leicht genervt.
»Ach, Quatsch. Sie ist Schülerin auf einer Ballettschule. Ich wollte von ihrer Klasse Fotos machen. Ich habe ganz offiziell an der Schule angefragt. Die haben gesagt, die Schüler dürfen nicht fotografiert werden. Die Schule möchte das nicht. Als ich dann wieder gegangen bin, habe ich eine Ausschreibung gesehen. Sie suchen für den Ballettunterricht einen Pianisten.« Er dachte, der Bruder von Emy muss eventuell andere Eltern haben. Der ist verrückt.
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